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Ein Blick zurück

Für den südafrikanischen Fußball-Autor Peter Raath ist das WM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Argentinien ein sportlicher Festakt. Doch das Spiel in seiner Heimat Kapstadt ist für ihn auch eine Gedächtnishilfe, auf die er gern verzichtet hätte. Denn deutsche Spieler hatten Anfang der 70er-Jahre den Traditionsklub Hellenic zu neuer Blüte verholfen. Für kurze Zeit. Ronny Blaschke ging in Kapstadt, wo heute 25.000 Deutsche leben, auf Spurensuche.

Von Ronny Blaschke | 02.07.2010
    Die wilden Schmierereien auf der Hinterseite der Tribüne sind schon aus der Ferne zu erkennen, doch Peter Raath nimmt sie nicht mehr wahr. Er scheint in einer anderen Zeit versunken zu sein, in einer besseren Zeit. Im brüchigen Stadions Hartleyvale hatte einst Hellenic FC gekickt. Der Klub hatte seine beste Zeit Anfang der 70er-Jahre. Dank einer Gruppe von deutschen Spielern.
    "Sie kamen in ein Land aus Milch und Honig. In dieser Zeit erreichte der südafrikanische Fußball ein neues Niveau. Diese Deutschen waren unfassbar gut. Menschen campierten vor dem Stadion, um am nächsten Morgen ein Ticket zu bekommen."

    Hinter Peter Raath erhebt sich der Tafelberg, vor ihm wuchert das Unkraut. Peter Raaths Schilderungen klingen wie eine Heldengeschichte, doch der Erfolg seiner Helden beginnt mit einem Scheitern: 1972 hatte Hellenic Spieler von Hertha BSC verpflichtet: Volkmar Groß, Jürgen Weber, Arno Steffenhagen, Bernd Patzke und Wolfgang Gayer. Die Gruppe war im größten Bestechungsskandal verwickelt gewesen. Sie hatte gegen Bielefeld absichtlich verloren. Der Deutsche Fußball-Bund sperrte sie, ließ sie aber nach Südafrika ziehen. Das Land war wegen seines Apartheid-Regimes vom Weltfußballverband suspendiert worden. Peter Raath erinnert:
    "Diese Geschichte ist als Deutsche Invasion bekannt geworden. Das war eine Ära, über die viele Menschen heute noch sprechen."
    Für die Südafrikaner spielte der Bestechungsskandal kaum eine Rolle, denn plötzlich kamen 20.000 Fans zu Hellenic. Die ehemaligen Berliner Spieler lebten in großen Wohnungen. Sie durften ihr Gehalt mit Sondergenehmigung nach Hause überweisen. Ihre Tribünen wurden nach Hautfarben unterteilt, nur Weiße hatten ein Stadiondach über dem Kopf. Kritische Fragen stellten die Deutschen aber selten. Spätestens nach zwei Jahren kehrten sie nach Europa zurück. Mit Hellenic ging es abwärts, 2004 wurde der Klub aufgelöst. Seitdem verwandelt sich das Stadion in eine Ruine. Oder in ein Museum, wie Peter Raath einwirft. Eine Frage der Perspektive.