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Ein charismatischer Idealist

Unter dem Namen Lawrence von Arabien wurde der englische Archäologe und Offizier Thomas Edward Lawrence schon zu Lebzeiten eine Legende. Dabei sah er seine Arbeit als gescheitert an und starb von Schuldgefühlen geplagt.

Von Ruth Fühner | 15.08.2013
    Wenn eine der kriegerischen Gestalten des 20. Jahrhunderts das Zeug zum Mythos hatte, dann er: Thomas Edward Lawrence, britischer Offizier und Geheimagent, Archäologe und Schriftsteller. Charismatischer Idealist. Kenner, Freund und Förderer der Araber, tragischer Filmheld: Lawrence von Arabien.

    Geboren wurde T. E. Lawrence am 15. oder 16. August 1888 in Wales, er war der zweitälteste von fünf unehelichen Söhnen eines Landadligen und eines Kindermädchens. Schon als Student durchwanderte er Syrien und Palästina, um die Architektur der Kreuzfahrerburgen zu studieren. Er lernte Arabisch und nahm an Ausgrabungen teil. Das mittelalterliche Bild des Rittertums faszinierte ihn – dabei war er selbst alles andere als ein Kreuzfahrer. Seine Mission sah er darin, den bewunderten Beduinen zu einer eigenen Nation zu verhelfen. Im Ersten Weltkrieg sah er die Chance dafür.

    "Was versprechen sich diese Leute Ihrer Meinung nach von diesem Krieg?"
    "Sie versprechen sich ihre Freiheit."
    "Sie kommt und geht jeden Augenblick."
    "Sie werden sie bekommen, Mister Bentley. Ich werde sie ihnen geben","

    erklärte Lawrence selbstbewusst in einem Interview, und um dieses Ziel zu erreichen, stellte er seine intime Kenntnis der arabischen Kultur und seine freundschaftlichen Kontakte bereitwillig dem britischen Geheimdienst zur Verfügung. Mit dem Weltkrieg wurde er zum Verbindungsmann zwischen den Briten und den Anhängern des Emirs von Mekka, die den Aufstand gegen das Osmanische Reich wagten. Mit Faisal, dem Sohn des Emirs, verband ihn eine enge Freundschaft; von ihm kam die Idee, die britische Uniform gegen das lose Gewand und das Kopftuch der Beduinen einzutauschen, die zu Lawrence‘ Markenzeichen werden sollten.

    "Wir alle waren überwältigt, wegen der Weite des Landes, des Geschmacks des Windes, des Sonnenlichts und der Hoffnungen, für die wir arbeiteten. Die Morgenluft einer zukünftigen Welt berauschte uns."

    Zusammen perfektionierten Lawrence und die arabischen Stämme eine Guerillataktik, die die viel stärkeren türkischen Truppen nachhaltig schwächte – durch Sprengstoffanschläge auf Eisenbahnlinien und Wasserverbindungen, schließlich durch die Eroberung der Hafenstadt Akaba. Der größte Erfolg der arabischen Unabhängigkeitskämpfer schien die Einnahme von Damaskus am 1. Oktober 1918 zu sein. Sie wurde zu Lawrence‘ größter Niederlage.

    ""Die Engländer haben auf öde Landstriche immer großen Appetit. Ich fürchte, sie haben Appetit auf Arabien."

    Tatsächlich marschierten kurz nach den Arabern britische Truppen in Damaskus ein. Lawrence hatte die Pläne der Briten und Franzosen gekannt, den Nahen Osten nach dem Krieg unter sich aufzuteilen, ohne Berücksichtigung der arabischen Freiheitsbewegung. Vergeblich versuchte er, den Verrat wiedergutzumachen und setzte sich bei den folgenden Friedenskonferenzen für seine arabischen Freunde ein. Wegen seiner Zusammenarbeit mit den Europäern von Schuldgefühlen geplagt, lehnte er alle Auszeichnungen und öffentlichen Posten ab. Ebenso die Tantiemen aus dem Buch "Die sieben Säulen der Weisheit", in dem er seine Erlebnisse und seine enttäuschten Hoffnungen festhielt – heute ein Klassiker der Weltliteratur.

    "(…) als wir siegten und die neue Welt dämmerte, da kamen wieder die alten Männer und nahmen unseren Sieg, um ihn der früheren Welt anzupassen, die sie kannten (…)."
    Bis zu dem Motorradunfall, an dessen Folgen er am 19. Mai 1935 starb, versuchte Lawrence mehr oder weniger erfolgreich, in die Anonymität abzutauchen. Doch die Legendenbildung um seine Person hatte sich schon verselbstständigt. Er selbst hatte dem Journalisten Lowell Thomas erlaubt, den arabischen Aufstand zu filmen. Der garnierte die Aufnahmen marktschreierisch mit Live-Militärmusik und Schleiertänzerinnen und tourte damit durch die englischsprachige Welt. Endgültig zum Mythos aber wurde der gescheiterte Idealist 1962 durch das oscarprämierte Breitwandepos "Lawrence von Arabien" mit Peter O’Toole in der Titelrolle. Mit einem Zitat von Winston Churchill machte der Film Lawrence zum Fixstern am Himmel der toten weißen Männer.

    "Sein Name wird in der Geschichte weiterleben. Er wird lebendig bleiben in den Annalen des Krieges. Und in den Legenden Arabiens."