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Ein chronischer Patient

"Wir brauchen Hilfe", diese Forderung richten die deutschen Krankenhäuser immer wieder an die Politik. Es fehlt an Geld, aber auch an klaren Absprachen, wer im Gesundheitswesen wofür verantwortlich ist. Die Ökonomisierung der medizinischen Versorgung hat auch das Arzt-Patienten-Verhältnis verändert.

Von Nikolaus Nützel | 19.06.2013
    "Also, da sehen wir schön, wie die Klappe auf- und zugeht. Ist da der beschichtete Ring drum? Ist das die? Und dieses Blaue ist Blut, was in die falsche Richtung fließt."

    Ein Dienstagmorgen im Krankenhaus Martha Maria in Nürnberg. Doktor Karsten Pohle untersucht eine Patientin, die vor einiger Zeit einen Ring um eine Herzklappe eingesetzt bekommen hat. Sie klagt erneut über Beschwerden vor allem beim Atmen. Der Arzt erklärt ihr, dass es etwas Zeit braucht, herauszufinden, was die Ursache sein könnte.

    "Was wir jetzt machen wollen, ist, dass Sie sich einfach eine Viertelstunde Zeit nehmen und ein bisschen rumlaufen, und dann sehe ich Sie nachher nach dem Treppensteigen und dann schauen wir in einer Viertelstunde noch mal drauf."

    Einige Zimmer weiter liegt ein Patient, der mit einem Herzinfarkt eingewiesen wurde.

    "Das Ganze war ja am Samstag, wo sich diese Sache eigentlich abgespielt hat, und ich habe es erst am Montag untersuchen lassen."
    "Und was war am Samstag gewesen?"
    "Ja, da war es extrem."
    "Was haben Sie denn gespürt?"
    "Ja, brennen, stechen."
    "Auf der Brust?"
    "Ja, Druck, ausstrahlend in den Arm."

    Der Infarkt ist einigermaßen glimpflich verlaufen. Insgesamt aber hat der Patient eine ganze Reihe von Problemen. Um die anzugehen, sei etwas ganz Grundsätzliches nötig, meint Karsten Pohle:

    "Ich glaube, da ist jetzt ein wichtiger Schritt, erst einmal Vertrauen zu bilden. Denn wir sehen, er hat große Probleme in seinem Gesamtumfeld, die er bislang versucht hat, komplett alleine zu lösen. Er hat ein Alkoholproblem, er hat sich schlecht ernährt, er ist stark übergewichtig, er hat durch das viele Rauchen eine Lungenerkrankung. Und ich glaube, für uns wird jetzt im ersten Schritt wichtig sein, wie gesagt, eine Vertrauensbasis zu schaffen, dass er sich uns gegenüber öffnet und uns so ein bisschen an sich heranlässt, und um ihm dann klarzumachen: Du brauchst Hilfe."

    Hilfe und Vertrauen – diese beiden Stichwörter spielen auch eine zentrale Rolle, wenn über die Lage der deutschen Krankenhäuser diskutiert wird. "Wir brauchen Hilfe", diese Forderung richten die deutschen Krankenhäuser immer wieder an die Politik. Den allergrößten Teil ihrer Einnahmen erhalten die Kliniken von den Krankenversicherern – und hier wiederum entfällt der Löwenanteil auf das, was die gesetzlichen Kassen für die Behandlung ihrer Versicherten zahlen. Daneben erhalten die Krankenhäuser von den Bundesländern Geld für ihre Investitionen etwa in Gebäude. Diese Mittel fließen allerdings von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Keinen Unterschied macht es, wer der Träger eines Krankenhauses ist. Egal ob eine Klinik einem Landkreis gehört oder ob ein Privatunternehmen oder die Kirche der Betreiber ist – sie müssen alle gleichermaßen die Patienten behandeln, die zu ihnen kommen, und sie erhalten alle dieselbe Bezahlung dafür.

