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Ein Buch über die Literatur

Alain Mabanckou ist eine Stimme aus Afrika, die seit Kurzem auch in Deutschland Aufsehen erregt. Mabanckou wurde 1966 in der Republik Kongo geboren, seine Mutter war Analphabetin. Er wurde in Frankreich bekannt, in Deutschland sind seine neuesten Romane bereits erschienen. Nur folgt mit "Verre Cassé" ein Buch von 2005.

Von Tanya Lieske | 26.08.2013
    Mit einem Stipendium 1989 verlässt er seine Heimat, Studium der Rechtswissenschaften in Paris. Sein Debütroman 1998 bringt ihm den Grand Prix littéraire d’Afrique noire ein. 2012 wird er von der Académie Francaise für sein Gesamtwerk mit dem Grand Prix de Littérature ausgezeichnet. Lebt in Paris und Los Angeles, wo er Kreatives Schreiben unterrichtet.
    Sein deutscher Verlag ist Liebeskind, die zunächst seine neuesten Romane veröffentlichten, und mit der Übersetzung von Verre Cassé nun einen Roman von 2005


    Manchmal gibt es Autoren, die mit ihrer Person und ihrem Werk zur Stimme werden für eine Epoche, für eine Zeit, oder für ein ganzes Land. Der französisch schreibende, 1966 in der ehemaligen Kolonie Kongo geborene Autor Alain Mabanckou besitzt eine solche Stimme. Sein Werk, bestehend aus acht Romanen und sechs Gedichtbänden, wird seit Jahren in Frankreich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Neben den literarischen Qualitäten bezieht dieses Werk seinen Glanz auch aus einem fast paradox anmutenden Umstand. Ohne die Republik Kongo, ihre besondere Tradition und ihre Sprachen, auf die Mabanckou fortwährend zurückgreift, wäre dieses Werk nicht denkbar. In der Republik Kongo hätte es aber kaum Überlebenschancen. Das bis 2003 von einem Bürgerkrieg geschüttelte Land verfügt über kein nennenswertes Verlagswesen. Es brauchte die Emigration und den Blick zurück, um ein Werk wie das von Alain Mabanckou ins Leben zu rufen. Alain Mabanckou:

    "Die meisten afrikanischen Sprachen, die ich spreche, sind mündliche Sprachen. Es sind keine Schriftsprachen wie etwas das Suaheli. Ich spreche fünf oder sechs Sprachen, in denen es keine Bücher gibt. Würde ich in diesen Sprachen schreiben, gäbe es niemanden, der diese Bücher lesen würde. Also blieb mir nur die erste Fremdsprache, die ich gelernt habe, und das war die französische Sprache. Deshalb sind alle meine Bücher auf Französisch geschrieben."

    Aus der Spannung zwischen Herkunft und Fremde beziehen diese Bücher ihre eigene Energie. Dem kometenhaften Erfolg Alain Mabanckous hat es sicher geholfen, dass der die Mechanik westlicher Kulturbetriebe schnell begriffen hat, dass er ihre Erwartungen nach Klischees manchmal bedient, manchmal auch souverän durchbricht. In seinem 2009 in Deutschland erschienenen Roman Black Bazar beispielsweise, der in dem fast schon mythisch konnotierten schwarzen Emigrantenviertel Goutte d’Or in Paris spielt, nimmt er die eigenen Landsleute auf die Schippe. Mabanckou weigert sich, ins postkoloniale Klagelied einzustimmen.

    "Es bringt ja nichts, immer nur die eine Seite zu kritisieren. Normalerweise nörgeln die Afrikaner von morgens bis abends an Europa rum. Europa hat uns dieses und jenes angetan, wenn wir auf die Nase fallen, liegt es daran, dass Europa dafür verantwortlich ist, wenn Afrika leidet, liegt es daran, dass die Europäer es ausplündern - all das stimmt ja auch. Aber man muss auch objektiv bleiben, man muss sich fragen, tragen wir, die Afrikaner, nicht auch einen Teil der Verantwortung für die Leiden Afrikas?"

    "Verre Cassé", "Zerbrochenes Glas", der nun ins Deutsche übersetzte Roman von Alain Mabanckou, ist im französischen Original schon 2005, also vier Jahre vor Black Bazar erschienen, und wirkt in vieler Hinsicht wie eine Studie zu eben diesem Roman. Beide sind ein Tresen-Roman: Zentraler Ort ist eine Bar, in der gescheiterte Existenzen verkehren. Allerdings liegt diese Bar diesmal nicht in der Goutte d’Or, sondern mitten in Kongos Hauptstadt Brazzaville. Das Elend des Landes, der Stadt, wird nur skizziert, taucht in dem Schlamm auf, in dem man steht, wenn man das Lokal mit dem Namen "Angeschrieben wird nicht" verlässt; in den mageren Hunden, die sich dann einstellen und, natürlich, in den gebrochenen Existenzen, die einander schon mal das Wort "Neger" an den Kopf werfen. "Chefneger", wenn von dem Präsidenten der jungen Demokratie die Rede ist oder auch "Banania Neger", wenn jemand eine ganz ausgesuchte Beleidigung verteilt. Ähnlich dem Sarotti-Mohr zierte in Frankreich lange eine schwarze Figur jenes Kakaogetränk mit Bananengeschmack namens "Banania". Man merkt schon, der Rassismus ist bei Alain Mabanckou das Komplementärstück zum Euro-Zentrismus. Beides ist in seinen Romanen komisch.

