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"Ein billiger polemischer Vorwurf"

Der saarländische Linke-Fraktionsvorsitzende und frühere Parteichef Oskar Lafontaine bezeichnete das Scheitern der er Koalitionsgespräche in Nordrhein-Westfalen als "schlechte Nachricht" für alle Bürger. Dass seine Partei nicht regierungsfähig sei, sei ein "billiger, polemischer Vorwurf".

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.05.2010
    Sandra Schulz: Wir wollen in den kommenden Minuten bei der Entscheidung gestern in Düsseldorf bleiben. Am frühen Abend kam ja das Aus für die rot-rot-grünen Sondierungen in Nordrhein-Westfalen. Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken im saarländischen Landtag. Guten Morgen!

    Oskar Lafontaine: Guten Morgen!

    Schulz: Herr Lafontaine, warum ist Die Linke in Nordrhein-Westfalen nicht regierungsfähig?

    Lafontaine: Die Linke ist in Nordrhein-Westfalen regierungsfähig. Wir geben diesen Vorwurf zurück. SPD und Grüne sind nicht regierungsfähig, denn sie haben ernsthaft in den Koalitionsverhandlungen vorgeschlagen, weiter Personal abzubauen, und sie haben auch - die Grünen - darüber geredet, dass man die WestLB privatisieren solle.

    Das wären jetzt Maßnahmen, die in der gegenwärtigen Situation völlig verkehrt wären. Insofern ist der Vorwurf der Regierungsunfähigkeit einer, der auf diese beiden Parteien zurückfällt.

    Schulz: Dann sind Sie froh, dass die Sondierungen gescheitert sind?

    Lafontaine: Das bin ich nicht. Wir hatten die Hoffnung, dass es gelingen würde, den Sozialabbau in Deutschland zu stoppen über den Bundesrat, denn das war ja Kernanliegen, das angeblich auch die SPD im Wahlkampf vertreten hat, aber schwenkt sie wieder um. Das wird jetzt nicht gelingen. Es wird jetzt entweder zu einer Koalition mit der FDP kommen, bei der man ja weiß, dass jede Form des Sozialabbaus ihr recht ist, und die CDU ist auf derselben Linie. Insofern ist das für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine sehr schlechte Nachricht.

    Schulz: Und Die Linken haben nichts falsch gemacht?

    Lafontaine: Die Linken haben eine klare Aussage getroffen, die kann jeder überprüfen. Wir haben gesagt, wir sind bereit, eine Regierung zu bilden. Es gibt ja in der Schulpolitik, es gibt in der Energiepolitik, in der Wirtschaftspolitik große Überschneidungen.

    Voraussetzung ist, dass nicht weiter soziale Leistungen abgebaut werden, nicht weiter privatisiert wird und nicht weiter Personal abgebaut wird. Das kann jeder nachvollziehen, überprüfen und jeder kann sich ein Urteil bilden, ob diese Forderungen heute berechtigt sind.

    Schulz: Aber ist es denn so schwer einzusehen, dass SPD und Grüne nicht mit Fraktionspolitikern eine Regierung bilden wollen, mit Abgeordneten, die das DDR-Unrecht relativieren?

    Lafontaine: Ich weiß nicht, ob unsere Leute das DDR-Unrecht relativieren. Das ist hier nur ein Bonbon, das 20 Jahre nach dem Verschwinden der DDR immer noch gelutscht wird im Hinblick auf Die Linke. Vielleicht haben die noch nicht mitbekommen, dass im Vorstand, im engeren Vorstand der Linken jetzt mehrheitlich ehemalige Sozialdemokraten sind.

    Schulz: Aber es stimmt nicht aus Ihrer Sicht, dass ein gewisses Grundvertrauen zumindest da sein muss, um eine Koalition zu bilden?

    Lafontaine: Selbstverständlich und daran fehlt es. Insofern ist das ja auch schon vorher klar gewesen. Wenn etwa Frau Kraft - und das ist ja gerade in dem Interview deutlich geworden - lieber mit der FDP zusammenarbeitet, also mit einer Partei, die gegen den Mindestlohn ist, die diese üble Hartz-IV-Kampagne zu verantworten hat, die keinerlei Einnahmenerhöhungen vorsieht, um eben einen gerechteren Ausgleich in den nächsten Jahren zu haben, dann zeigt es sich, dass die SPD nach wie vor der Agenda 2010 und Hartz-IV-Politik verhaftet ist, und dann ist sie für uns nicht regierungsfähig und auch kein denkbarer Partner.