    Seit Jahren allerdings steigen die Ausgaben für Löhne oder Energie schneller als die Einnahmen, sagt der Geschäftsführer des Nürnberger Martha-Maria-Krankenhauses, Walter Seiler.

    "Das kann man mal ein oder zwei oder drei Jahre mitmachen, dass man weniger bekommt, als man ausgibt, aber langfristig, das weiß jeder, der eine Haushaltskasse hat, ist irgendwann auch Feierabend."

    Die Bundesregierung hat den Krankenhäusern ein Hilfspaket in Aussicht gestellt. Die Regierung will dafür sorgen, dass vor allem die gesetzlichen Kassen ihre Zahlungen ausweiten. Auf diese Weise soll zusätzlich grob gerechnet eine Milliarde Euro fließen, über die 64 Milliarden hinaus, die eigentlich für dieses Jahr eingeplant sind. Für das Krankenhaus Martha Maria, das mit 330 Betten eine recht typische Größe für ein Durchschnittskrankenhaus hat, könnte die Finanzspritze bedeuten, dass etwa 200.000 Euro zusätzlich hereinkommen. Der Geschäftsführer Seiler fürchtet allerdings, dass dieses Geld keine dauerhafte Entlastung bringt.

    "Die entscheidende Frage wird sein, wie langfristig sind die Konzepte. Denn wenn wir dieses Jahr zum Beispiel 200.000 Euro mehr bekommen würden, könnten wir uns beispielsweise entscheiden, drei oder vier Schwestern mehr einzustellen. Nur wenn wir die einstellen, dann müssen wir natürlich auch wissen, was machen wir nächstes Jahr mit denen? Und diese Antwort hat die Politik noch nicht."

    Sein eigenes Krankenhaus mache keinen Verlust, betont Seiler. Allerdings ist die Zahl der Kliniken, die im Defizit stecken, zuletzt sprunghaft angestiegen. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat Jahresabschlüsse ausgewertet – mit einem erschreckenden Ergebnis, meint Boris Augurzky vom RWI.

    "2010 war noch ein relativ gutes Jahr, dann kam 2011 ein starker Einbruch. Krankenhäuser mit einem Jahresverlust, das waren 2010 16 Prozent, sind dann 2011 hoch auf 32 Prozent. Also eine Verdoppelung dieses Anteils mit Verlust."

    Und die Lage habe sich in letzter Zeit nicht verbessert, erklären die Wirtschaftsforscher des RWI. Sie halten daher rund jede vierte Klinik in Deutschland für insolvenzgefährdet. Aber nicht nur solche Zahlen sorgen immer wieder für Unruhe in den Krankenhäusern. Auch andere Statistiken sorgen für Kontroversen. Bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie vor wenigen Wochen in München stand das Thema "überflüssige Operationen" auf der Tagesordnung. Der Präsident der Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Stefan Post, stellte Daten vor, wonach es in Deutschland wesentlich mehr Operationen an der Hüfte oder am Rücken gibt als in vergleichbaren Ländern. Auch in anderen Feldern liege Deutschland vorn, erklärt Stefan Post.

    "Aus meinem eigenen Bereich, also der Bauchchirurgie und der allgemeinen Chirurgie, ist es so, dass mehr Gallenblasenoperationen gemacht werden als in vergleichbaren Ländern, mehr Darmoperationen, mehr Schilddrüsenoperationen gemacht werden als in vergleichbaren anderen Ländern und auch – zumindest im stationären Bereich - mehr Leistenbruchoperationen gemacht werden."