    "Punkt zwölf Uhr mittags, als sich die Bevölkerung gerade an den Tisch setzte, um ihr Fahrrad-Hähnchen zu genießen, nahm der Oberbefehlshaber-Präsident alle Radiosender und den einzigen Fernsehsender in Beschlag, die Lage war ernst, (...) und nachdem er sich geräuspert hatte, um sein Lampenfieber zu vertreiben, begann er, die europäischen Länder zu kritisieren, die uns mit der Sonne der Unabhängigkeit zum Narren gehalten hätten, während wir auch weiterhin von ihnen abhängig waren, schließlich hätten wir noch immer eine Avenue du General-de-Gaulle (...) wohingegen es in Europa noch immer keine Avenuen gebe, die nach Mobutu Sese Seko, Idi Amin Dada oder Jean-Bédel Bokassa benannt sind (...), die er gekannt und für ihre Loyalität, ihre Menschlichkeit und ihre Achtung der Menschenrechte geschätzt habe."

    Dieser Roman kommt ohne Satzzeichen aus. Er ist die monologische Wiedergabe eines Textes, den ein Stammgast der Bar "Angeschrieben wird nicht" in ein Heft schreibt. Der Wirt hat ihn darum gebeten. Am Ende soll das Heft zerrissen werden. Die behauptete, quasi postmoderne Vorläufigkeit des schriftlichen Unternehmens paart sich mit ihrem entschiedenen Anschluss an die mündliche Erzähltradition aller Figuren, die darin vorkommen. Selbst wenn man die vielen Anspielungen auf afrikanische Mythen und Legenden nicht versteht, ihre Vibration ist in dem Text spürbar, der übrigens am besten laut genossen wird.

    "Die mündliche Erzähltradition ist für dieses Buch ganz entscheidend. Es soll fast ein gesprochenes Buch sein. Ich bewundere die mündliche, die schöne Rede fast mehr als das, was schön geschrieben ist. Eine besonders schöne Rede ist inspiriert. In der mündlichen Tradition, in der ich stehe, das ist die aus Kongo-Brazzaville, ist die mündliche Rede wichtiger als das, was geschrieben ist. Wissen Sie, ein geschriebenes Stück kann man zerreißen, eine Rede aber kann man nicht zerreißen. Wenn eine Rede entsteht, dann segnet sie den Zuhörer. Man kann ihr nicht entziehen. Deshalb geht es in meinem Buch Verre Cassé um die Sprache, allerdings wird sie durch die Schrift gestützt."

    Für den an europäischen Literaturen geschulten Leser gibt es noch ein anderes Vergnügen. Der Roman Verre Cassé jongliert mit Versatzstücken, Zitaten und Verweisen auf den klassischen Kanon der abendländischen Literatur. Beim Leser stellt sich eine Kreuz-Worträtsel oder auch Sudoku-Freude ein, wenn die Verkäuferin namens "Kahle Sängerin" zu Samuel Beckett führt; der Garten, den es zu kultivieren gilt, zu Voltaire; und war da nicht was mit dem Titel, Zerbrochenes Glas?

    "Ja, Verre Cassé ist auch ein Buch über die Literatur. Im Inneren plaudert ja der Erzähler, aber manchmal tauchen in seiner Rede die Titel von Büchern auf, darunter auch die von einem Autor, der in Deutschland lebt, den ich sehr lieber, Günter Grass, der die Blechtrommel geschrieben hat. Ich mag es sehr, wenn die Literatur auch eine Tatsache ist. Also, es gibt all diese Einflüsse, ein Großteil meiner eigenen Bibliothek findet sich in Verre Cassée wieder, mit Autoren aus Frankreich, Russland, Afrika, Deutschland, all diese Autoren kommen vor."

    Gewiss, erzählerisches Understatement oder auktoriale Bescheidenheit sähen anders aus. Doch Alain Mabanckou füllt die Rolle, die er für sich entworfen hat, als Autor wie als Mensch. Er ist der Botschafter einer reichen Kultur. Und er hat die Spielregeln der zweiten Kultur, in der er nun zu Hause ist, verinnerlicht. Zu Interviews erscheint Mabanckou elegant gekleidet, gerne im Maßanzug, der den Dandy zitiert, und zurück verweist auf eine Generation im Kongo, die sich auch durch ihr Äußeres von den marxistischen Ideen der Elterngeneration distanziert. Überhaupt, die Ideologie hat ausgedient. Humanität entsteht nicht in Parolen, sondern in dem genauen, man möchte fast sagen zärtlichen Blick des Autors auf seine Figuren. In ihrem Schatten stehen jene Millionen von Menschen, die noch nicht Teil haben am großen Glück der Erde.

    "Ich spreche gerne über die sogenannten kleinen Leute, die Armen, deren Leben einen Sprung hat, weil genau das die Literatur ausmacht. Es gibt die Literatur ja nicht, weil alles in bester Ordnung ist, sondern weil es in der Gesellschaft nicht rund läuft, die Missstände aufzuzeigen ist eine Aufgabe der Literatur. Es liegt auch eine besondere Schönheit in Menschen, deren Leben zerbrochen ist, denn sie wollen sich wieder aufrichten, sie wollen ihr Leben in den Griff bekommen. Wenn das nicht gelingt, sagen sie sich, ich will aus meinem Unglück etwas neues Schaffen, andere Lösungen finden."