Donnerstag, 25. April 2024

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Ein Angriff und seine Folgen

Keines ihrer Ziele hat die israelische Regierung unter Ehud Olmert mit dem Libanon-Krieg 2006 erreicht. Das hat eine unabhängige Untersuchungskommission in einem wenig schmeichelhaften Bericht festgestellt. Schon früher waren der libanesische, in Frankreich lehrende Politologe Gilbert Achcar und der israelische, in Frankreich geborene Friedensaktivist Michael Warschawski zu einem ähnlichen Urteil gelangt. Hermann Theißen hat ihr Buch " Der-33-Tage-Krieg" gelesen.

30.04.2007
    Nach der Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar 2005 hatte eine konfessions- und parteiübergreifende Bewegung den Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon erkämpft. Zwar formierten sich auch die Gegenkräfte, und in Parlament und in Regierung saßen weiterhin die alten Kader, doch nach Bürgerkrieg, israelischer Besatzung und syrischer Dominanz schien ein Frühling der Freiheit und gesellschaftlicher Autonomie möglich. Zivilgesellschaftliche Organisationen entstanden, junge Christen, Schiiten, Sunniten oder Drusen entzogen sich der Bevormundung durch die jeweiligen Clanführer und fanden zu gemeinsamen Diskussionen und Demonstrationen. Die Akteure waren eine Minderheit, aber diese Minderheit trug ein Wir-sind-das-Volk-Gefühl, und sie bestritt mit einigem Erfolg den Herrschaftsanspruch der zu Unternehmern, Partei- oder Wirtschaftsführern mutierten einstigen Warlords, auch den der Hisbollah, der vom Iran finanzierten und bewaffneten "Partei Gottes", die mit ihren Milizen wie die anderen Clans und Religionsgemeinschaften einen Staat im Staate gebildet hatte und vor allem im Bekaa-Tal und im Süden des Landes herrschte. Alles schien möglich, zumal auch die Konjunkturdaten optimistisch stimmten und die für das Land so wichtige Tourismusindustrie ein Rekordjahr erwartete. Doch dann nahm Israel am 12. Juli 2006 eine Provokation der Hisbollah zum Anlass für seinen 33-tägigen Krieg gegen den Libanon. Ein Krieg, der der gerade erst entstehenden libanesischen Zivilgesellschaft die Luft nahm, der die Infrastruktur des Landes völlig zerstörte, der Tausende in die Flucht trieb und in dem Israel nicht nur keines seiner deklarierten Ziele erreichte, sondern mit dem es seine gefährlichsten Feinde zu Helden der arabischen Welt machte.

    "Anstatt die Hisbollah zu zwingen, die Waffen niederzulegen, hat er die islamisch fundamentalistische Schiiten-Organisation zum angesehensten Gegner gemacht, dem Israel seit dem Sieg über Ägypten 1967 je begegnet ist, und Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zum beliebtesten arabischen Helden seit Nasser."

    In ihrem kleinen Band beschreiben und analysieren der libanesische Politologe Gilbert Achcar und der israelische Friedensaktivist Michael Warschawski, wie es zu diesem Desaster kommen konnte. Sie belegen, dass der israelische Angriff lange geplant und vorbereitet war und dass die Geiselnahme eines israelischen Soldaten durch die Hisbollah lediglich den Vorwand für den Angriff lieferte. Das Ziel war die Zerschlagung der "Partei Gottes" und ihrer Milizen. Angesichts der Militanz von Nasrallahs Truppen, angesichts ihrer ständigen Aufrüstung und ihres Bedrohungspotenzials war es nicht schwer, innerisraelische und internationale Zustimmung für dieses Kriegsziel zu mobilisieren. Selbst die libanesische Emanzipationsbewegung hätte eine zumindest klammheimliche Freude empfunden, wenn die israelischen Truppen gezielt die Schiitenmilizen ausgeschaltet hätten. Doch es kam anders. Die israelische Kriegsplanung, so die Autoren, habe drei Strategien zu einem Konzept der "Befriedung" durch Terror kombiniert. Die erste habe darauf gezielt, möglichst viele Milizionäre zu töten, die militärische Infrastruktur der Hisbollah zu vernichten und ihre Nachschublinien zu unterbrechen. Ein zweiter strategischer Ansatz wollte einen Keil zwischen die Hisbollah und ihrer schiitischen Basis treiben.

    "Das setzte natürlich voraus, dass Israel den libanesischen Schiiten durch verheerende Flächenbombardierungen, die vorsätzlich Dörfer und Stadtteile dem Erdboden gleichmachten und Hunderte von Toten in der Zivilbevölkerung forderten, enormen Schaden zufügte."

    Nach dem selben Muster, so die Autoren, wurde die gesamte libanesische Bevölkerung terrorisiert, um ein Klima zu schaffen,

    "das ein militärisches Vorgehen der libanesischen Armee gegen die Hisbollah begünstigt hätte."

    Als der Krieg am 14. August endete war keine der Strategien aufgegangen, keines der Kriegsziele erreicht. Die Hisbollah konnte ihre politische Struktur und ihre militärische Schlagkraft erhalten, ihren Einfluss erhöhen und ihr Ansehen im Libanon wie im gesamten Nahen Osten aufpolieren. Dieses Ergebnis konnte genau so wenig überraschen wie die Tatsache, dass die von den USA angeführte Eroberung des Iraks in einen bis heute eskalierenden Bürgerkrieg mündete und auch von einer Befriedung Afghanistans nicht die Rede sein kann. Und genau darin liegt die Stärke des kleinen Buches, dass die Autoren neben der knappen Schilderung des Verlaufs des zweiten Libanonkriegs, seiner Vorgeschichte und Auswirkungen, Hinweise auf die Ursachen für die Fehleinschätzungen liefern, die aus der von den USA ausgedachten und von Israel unterstützten "Strategie einer demokratischen Transformation des Greater Middle East resultieren. Die setze wie Israel im Libanon oder in den Palästinensergebieten auf "Befriedung" durch Terror, definiere den Westen als Kreuzzügler der Zivilisation gegen die Mächte der Barbarei, unterschätze den Gegner in kolonialistischer Überheblichkeit und nehme jeder zivilgesellschaftlichen Regung die Luft.


    Gilbert Achcar/ Michael Warschawski: Der-33-Tage-Krieg. Israels Krieg gegen die Hisbollah im Libanon und seine Folgen
    Edition Nautilus, Hamburg 2007
    96 Seiten, 10,90 Euro