    Die Erklärung sei relativ einfach, sagt der Chirurg. Das Vergütungssystem sieht vor, dass zusätzliche Behandlungen zusätzliches Geld ins Krankenhaus bringen. Wenn das Geld knapp ist, sei deshalb die Versuchung groß, mehr Eingriffe vorzunehmen. Gut für die Patienten sei das aber nicht, kritisiert der Chirurgenchef. Ihm wäre es lieber, wenn Krankenhäuser dafür belohnt würden, wenn sie messbare Qualität liefern. In vielen Bereichen sei völlig unklar, mit welchem Erfolg Krankenhäuser ihre Patienten behandeln, sagt Stefan Post. Und dort, wo Qualitätskriterien gemessen werden, etwa die Zahl der Komplikationen nach einem Eingriff, gebe es mitunter besorgniserregende Daten. So gibt es ein Programm, in dem die Ergebnisse bei der Behandlung von Darmkrebs ausgewertet werden. An dieser freiwilligen Erhebung nimmt aber nur ein Drittel der entsprechenden Kliniken teil.

    "Von diesem einen Drittel schon, und das sind die engagiertesten, weil es ein freiwilliges System ist, sehen wir schon: Die Streuung der Behandlungsqualität, die Komplikationsraten zum Beispiel, sind enorm. Wenn wir jetzt das noch ausweiten auf das Gesamte, die anderen zwei Drittel dazunehmen, ist offensichtlich, dass wir dort zwar sicherlich Spitzenmedizin an etlichen Stellen in Deutschland haben, aber keineswegs sicher sein können, sondern im Gegenteil große Zweifel haben müssen, dass wir in der Breite in jedem Krankenhaus, in jeder Krankenhausabteilung die optimale Qualität haben."

    Allerdings ist es ausgesprochen schwer, etwas im deutschen Krankenhauswesen zu steuern. Die Rahmengesetze werden auf Bundesebene erlassen. Die Frage, wo wie viele Krankenhäuser mit welchen Abteilungen stehen, regeln hingegen die Bundesländer, auch Kommunalpolitiker reden dabei mit. Bei der Frage, wie das Geld im Einzelnen verteilt wird, stehen auf der einen Seite rund 2000 Kliniken, die zum Teil von den Städten und Gemeinden betrieben werden, zum Teil von den Universitäten, zum Teil von kirchlichen und weltlichen Wohlfahrtsverbänden wie Rotes Kreuz, Caritas oder Diakonie – und schließlich auch von privaten Trägern. Dieser bunten Gruppe stehen auf der anderen Seite gut 200 gesetzliche und private Krankenversicherer gegenüber. Die Sprache, in der hier geredet wird, ist eine durch und durch wirtschaftliche. Es geht um Standorte, Entgelte, Budgets. Peter Hoffmann, der in München an einem kommunalen Krankenhaus als Anästhesist arbeitet und der als Betriebsrat die Interessen der Beschäftigten vertritt, sieht darin das zentrale Problem:

    "Der Grundfehler in der Medizin ist: Gesundheit ist keine Ware, medizinische Leistungen sind kein Produkt, und unsere Patienten sind keine Kunden. Und wir sind in einer marktwirtschaftlichen Logik drin, die manchen wahnsinnig intelligent vorkommt, die aber dazu führt, dass das Ganze wie ein Wirtschaftsunternehmen oder ein Wirtschaftssektor geführt wird. Und damit werden wir aber den Bedürfnissen nicht gerecht. Wie verkaufen immer mehr Produkte, das einzelne Produkt zu einem geringeren Preis, aber immer mehr Produkte. Das ist aber gar nicht das, was die Patienten brauchen."

    Hoffmann wünscht sich daher so weit wie möglich eine Abkehr von der Logik des Marktes. Bei vielen seiner Kollegen findet er damit grundsätzlich Zustimmung. Aber oft eben nur grundsätzlich. Roswitha Müller etwa formuliert vorsichtiger als Peter Hoffmann. Sie ist im geschäftsführenden Vorstand des diakonischen Krankenhausverbundes Martha, der in vier Bundesländern Kliniken und Pflegeeinrichtung betreibt. Die Diakonissin macht durch Tracht und Haube auch äußerlich deutlich, dass sie einer christlichen Gemeinschaft angehört – dennoch hat sie keine Scheu vor Begriffen aus der Wirtschaft.