    Schulz: Herr Lafontaine, wir haben das Interview ja gerade gemeinsam gehört. Welchen Anhaltspunkt hatten Sie dafür, dass die SPD lieber mit der FDP regiert?

    Lafontaine: Sie hat als erstes Gespräche mit der FDP gefordert - das hat ja Frau Kraft soeben gesagt -, und das war deswegen schon sehr überraschend, weil ja, wenn man die Wahlprogramme der Parteien in Nordrhein-Westfalen nebeneinander legt, es auch Frau Kraft hätte auffallen müssen, dass es eine weitaus größere Überschneidung zwischen Linken und SPD gibt als zwischen SPD und FDP. Insofern ist eine solche Vorgehensweise mehr als irritierend.

    Schulz: Sie haben sich am Wochenende ja vom Parteivorsitz zurückgezogen von der Partei Die Linke. Ist die Partei vielleicht doch nicht so gut aufgestellt, wie es hätte sein sollen?

    Lafontaine: Wir sind sehr gut aufgestellt, davon sind wir überzeugt, weil das die Wählerinnen und Wähler uns sagen. Wir sind jetzt nach drei Jahren in 13 Landtagen. Das heißt, wir haben eine Erfolgsstrecke hinter uns, die wir selbst nicht für möglich gehalten haben. Wir sind im Bundestag stärker als die Grünen oder die CSU. Insofern sind wir zufrieden. Wir wissen aber, dass wir noch viele Aufgaben vor uns haben und immer noch besser werden müssen.

    Schulz: Und sie sind auch aufgestellt mit einer Truppe in Nordrhein-Westfalen, die eben aus Sicht von SPD und Grünen nicht regierungsfähig ist. Was macht Sie da so zuversichtlich?

    Lafontaine: Das ist eben ein billiger polemischer Vorwurf der Konkurrenten in Nordrhein-Westfalen. Damit leben wir, das lässt uns aber ziemlich kalt. Uns interessieren die Wählerinnen und Wähler, und die haben uns trotz des starken Gegenwindes auch aus den Medien, die ja diesen Vorwurf der Chaotentruppe ununterbrochen reproduziert haben, haben sie und das Vertrauen gegeben, und darauf sind wir stolz.

    Schulz: Und Ihr Vorwurf lautet Sozialabbau, gerichtet an die SPD. Habe ich das richtig verstanden, dass man das übersetzen kann in Sparbemühungen?

    Lafontaine: Das kann man in Sparbemühungen übersetzen. Wenn man nämlich jetzt - das war ja auch ein Kernthema der Wahl in Nordrhein-Westfalen ... Wenn man die Antwort gibt, wer bezahlt eigentlich die Krise, wer bezahlt für die Milliarden-Verbrechen der Banker, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man bittet die Wohlhabenden zur Kasse, insbesondere aber auch die Institute, die diese Verbrechen begangen haben, oder man kürzt wieder soziale Leistungen.

    Und wir wollen natürlich nicht, dass die kleinen Leute eben für diese, jetzt sage ich mal, Wahnsinnstaten an den Finanzmärkten bezahlen müssen. Das ist unsere Haltung. Wenn die anderen da nicht mitmachen, tut es uns leid.

    Schulz: Aber dass die öffentlichen Haushalte sparen müssen, das sieht auch Die Linke ein?

    Lafontaine: Das sieht selbstverständlich Die Linke ein. Die Frage ist eben nur wo. Nehmen Sie etwa den Einsatz in Afghanistan. Nach neuen Berechnungen kostet der drei Milliarden im Jahr. Wir haben immer vorgeschlagen, diese Ausgaben zu sparen. Jetzt geht man ja auch dahin und streicht große Rüstungsprojekte, also etwa ein Raketenabwehrprojekt. Da geht es um fünf Milliarden.

    Man kann also über vieles reden. Nur wo wir nicht sparen wollen, etwa an Lehrern. Wir sind zum Beispiel der Meinung - und das ist ja jetzt ein Streitpunkt, nehmen Sie Herrn Koch und wahrscheinlich wird auch die SPD bald auf diese Linie gehen ...

    Schulz: Herr Koch ist ja in der CDU!

    Lafontaine: Ja, das ist mir bekannt. Aber Herr Koch hat mit Herrn Steinbrück - der ist in der SPD - ein Paket ausgehandelt gehabt vor einigen Jahren. Wahrscheinlich geht man auch in diese Richtung. Wir wollen nicht an Lehrern sparen, das heißt an den Kindern sparen. Da muss man sich eben entscheiden.

    Schulz: Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Landtagsfraktion der Partei Die Linke im Saarland und heute in den Informationen am Morgen. Herzlichen Dank.

    Lafontaine: Bitte sehr!