Donnerstag, 25. April 2024

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"Ein Anschlag auf die Arbeitnehmerrechte"

Die Bundesregierung hat einen neuen Gesetzentwurf zur Datensicherheit in Betrieben vorgelegt. Scharfe Kritik dagegen gibt es von NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD). Die heimliche Videoüberwachung werde zwar verboten, doch mit dem neuen Gesetz könnten Arbeitgeber sehr leicht Begründungen für die legale Überwachung ihrer Mitarbeiter finden.

Guntram Schneider im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 14.01.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Publikum staunte nicht schlecht, was da alles in den vergangenen Jahren bekannt wurde – darüber, wie Unternehmen in Deutschland ihre Mitarbeiter überwachen. Die Lebensmittel-Discounter Lidl und Aldi Süd sorgten für Schlagzeilen, weil sie ihre Mitarbeiter mit versteckten Kameras filmten. Die Deutsche Bahn glich systematisch die Daten von Beschäftigten ab, um möglichen Korruptionsfällen auf die Spur zu kommen. Und die Deutsche Telekom musste einräumen, Telefondaten ausgespäht zu haben. Dieser Praxis wollte die schwarz-gelbe Koalition einen Riegel vorschieben und hat sich nach langem Streit schließlich doch noch auf ein Gesetz geeinigt, das den Datenschutz in Betrieben neu regelt. Heimliche Videoüberwachung soll damit endgültig der Vergangenheit angehören.


    Telefonisch verbunden sind wir jetzt mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales in Nordrhein-Westfalen, mit Guntram Schneider von der SPD. Guten Morgen!

    Guntram Schneider: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Schneider, die Koalition sagt, das Gesetz verbiete heimliche Videoaufzeichnungen ausdrücklich und stelle Rechtssicherheit für die Unternehmen her. Die Gewerkschaften sprechen von einer Katastrophe, von einem Anschlag auf die Arbeitnehmerrechte. Stellt der Gesetzentwurf jetzt einen Fortschritt oder einen Rückschritt dar?

    Schneider: Also gut ist in diesem Gesetzentwurf sicher, dass heimliche Videoüberwachungen verboten werden. Allerdings ist völlig unklar, wie auch diese Regelung in den Unternehmen, die ja nicht gerade dadurch hervorgetreten sind, dass die Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut funktioniert, wie dies dort eingehalten und kontrolliert werden soll. Extrem schlecht ist die Tatsache, dass in vielfältiger Art und Weise Überwachungen legalisiert sind und damit möglich sind. Und schauen Sie: Wenn jemand einen Arbeitsplatz haben möchte, dann hat er ja kaum eine Verhandlungsmacht, um in einem Arbeitsvertrag eine legale Videoüberwachung oder Überwachung generell auszuschließen. Wenn er dies tut, läuft er Gefahr, die Stelle nicht zu bekommen. Insofern ist hier wirklich ein Anschlag auf Arbeitnehmerrechte in Vorbereitung, und ich stelle nochmals fest: Insbesondere die FDP hat als Rechtsstaatspartei völlig versagt.

    Heckmann: Das heißt, aus Ihrer Sicht ist ganz klar: Die Koalition aus Union und FDP stellt die Interessen der Arbeitgeber über die der Arbeitnehmer?

    Schneider: So ist es. Im Grunde genommen ist das, was in vielen Unternehmen gang und gäbe ist, über den jetzt eingeschlagenen Weg legalisiert worden. Das kann nicht sein. Deshalb müssen wir verhindern, dass aus diesem Entwurf ein Gesetz wird.

    Heckmann: Jetzt bleiben wir mal bei der heimlichen Videoüberwachung. Da sagt die Koalition, das Gesetz gehe sogar über das einschlägige Urteil des Bundesarbeitsgerichtes hinaus. Das hat ja heimliche Videoüberwachung in engen Grenzen sogar gestattet, nämlich wenn es Hinweise auf Straftaten gebe. Das jetzige Gesetz, das verbietet aber heimliche Aufnahmen generell. Das ist doch ein Fortschritt!

    Schneider: Das ist durchaus ein Fortschritt. Aber sehen Sie: Wann sind denn berechtigte Interessen des Unternehmens vorhanden? So was kann auch immer konstruiert werden. Insofern ist formal illegale Überwachung ausgeschlossen, aber die Praxis kann ganz anders aussehen.

    Heckmann: Und bei der offenen Überwachung, da haben Sie ja gerade eben mehr oder weniger suggeriert, dass es sein kann, dass das flächendeckend eingeführt wird. Die Arbeitnehmer haben gar nicht die Möglichkeit, da zu widersprechen, weil sie sonst diesen Job eben nicht bekommen. Jetzt sagt aber die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz, stimmt alles nicht, diese offene Überwachung, die ist an strenge Auflagen gebunden: nämlich darf nicht eingeführt werden, um die Mitarbeiter in ihrem Verhalten oder in ihrer Leistung zu kontrollieren, und das Ganze muss erforderlich sein, entweder zum Beispiel bei der Zugangskontrolle, zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit und der Qualität, oder wenn eben Straftaten aufgedeckt werden sollen, und Tabu bleiben Umkleideräume, Schlafräume, Toiletten.

    Schneider: Na ja, das wäre ja wohl noch schöner, wenn in einem Rechtsstaat auf Toiletten illegal gefilmt werden könnte. Das ist nicht nur eine Frage des Rechts, sondern des guten Geschmacks. Aber ich habe den Eindruck, diese Bundesregierung hat hier auch weite Grenzen gesetzt. Nein, Sie finden doch bei einiger sozialer Fantasie immer eine Begründung, die dazu führt, dass legale Aufnahmen möglich sind und begründbar sind, und das ist der große Webfehler. Im Übrigen ist dieses Gesetz so diffizil angelegt – Sie sprachen eben von den 44 Seiten -, dass kaum ein Missbrauch ausgeschlossen sein kann. Wir plädieren dafür, Videoüberwachungen in ganz, ganz engen Grenzen, wenn überhaupt, zu ermöglichen. Im Prinzip müssen diese Überwachungen verboten werden.