    "Auch wir sprechen im internen Bereich von unseren Kunden, weil wir wissen, dass wenn die Menschen zu uns kommen und die Krankenkassen für sie bezahlen, dann leben auch wir davon. Und auch wir müssen wirtschaftlich arbeiten, wir können uns nicht mit einer roten Zahl zufriedengeben."

    Und Walter Seiler, der im Krankenhausverbund Martha Maria Geschäftsführer ist, weist den Vorwurf zurück, dass Patienten nur als Objekte gesehen würden, mit denen sich Umsätze steigern lassen. Das sei bei seinem Haus definitiv nicht der Fall, meint Seiler, aber er nimmt auch seine Konkurrenten in Schutz.

    "Für Martha Maria, aber auch für meine Kollegen in den anderen Trägerschaften der Nürnberger Krankenhäuser, was ich wahrnehme, kann ich sagen, dass ich nicht glaube, dass künstlich Zahlen hochgedrückt werden - auf gut Deutsch jemand operiert wird, wo es nicht unbedingt notwendig wäre. Ich glaube, dass unsere Mitarbeiter sehr verantwortungsvoll damit umgehen."

    Auch bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft wehrt man sich gegen den Vorwurf, die Kliniken würden sich ihre Geldprobleme selbst schaffen, indem sie wie im Hamsterrad unnötig viele Eingriffe vornähmen. Siegfried Hasenbein, der im Präsidium der Krankenhausgesellschaft sitzt, sieht eine andere Entwicklung im Vordergrund.

    "Krankenhäuser und Ärzte sind – Gott sei Dank - in der Lage, inzwischen Eingriffe vorzunehmen, insbesondere ältere Menschen behandeln zu können, was vor Jahren noch nicht möglich war. Und mir fehlt völlig in der Diskussion, dass dies eine positive Entwicklung ist."

    Und der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, geht beim Thema Operationszahlen in die Gegenoffensive. Er hält es durchaus für ein Zeichen der Leistungsfähigkeit eines Gesundheitssystems, wenn in den Krankenhäusern viele Operationen vorgenommen werden.

    "Ich halte es übrigens auch für jeden Menschen, der mal die Schmerzen eines lange dauernden Hüftgelenksverschleißes erlebt hat, für eine Gnade und für einen Segen, dass man bei uns relativ schnell relativ zügig und schon bei gering ausgeprägter Schmerzsymptomatik in den Genuss einer neuen Hüfte kommen kann. Das geht eben heute mit modernem Operationsverfahren, und ich sehe darin eher einen Vorteil des deutschen Systems."

    Das System hat aber auch Probleme, stellt Montgomery fest. Das Denken in wirtschaftlichen Kategorien sei die oberste Regel geworden. So wundert es den Ärztepräsidenten nicht, dass sich die Struktur der Krankenhauslandschaft deutlich verändert hat. Anfang der 90er-Jahre wurden mehr als 40 Prozent der Kliniken von Städten, Landkreisen oder Universitäten betrieben. Weitere 40 Prozent entfielen auf Wohlfahrtsverbände wie die evangelische Diakonie oder die katholische Caritas. Private Träger kamen nur auf gut 15 Prozent. Doch in den vergangenen zwei Jahrzehnten konnten private Träger ihren Marktanteil mehr als verdoppeln, während die Kirchen oder Städte und Gemeinden Kliniken an die privaten abgegeben oder ganz geschlossen haben. Die Privaten kommen offensichtlich mit den marktwirtschaftlichen Mechanismen besonders gut zurecht – ob einem das gefalle oder nicht, meint Montgomery:

    "Fakt ist aber, dass durch die Vergütungssysteme heute alle über einen Kamm geschoren werden und deswegen der Verwaltungsdirektor eines noch so katholisch geprägten Krankenhauses vor denselben ökonomischen Problemen steht wie der Verwaltungsdirektor einer hoch spezialisierten Herzklinik, die als GmbH ausgelagert ist an einer Uniklinik."

