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Ein Blick durchs Schlüsselloch auf den päpstlichen Schreibtisch

Schon vor zwei Jahren deckte der Mailänder Journalist Gianluigi Nuzzi in seinem Buch "Vatikan AG" Finanzskandale der katholischen Kirche auf. In dem aktuellen Buch "Seine Heiligkeit" hat er päpstliche Dokumente veröffentlicht, die ihm aus dem Vatikan zugespielt wurden.

Von Tilmann Kleinjung | 10.09.2012
    Auf dem Aventin, einem Hügel in Rom, gibt es das wohl berühmteste Schlüsselloch der Welt. An schönen Tagen bilden sich lange Schlangen vor diesem Tor, weil man durch dieses Schlüsselloch einen wunderbaren Blick auf die Kuppel der Peterskirche hat, auf den Vatikan. Auch das Buch des italienischen Autors Gianluigi Nuzzi bietet einen solchen Blick durchs Schlüsselloch. Aber das, was wir sehen, ist nicht schön und erhaben, sondern menschlich, allzu menschlich.

    "Heiliger Vater, leider sehe ich mich gezwungen, Eure Heiligkeit wegen einer nicht nachvollziehbaren ernsten Lage anzurufen, die die Leitung des Governatorats und meine Person betrifft. […] Meine Versetzung aus dem Governatorat würde bei denen, die da glaubten, man könne zahlreiche Praktiken der Korruption und des Amtsmissbrauchs abstellen, die sich in der Führung verschiedener Abteilungen seit Langem eingenistet haben, tiefe Verunsicherung und Bedrückung auslösen."

    Da schickt ein hoher Geistlicher aus dem "Governatorato", aus der Verwaltung des Vatikanstaats einen Hilferuf an den Papst. Erzbischof Carlo Maria Viganò sieht sich als Opfer einer Intrige, weil er allzu gründlich aufräumen wollte. Missmanagement und Vetternwirtschaft scheinen im Vatikan genauso liebevoll gepflegt zu werden wie die prächtigen Gärten dieses Ministaates. Das ist der Eindruck, der sich bei der Lektüre dieses Buches aufdrängt. Autor Gianluigi Nuzzi:

    "Viganó macht den Papst auf die Fälle aufmerksam, wo seiner Meinung nach Korruption mit im Spiel ist. Er sieht sich als Opfer einer Intrige, nach dieser Anzeige. Man schickt ihn nicht an den Nordpol, sondern als Apostolischen Nuntius nach Washington. Ich erzähle diese Episode als Beispiel für ein Ereignis, von dem wir keine Kenntnis hatten."

    Es sind tatsächlich mehr Episoden, als große Skandale, die Gianluigi Nuzzi in "Seine Heiligkeit" nacherzählt. Episoden, die zeigen: Auch im Kirchenstaat geht es um Macht und Mittel, um Einfluss und Eitelkeiten. Natürlich haben wir das schon immer geahnt, wenn nicht gewusst. Aber das nun schwarz auf weiß präsentiert zu bekommen, befriedigt ein anderes zutiefst menschliches Bedürfnis: die Neugier. Und deshalb wird sich "Seine Heiligkeit" auch in Deutschland gut verkaufen.

    "Es öffnet sich ein Fenster zu einer Welt, aus der bis jetzt nur mit Mühe berichtet werden konnte, es gab nur wenig Raum, um wirklich etwas zu erfahren, weil der Vatikan nicht alles wissen lassen wollte."

