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"Ein Durchbruch ist das nicht"

In zwei Tagen soll in Prag das START-Nachfolgeabkommen unterzeichnet werden: Es sei ein Versuch, Russland in die Raketenabwehr-Architektur einzubinden, sagt der Politologe Johannes Varwick von der Universität Nürnberg-Erlangen. Dennoch hält er "diese Vision einer nuklearwaffenfreien Welt wirklich heute nicht realisierbar".

Johannes Varwick im Gespräch mit Gerwald Herter | 06.04.2010
    Gerwald Herter: Heute wird der amerikanische Präsident, Barack Obama, eine neue US-Strategie für den Umgang mit Nuklearwaffen vorlegen. Übermorgen wird Prag im Zentrum der internationalen Abrüstungspolitik stehen. Der russische Präsident, Dmitri Medwedew, hat sich dort mit Obama verabredet, um das START-Nachfolgeabkommen zu unterzeichnen. Es geht um den Abbau von Atomwaffen und Trägersystemen in russischen und amerikanischen Arsenalen. Aus Obamas Sicht ist es der umfassendste Abrüstungsvertrag der letzten 20 Jahre.
    Trifft das nun zu, oder ist das übertrieben? Professor Johannes Varwick kann uns das sagen. Jetzt ist er bei uns am Telefon. Er forscht und unterrichtet an der Universität Erlangen-Nürnberg politische Wissenschaften, er hat zahlreiche Aufsätze über internationale Sicherheitspolitik und unter anderem ein Buch über die NATO geschrieben. Guten Morgen, Herr Varwick.

    Johannes Varwick: Guten Morgen, Herr Herter!

    Herter: Im Kern geht es bei START um eine Reduzierung der Atomwaffen auf je 1.550 Sprengköpfe und der Trägersysteme auf je 800. Das würde wohl immer noch reichen, um alles Leben auf der Erde mehrmals und nachhaltig zu vernichten. Werden wir der Vision von einer atomwaffenfreien Welt also tatsächlich näher kommen, Herr Varwick?

    Varwick: Wir kommen ihr ein kleines Stück näher, aber ein Durchbruch ist das nicht, zumal man sagen muss, dass der START-Vertrag eben nur die sogenannten strategischen Atomwaffen jetzt begrenzt, aber es gibt eine ganze Reihe an anderen Nuklearwaffen, taktischen Nuklearwaffen kleinerer, mittlerer Reichweite, die bleiben völlig unberührt von diesem Abkommen und da hat Russland und die USA nach wie vor ein riesiges Arsenal. Und man muss auch sagen, dass diese strategischen Nuklearwaffen, um die es jetzt übermorgen in Prag geht, ihre Funktion ohnehin weitgehend schon verloren haben. Das heißt, da wird was abgerüstet, was man eigentlich in der heutigen Logik der internationalen Politik ohnehin nicht mehr braucht. Also ich würde ein großes "Aber" an diese nuklearwaffenfreie Welt setzen. Gleichwohl bleibt das eine Entwicklung, die durchaus positiv ist, aber die man eben doch noch sehr, sehr viel weitergehender denken muss.

    Herter: Obama plant noch Größeres. Nächste Woche wird in Washington ein Nukleargipfel stattfinden. Er wird zahlreiche Staats- und Regierungschefs empfangen. Wie weit kann Obama aber gehen? Wie weit kann er die Atommacht USA schwächen?

    Varwick: Obama hat auch in seiner Rede, wo er dieses sogenannten "Global Zero", also die radikale Abrüstung aller Nuklearwaffen, im vergangenen Jahr angekündigt hat, deutlich gesagt, solange Kernwaffen existieren, dass die USA auch ein Arsenal behalten werden, um jeden Gegner abzuschrecken, und im Übrigen diesen Schutz auch ihren Verbündeten zukommen lassen wollen. Das heißt, das ist wirklich ein Zielwert, diese Abschaffung aller Nuklearwaffen, der heute nicht in Sicht ist. Mir scheint die US-Strategie auf mehreren Füßen zu ruhen. Das ist einmal jetzt die START-Verhandlung, die erfolgreich war. Dann gibt es diese Überprüfungskonferenz des Nicht-Verbreitungs-Vertrages. Da wird einiges an diplomatischer Energie jetzt reingelegt. Es wird auch debattiert in den USA, den sogenannten Kernwaffenstoppvertrag endlich zu ratifizieren. Das haben die USA bisher nicht getan. Und das wichtigste Element in dieser Strategie scheint mir, dass man den Druck auf die Staaten, die die nukleare Ordnung herausfordern, also an dem Besitz von Atomwaffen arbeiten, wie etwa Iran und Nord-Korea, massiv erhöht. Also es ist ein Gesamtpaket in der amerikanischen Strategie, es ist ein Versuch, dieses Problem Nuklearwaffen in den Griff zu bekommen.