    Zu diesen Problemen gehört es, dass in der modernen Medizin weit mehr möglich ist als noch vor 20 Jahren – die Frage, die in den Kliniken jeden Tag neu beantwortet werden muss, lautet: Was ist sinnvoll? Im Nürnberger Krankenhaus Martha Maria untersucht der Chefarzt Karsten Pohle eine Patientin, die eigentlich wegen Herzproblemen ins Krankenhaus gekommen war.

    Doch bei einer Untersuchung wurden auch Krebszellen gefunden. Um zu klären, wo diese Zellen herkommen, wirft das Krankenhaus den ganzen Apparat moderner Diagnostik an, erklärt der Arzt der Patientin.

    "Wir versuchen jetzt mal Folgendes: Wir sammeln erst einmal alle Befunde, und das ist in der Organmedizin einfach so: Wir haben auffällige Zellen gesehen bei Ihnen, und wir müssen jetzt wissen, wo kommt das her?"

    Nicht nur Operationen sind teuer, sondern auch Untersuchungen. Doch dass es Verschwendung in dem Krankenhaus gebe, kann die Patientin nicht finden. Die Nacht zuvor habe sie vier Stunden gewartet, bis ein Arzt sich um ihre Schmerzen gekümmert hat. Das macht sie den Ärzten aber nicht zum Vorwurf.

    "Die sind unterbesetzt. Wie soll denn jemand parat sein bei jemandem auf der Intensivstation, der am seidenen Faden hängt, dann kommt der nächste Fall in der Notaufnahme angedüst. Und dann sind noch ein paar Leute auf den Stationen, die sich dann vier Stunden drehen und wenden vor Schmerzen wie ich zwischendurch, und dann ist doch logisch, dass der arme Mensch, Arzt, Ärztin sagt: Wie denn? Zerteilen kann ich mich nicht. Gehe ich dahin? Gehe ich dorthin? Das ist eine Kostenfrage, nichts anderes. Ich habe das mal überlegt, im Grunde sind es drei zusätzliche Stellen, das ist das Manko."

    Falsche wirtschaftliche Anreize, aber auch medizinischer Fortschritt - die Liste der Gründe, warum in deutschen Krankenhäusern immer mehr Eingriffe vorgenommen werden und warum das Geld anscheinend an vielen Stellen nicht reicht, lässt sich weiter verlängern.

    Die Krankenschwester Christine Huhnt nimmt auf der Station für Innere Medizin gerade eine Patientin auf, die immer wieder kommt.

    "Wo waren Sie denn das letzte Mal in welchem Zimmer? Können Sie sich noch erinnern?"

    Die 91-Jährige hat Atemprobleme. Diese sind nicht allzu schwerwiegend – aber schwer genug, dass das Krankenhaus die alte Frau erst einmal dabehält.

    Die Krankenschwester weiß, dass es auf ihrer Station viele Patienten gibt, die eigentlich auch im eigenen Zuhause versorgt werden könnten. Das würde aber voraussetzen, dass es Angehörige und niedergelassene Ärzte gibt, die alles Notwendige übernehmen.

    "Auf der anderen Seite kriegen wir auch Patienten, wo niemand da ist. Wenn man weiß, die müsste nicht ins Krankenhaus, aber wenn dann zum Beispiel die Nachbarn merken, oh, die geht seit Tagen nicht mehr aus dem Haus, da muss mal jemand nachschauen, dann kommt die Feuerwehr, macht die Tür auf, und dann sieht man das Desaster. Die könnten auch anders aufgefangen werden, aber erst mal muss man natürlich gucken, die werden hier aufgehoben, und wir gucken dann auch, wie's weitergeht mit den Leuten."

    Wie es weitergeht mit Patienten, wie sie sich zwischen den sogenannten Sektoren hin- und herbewegen, das ist eine der Fragen, über die immer wieder Streit aufkommt. Der Geschäftsführer des Krankenhauses Martha Maria, Walter Seiler, ärgert sich über den tiefen Graben, der seiner Ansicht nach noch immer zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung klafft.