    Enthüllungsjournalist Nuzzi verarbeitet vertrauliche Dokumente, die direkt vom Schreibtisch des Papstes stammen. Das sind teilweise ganz banale Dinge: Ein bekannter italienischer Fernsehmoderator schickt einen Scheck über 10.000 Euro an den Papst und verbindet die Spende mit der Bitte um eine Audienz. Peinlich! Anderes ist nicht wirklich neu, aber für alle Beteiligten unangenehm, zum Beispiel, dass Benedikt XVI. ein eher schwieriges Verhältnis zu seiner deutschen Heimatkirche hat. In Nuzzis Buch gibt es dafür nun die schriftlichen Belege: Der Papst fühlt sich von den deutschen Bischöfen im Stich gelassen, als er von aller Welt und auch von der deutschen Kanzlerin dafür kritisiert wurde, dass er den Holocaustleugner Richard Williamson rehabilitierte. Und diesen Ärger bringt Benedikt auch zu Papier:

    "Ich wundere mich, dass der Nuntius die Empfehlungen Kardinal Lehmanns 'in vollem Umfang teilt', der gesagt hat, der Heilige Vater müsse sich bei den Juden und den Kirchenmitgliedern entschuldigen. […] Wie ich höre, hat der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, aber auch der Erzbischof von Hamburg den Heiligen Vater kritisiert."

    Das schreibt der "Heilige Vater" höchstpersönlich, allerdings nicht für eine breite Öffentlichkeit, sondern für seine engsten Mitarbeiter. Im Anhang seines Buches hat Gianluigi Nuzzi etliche dieser päpstlichen Papiere im Faksimile veröffentlicht. Man sieht die kleine akkurate Schrift des Papstes, man kann die handschriftlichen Notizen seines Sekretärs Georg Gänswein nachlesen. Ein Blick durchs Schlüsselloch auf den päpstlichen Schreibtisch. Doch was dem Sammelsurium an Dokumenten, Briefen und Depeschen fehlt, ist der rote Faden. Die Auswahl scheint willkürlich. Die deutsche Edition wurde um ein Dokument bereichert, indem sich der Papst darüber ärgert, dass der katholische Weltbildverlag erotische und esoterische Literatur vertreibt. In weiten Teilen des Buches aber geht es um eher italienische Themen: der Streit um eine Mailänder Krankenhausgesellschaft, der Filz in der italienischen Politik. Das dürfte deutsche Leser eher weniger interessieren. Es gibt keine Protagonisten. Wenn überhaupt, dann eine Art Buhmann, das ist Benedikts wichtigster und mächtigster Mitarbeiter, Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone.

    "Es geht nicht um Kritik an Benedikt XVI. Aber was ganz deutlich wird - ob es nun Berichte oder Briefe der Kardinäle an den Papst sind - ist die Kritik am Kardinalstaatssekretär."

    Gianluigi Nuzzi ist kein "Vaticanista", kein Kirchenexperte. Das Enthüllen und Entdecken liegen ihm mehr als das Einordnen und Erklären. Und so übersieht er fast eines der spannendsten Dokumente seines Buches. Es ist ein Brief aus Holland an den Papst, in dem einflussreiche und potente Wohltäter ihrem ganzen Ärger über den Kurs der Kirche und des Papstes Luft machen.

    "Wo sind die Hirten, die das ihnen anvertraute Volk ernsthaft begleiten, ohne fundamentalistisch zu sein, und in Liebe achtsam und besonnen die ganze Herde im Auge behalten und das Volk nach modernen Kriterien zu führen und zu leiten wissen? Warum werden in Europa Bischöfe ernannt, die weder einen Bezug zu der ihnen anvertrauten 'Herde' noch Vertrauen in diese Herde haben?"

    Gute Fragen, auf die es in Nuzzis Buch keine Antworten gibt. Auch die spannendste Frage bleibt unbeantwortet: Warum ist dieses Buch erschienen? Wer hatte ein Interesse daran, den Journalisten mit diesen vertraulichen Dokumenten zu versorgen? Der Hauptschuldige scheint gefunden zu sein: Paolo Gabriele, ehemaliger Kammerdiener seiner Heiligkeit. Ihm wird vorgeworfen, den Blick durchs Schlüsselloch überhaupt erst möglich gemacht zu haben. Ihm wird der Prozess gemacht, bei dem dann hoffentlich ans Tageslicht kommt, wer seine Unterstützer und Auftraggeber sind und vor allem, was sie damit eigentlich bezwecken.


    Gianluigi Nuzzi: "Seine Heiligkeit – Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI"
    Piper Verlag, 416 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 978—492-05575-8