    Heckmann: In welchen Grenzen sollen Sie denn erlaubt sein aus Ihrer Sicht?

    Schneider: Na ja, wenn irgendeine schwere Straftat, ein Raub an einer Kasse vorgekommen ist, kann ich mir schon vorstellen, dass man dann so etwas tut. Aber das wird in wenigen Fällen nur eine Begründung hergeben, und deshalb sollten wir Videoüberwachungen eigentlich generell ausschließen.

    Heckmann: Die Videoüberwachung ist ja nur ein Teil dieses ganzen Gesetzentwurfes. Es geht ja auch um das Mithören oder Abgleichen von Telefondaten oder des E-Mail-Verkehrs. Was sagt Ihnen der Gesetzentwurf darüber?

    Schneider: Das ist alles zu offen. Da sind der Willkür Tür und Tor geöffnet, insbesondere auch im Hinblick auf Informationen, die aus sogenannten sozialen Netzwerken gezogen werden. Wer will das kontrollieren, mit welchen Mitteln und Methoden. Das ist nicht nur undurchdacht, sondern hat auch wenig mit der betrieblichen Praxis zu tun.

    Heckmann: Aber das ist doch durchaus vernünftig, die Regelung, erscheint es mir jedenfalls, dass Personalchefs durchaus sich anschauen dürfen, was Bewerber auf einen Job in ihren sozialen Netzwerken von sich preisgeben, ohne allerdings sich eine falsche Identität anzueignen und als falscher Freund sozusagen auf Facebook oder vergleichbaren Netzwerken Informationen zu sammeln.

    Schneider: Ja warum ist das sinnvoll, frage ich Sie? Ist es auch möglich und erforderlich und legitimiert, Bewerberinnen und Bewerber, die in irgendeiner Form mal in den Tageszeitungen aufgetaucht sind, weil sie im Sport aktiv sind, über diesen Weg bei einer Bewerbung zu kontrollieren oder zu bewerten? Ich glaube, wir sollten dies generell ausschließen. Schauen Sie, auf der einen Seite reden wir im Moment über anonymisierte Bewerbungen, um zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund mindestens den Weg zum Bewerbungsgespräch zu ebnen, und auf der anderen Seite öffnen wir die Schleusen, um umfassend weltweit Informationen über einen Menschen einzuholen, …

    Heckmann: Aber, Herr Schneider, Sie wollen im Ernst ausschließen, dass Personalchefs im Internet gucken, was der Bewerber denn da so von sich ins Internet stellt. Wie soll das gehen?

    Schneider: Wie soll das gehen, das ist die Frage. Wer kontrolliert, dass über diesen Weg nicht Schindluder getrieben wird? Das ist überhaupt nicht zu kontrollieren. Also müssen wir hier, soweit dies technisch möglich ist, einen Riegel vorschieben, insbesondere auch über diesen Weg, dass wir, wenn es zu juristischen Auseinandersetzungen kommt, solche Sammlungen von Informationen als beweislastig ausschließen. Ein ganz wichtiger Punkt, wenn es um Bewerbungen geht. Hier steht doch, schauen Sie, die fachliche Qualifikation im Vordergrund und nicht das, was jemand bei Facebook mal über sich abgesondert hat.

    Heckmann: Das Gesetz, Herr Schneider, das ist wie erwähnt nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat. Wie wollen Sie denn verhindern, dass dieser Entwurf zu einem endgültigen Gesetz wird, wie Sie gerade eben angekündigt haben?

    Schneider: Ich denke, die Öffentlichkeit in unserem Lande ist im Hinblick auf die Dinge, die da in Rede stehen, sehr sensibel, und wir müssen eine sehr ernsthafte, harte politische Auseinandersetzung darüber führen, ob so etwas Gesetz werden darf oder nicht. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass in der Union immer noch politische Kräfte vorhanden sind, die eine Republik, in der so etwas im Arbeitsleben möglich ist, nicht wollen. Ich weiß nicht, ob dies ausreichen wird, um ein solches Gesetz zu verhindern. Wenn es wenige Monate vor der Bundestagswahl durchkommen sollte und beschlossen werden sollte, müssen wir eben dafür sorgen, dass die Ergebnisse der Bundestagswahlen eine Revision über den Gesetzgeber ermöglichen.

    Heckmann: Und das wäre dann im Prinzip eine willkommene Vorlage für Sie, für die SPD?

    Schneider: Ich kann mir durchaus andere Vorlagen vorstellen als so etwas. Wenn ein solches Gesetz erstmal in der Welt ist, ist es sehr schwer, es wieder aus der Welt zu nehmen und zu bringen. Das Beste wäre es, man würde die Gesetzgebung zurückstellen und die politischen Diskussionen abwarten. Es ist doch ein politischer Hasardeur-Ritt, wenige Monate vor der Bundestagswahl ein für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so wichtiges Gesetz quasi im Sturmangriff durch den Bundestag zu bringen. Ich denke, hier ist eine gesellschaftliche Debatte erforderlich, die geführt werden muss, wenn Arbeitnehmerrechte und damit auch die Rechte, die wir im Grundgesetz verankert haben, weiterhin Gültigkeit haben sollen.

    Heckmann: Der Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider von der SPD. Schönen Dank für das Gespräch!

    Schneider: Bitteschön, Herr Heckmann.

    Heckmann: Schönen Tag noch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.