    "Wenn ein Patient hier ins Krankenhaus kommt, nehmen wir an, er wird hier operiert und er hat noch eine Nachsorgeuntersuchung, die sinnvollerweise doch vielleicht sein eigener Operateur machen sollte, weil er weiß, wie die Naht war - das dürfen wir so nicht machen. Dann müssen wir sagen, er muss zum nächsten. Dann muss alles wieder neu aufgenommen werden. Macht das Sinn? Ich glaube nicht."

    Von "Schnittstellenproblemen" zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Krankenhäusern sprechen Gesundheitsexperten immer wieder. Peter Hoffmann, der in München an einer kommunalen Klinik als Anästhesist arbeitet, hat in den mehr als 20 Jahren, die er in der Klinik ist, nicht den Eindruck gewonnen, dass diese Probleme wesentlich kleiner geworden sind.

    "Das Wissen versickert irgendwo, irgendwer hat's in seiner Akte. Es wird nicht zusammengefasst. Es wird zu wenig nachgedacht und zu wenig zwischen diesen Sektoren miteinander gesprochen, weil man dazu auch nicht wirklich gezwungen ist."

    Dennoch wolle er sich nicht entmutigen lassen, sagt Hoffmann. Als Betriebsrat setzt er sich für bessere Abläufe in seinem Krankenhaus ein – und er macht sich allgemein Gedanken, was sich in den Kliniken verbessern könnte. Nach mehr Geld zu rufen, hält er für keine Lösung.

    "Das Geld reicht. Was wir anfangen müssten, wir müssten die Steuerung, die Steuerung dieser Geldflüsse, und was wir mit dem Geld machen und nicht machen, selber in die Hand kriegen."

    Er wünscht sich ein System, in dem festgestellt wird, welche Aufgaben ein Krankenhaus in einer Region oder in einem Stadtteil übernehmen soll, beispielsweise Notversorgung, bestimmte Eingriffe, Ausbildung von Pflegepersonal. Und dafür, dass das Krankenhaus diese verschiedenen Aufgaben erfüllt, sollte es verschiedene Budgets erhalten – die in der Summe ausreichen könnten, meint Hoffmann.

    "Das wäre eine völlig neue Logik, das hätte auch etwas mit Vertrauen zu tun: Ich gebe Leuten eine bestimmte Aufgabe, kümmer dich um eine bestimmte Aufgabe und dafür erhältst du von uns ein bestimmtes Budget. Und jetzt bitte geh mit diesem Geld professionell und sinnvoll um. Dann könnten wir auch auf unnötige Operationen verzichten."

    Auch Walter Seiler, der Geschäftsführer des Krankenhausverbunds Martha Maria, wünscht sich, dass die Diskussion über Geld in eine andere Richtung geht. Sein Klinikverbund hat sich die Worte "Unternehmen Menschlichkeit" als Motto gewählt. Menschlich zu sein – das ist etwas, was alle Krankenhäuser für sich in Anspruch nehmen. Seiler weiß, dass dieser Begriff aber nicht leer bleiben darf, wenn er nicht zynisch klingen soll.

    "Wir hören natürlich auch die Frage: Unternehmen Menschlichkeit, wie sieht es denn im Alltag aus? Das ist eine spannende Diskussion, die provozieren wir ja geradezu mit dem Slogan."

    Und Seilers Chefarzt Karsten Pohle ergänzt: Krankenhäuser und Ärzte müssen vorsichtig sein, in der Debatte immer das Geld in den Vordergrund zu stellen.

    "Wenn wir als Mediziner nur noch das Thema Geld in jede Diskussion hineinführen, verlassen wir das, weswegen wir Ärzte geworden sind. Und wir verlassen unseren Auftrag, und das schafft einen Vertrauensverlust in die Bevölkerung hinein, den wir einfach mit ausgelöst haben und den wir auch wieder gemeinsam als Ärzte, als Personal eines Krankenhauses wieder korrigieren müssen."