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Ein Akt musikalischer Entschlossenheit

Heute vor 200 Jahren wurde Ludwig van Beethovens einziges Musiktheater "Fidelio" in der einschneidenden zweiten Fassung in Wien uraufgeführt. Der Moralist Beethoven, der Mozarts unverblümt frivole Opernstoffe wie "Figaro" oder "Don Giovanni" verabscheute, hatte sich zu einer heroischen Liebesoper entschlossen und musste daran fast verzweifeln.

Von Wolfgang Schreiber | 29.03.2006
    Beethovens so genannte "Leonoren-Ouverture" Nr.1 klingt unentschieden, unsicher, fast gehemmt – und dementsprechend hilflos, verwirrt beginnt das Drama der Geburt von Beethovens erster und einziger Oper, dem "Fidelio". Das Werk trug zunächst den Titel "Leonore", benannt nach der kämpferischen Heldin dieser Kriminalstory um eine abenteuerliche Gefangenenbefreiung.

    Wir schreiben das Jahr 1805. In Wien sind die französischen Besatzer der Napoleon-Armee einmarschiert, Wiens Musikfreunde gehen kaum ins Theater. Die neue Oper "Leonore" von Beethoven, ins Räderwerk der Weltgeschichte geraten, wird nur drei Mal gespielt, vor halbleerem Haus. Die Ouverture hatte der Komponist schon vorher, nach einer privaten Aufführung, verworfen.

    Kenner unter den Zuhörern im Wiener Palais des Fürsten Lichnowsky hielten sie für zu leichtgewichtig, nur wenig kennzeichnend für die dramatische Fallhöhe dieser Oper und ihres unerhörten Stoffs. Wie konnte es passieren – darf man heute fragen -, dass ein Komponist vom Range Beethovens hier so etwas Schwaches ablieferte? Immerhin waren von ihm schon musikalische Ungeheuerlichkeiten komponiert worden - wie die Sinfonia Eroica und die Sonata Appassionata.

    Es kommt, nur wenige Monate später, der 29. März 1806, der neuerliche Versuch mit der Oper "Leonore" in Wien. Beethoven hat sie gründlich umgearbeitet, von drei auf zwei Akte verkürzt, die Handlung schneller, schlagkräftiger gemacht – und eine neue Ouverture geschrieben. Aber auch sie wird wiederum geändert, und Beethoven stellt die bis heute berühmte dritte Leonoren-Ouverture an den Beginn der Aufführung.

    Ihr Anfang ist nunmehr ein Akt musikalischer Entschlossenheit, der die Unerschrockenheit der Heldin beschwört, der den Hörer - schlagartig durch einen Tutti-Akkord - mit einem heroischen Entschluss konfrontiert. Dem folgt aber sofort ein Zurückweichen, eine Art Angst vor der eigenen Courage, ein Nachsinnen und Brüten über die Ungewissheit der waghalsigen Aktion.

    Aber auch mit der Uraufführung der zweiten Fassung seiner Oper "Leonore oder der Triumph der Gattenliebe" – heute vor 200 Jahren - hat Beethoven die Probleme um sein einziges Werk fürs Musiktheater noch nicht beseitigt. Die Oper wird nur zwei Mal im Theater an der Wien gespielt. Der Grund für die neuerliche Absetzung ist allzu plausibel, denn Beethoven fühlt sich finanziell übervorteilt, er will die Abrechnungsmodalitäten durch den Theaterleiter nicht akzeptieren. Nach heftigem Disput, so heißt es, habe er kompromisslos die Partitur zurück verlangt.

    Der Kritiker der "Zeitung für die elegante Welt" nennt das Stück ein "gehaltloses Machwerk", die Musik dazu findet er "schön", sogar "meisterhaft". Allerdings missfiel ihm ausgerechnet diese Ouverture, wegen der, so wörtlich, "unaufhörlichen Dissonanzen". Erst acht Jahre später, mit der dritten Fassung des nun "Fidelio" genannten Werks und der bereits vierten Ouverture, beginnt die Erfolgsgeschichte der Oper – lange nach dem Sturz des von Beethoven gehassten Napoleon. Das Ganze ist wie ein Kapitel in dem dicken Buch "Musik und Politik".

    Zum Phänomen der vier Ouverturen der Oper gehört übrigens ein weiteres Datum ihrer Aufführungsgeschichte: Felix Mendelssohn-Bartholdy war der erste Dirigent, der alle "Fidelio"-Ouverturen in einem Leipziger Gewandhauskonzert hintereinander aufführte, im Mai 1840. Ludwig van Beethoven war längst zum musikalischen Mythos des 19. Jahrhunderts aufgestiegen.