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Ein eiskalter Engel

Er drehte nur 13 Filme, gilt aber als einer der einflussreichsten Regisseure des französischen Kinos. Mit seinen stilisierten Gangsterdramen bildete Jean-Pierre Melville nicht nur das kriminelle Milieu der französischen Metropole perfekt und spannend ab. Er spiegelte auch den philosophischen Zeitgeist der 50er und 60er Jahre. Vielleicht deshalb war er für viele junge Regisseure der "Nouvelle Vague" ein Vorbild, und auch weil er stets seine Unabhängigkeit von der Branche und ihren Konventionen wahrte.

Von Josef Schnelle | 20.10.2007
    Eine ganze Generation von Schauspielern unter ihnen Jean-Paul Belmondo, Lino Ventura und Alain Delon verdankt ihm ihren Durchbruch. Delon wurde als "Der eiskalte Engel" 1967 sogar zu seiner Stilikone, die bis in den amerikanischen Film hinein, immer wieder zitiert wird. Besonders herauszuheben ist auch sein autobiografisch getönter Film über die französische Resistance "Armee im Schatten", die seinerzeit als Tabubruch galt.

    Die Helden seiner Gangsterfilme waren von seinem Leben gar nicht zu trennen. Er wusste um die armselige Existenz der Zuhälter in Paris, die er Nacht für Nacht beobachtete. Aber er war fasziniert von ihrer fremden gar nicht so unbürgerlichen Welt. Abends nach den Dreharbeiten stieg Jean-Pierre Melville in seinen weißen Cadillac und fuhr über die Champs-Élysées, wo er die Besucherschlangen vor den Kinos kontrollierte, besonders wenn einer seiner Filme im Kino lief. Er rollte durch die Nacht, meistens allein, manchmal auch mit seiner Frau und Freunden, denen er lange Vorträge über das Kino hielt. Manchmal suchte er auch nach Drehorten für seinen nächsten Film. Paris sollte stets wie Manhattan wirken, denn er bewunderte die amerikanischen Filme der 40er Jahre. Ganze Nächte brachte er so zu. Im Morgengrauen frühstückte er am Place Pigalle. Dann erst legte er sich ins Bett. Den Tag verbrachte er oft ausschließlich mit der Lektüre von Zeitungen und machte sich Notizen zu dem, was er in der Nacht erlebt hatte. Jean-Pierre Melville, der am 20. Oktober 1917 in Paris geboren wurde, drehte 13 Filme, wurde der Filmphilosoph des Existentialismus, und beeinflusste nachhaltig die Generation der Filmemacher der "Nouvelle Vague" - Godard - Truffaut - Chabrol. Er selbst betrachtete den Film, mit dem er Ende der 40er Jahre begann, nicht als Kunst:

    "Kunst existiert nur, wenn der Künstler alleine ist, wenn der schöpferische Mensch total isoliert ist vom Rest der Welt. Deswegen ist das Kino keine Kunst. Kunst ist, wenn einer alleine in seinem Zimmer sitzt und eine Szene schreibt. Dann ja, gleicht das Kino ein wenig der Kunst."

    Jean-Pierre Melville war Sohn eines jüdischen Gemüsegroßhändlers und hieß tatsächlich Pierre Grumbach, bewunderte aber das Werk des Schriftstellers Herman Melville, nach dem er sich nannte. Er hatte in Charles de Gaulles freier französischer Armee in Dünkirchen gekämpft und später in der Resistance, bekam dann aber im Nachkriegsfrankreich nicht einmal eine Lizenz als Regieassistent. Später drehte er einen autobiografisch getönten Film über diese Zeit: "Armee im Schatten". Meist sind Melvilles Filmhelden Gangster, Profikiller und korrupte Polizisten. Sie werden von Frankreichs populärsten Film-Schauspielern wie Jean-Paul Belmondo und Lino Ventura, ganz besonders oft von Alain Delon verkörpert. "Der Teufel mit der weißen Weste" war schon 1961 gewissermaßen der Durchbruch seines strengen Stils und seiner pessimistischen Grundhaltung. In der Gangsterwelt spiegelt sich die bürgerliche französische Gesellschaft, deren Werte längst zerbrochen sind. Der Film mit Jean-Paul Belmondo in der Titelrolle heißt eigentlich "Le Doulos". Es geht um den Hut, den die Spitzel der Polizei tragen, eine Tragödie der Lüge, sagt der Sprecher des Trailers:

    Eisiger Zynismus, Fatalismus und Nihilismus wurden zu Grundlagen des Denkens und Handelns der Protagonisten in Melvilles Schicksalsdramen. Nach den ritterlichen Regeln der Samurais haben die Hauptfiguren in Melvilles Verbrecherdramen eigentlich keine Wahl. Revolver und Hut bestimmen ihr Schicksal. Das gilt besonders für Alain Delon als Jeff Costello 1967 in "Der eiskalte Engel". Sein perfektes Killerleben wird selbst durch eine Gegenüberstellung bei der Polizei nicht enttarnt.

    Am Anfang von "Der eiskalte Engel" liegt Alain Delon, den Melville zu seiner Stilikone machte, minutenlang regungslos auf dem Bett, bevor er seinen nächsten Auftrag ausführt, eine quälende Szene und - passend zum Mythos des Samurai - eine Studie der Einsamkeit des Killers, der sich außerhalb jeder Moral gestellt hat. Die Story ist banal - doch die stilistische Umsetzung ist ganz großes Kino. Am Ende beschließen die Auftraggeber ihren "Eiskalten Engel" auszuschalten. Sein Job ist getan, perfekt sogar. "Hier ist der versprochene Lohn", sagt der Verbindungsmann, und schießt. Ein Samurai kann sich auf niemanden verlassen.