    Herter: Wird das denn Wirkung zeigen? Werden sich nukleare Schwellenländer beeindrucken lassen? Es ist ja ein altes Versprechen der Nuklearmächte, abzurüsten, damit andere nicht aufrüsten.

    Varwick: Richtig, genau das ist die Frage: werden sich die Staaten, die das wollen, Nuklearwaffen zu besitzen, davon beeindrucken lassen? Ich glaube, ohne weiteres nicht, aber man kann versuchen, den Druck zu erhöhen, und das wird jetzt gemacht, und zumal wird man die Balance zwischen Abschreckung und Abwehr gegen solche Bedrohungen neu justieren. Das heißt, man arbeitet derzeit intensiv an einer Schadensbegrenzungs-Option im Sinne von Raketenabwehr und anderen Dingen, und da soll den Staaten gewissermaßen klar gemacht werden, der Preis ist sehr, sehr hoch für den Erwerb von Nuklearwaffen, und da muss die gesamte internationale Gemeinschaft jetzt intensiv zusammenarbeiten, um eben die nukleare Ordnung, die im Moment im Fluss ist und die droht zu kippen, zu erhalten. Nur dann, wenn man die nukleare Ordnung erhält, kann man überhaupt darüber nachdenken, dass man sie eines Tages überwindet. Das ist aber wie gesagt Zukunftsmusik.

    Herter: Sie haben die Raketenabwehrsysteme angesprochen, sagen, es wäre wichtig, wenn hier die internationale Gemeinschaft geschlossen auftrete. Auf der anderen Seite war das natürlich der große Streitpunkt zwischen Moskau und Washington in der Vergangenheit. Wird sich das ausräumen lassen?

    Varwick: Es wird der Versuch gemacht, dass man Russland in diese Raketenabwehr-Architektur einbindet. Ob das gelingt, ist heute offen. Ich denke, wenn die Russen ihre Interessen kühl und nüchtern kalkulieren, dann werden sie eines Tages bei der Raketenabwehr mitmachen. Natürlich muss man ihnen dann auch ein Mitspracherecht einräumen, das ist klar. Aber ich glaube, dass eben Russland genauso von Proliferation, also von der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen negativ betroffen ist, wie die USA auch. Insofern sind die Interessen da eigentlich sehr identisch und ich hoffe, dass es gelingt, die Russen da mit ins Boot zu holen.

    Herter: Was ist denn mit den Interessen anderer traditioneller Atommächte, Großbritannien und Frankreich?

    Varwick: Das ist sicherlich ein weiteres Problem, dass diese Staaten ganz gewiss nicht daran denken, ihre Nuklearwaffen abzurüsten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Alle arbeiten an einer Modernisierung ihrer Nuklearpotenziale, nicht an einem Ausbau, sondern an einer Modernisierung, und insofern ist diese Vision einer nuklearwaffenfreien Welt wirklich heute nicht realisierbar. Es gibt zu viele Staaten, die an ihren Nuklearwaffen festhalten wollen.

    Herter: Nicht zuletzt China!

    Varwick: China ist ein Akteur in diesem Spiel, aber kein zentraler Akteur. Ich glaube, das Hauptproblem ist in der Tat die Frage, wie geht man mit dieser nuklearen Ordnung um, die eben im Kern auf dem Nichtverbreitungsvertrag ruht, wo es fünf Atommächte gibt, die sozusagen legal Atomwaffen haben dürfen, und eine ganze Reihe an Staaten wie etwa Israel, Pakistan, Indien, die jenseits dieses Nichtverbreitungsvertrages sich Atomwaffen zugelegt haben, und da sind die Interessen Chinas und der USA und Russlands gar nicht so weit auseinander. Da sollte es wirklich möglich sein, dass diese drei großen Staaten gemeinsam an dem Erhalt der nuklearen Ordnung arbeiten.

    Herter: Letzte Frage, Herr Professor Varwick, mit der Bitte um eine ganz kurze Antwort. Auch in Deutschland lagern Atomwaffen. Steigen die Chancen, dass die bald aus Deutschland verschwinden?

    Varwick: Ich denke, sie haben ohnehin schon ihre Bedeutung verloren. Die sogenannte nukleare Teilhabe der Bundesrepublik hat eigentlich nur noch eine politische Funktion, keine militärische Funktion, und ich erwarte schon, dass die deutschen Nuklearwaffen, die hier lagern, in Zukunft an Bedeutung abnehmen.

    Herter: Der Politologe Johannes Varwick im Deutschlandfunk über das START-Nachfolgeabkommen. Übermorgen wird es in Prag unterzeichnet. Herr Varwick, danke für Ihre Informationen und Einschätzungen.

    Varwick: Sehr gerne!