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Ein entschiedener Moralist

Camus war der große Star unter den französischen Intellektuellen, der "L'Express" widmete ihm 1956 eine Titelgeschichte und nannte ihn den "mit 34 Jahren zu berühmten Schriftsteller". Heute vor 50 Jahren starb der Romancier, Essayist und Dramatiker bei einem Autounfall.

Von Maike Albath | 04.01.2010
    Paris, im Herbst 1957. Die Entscheidung für den Nobelpreis wird bekannt gegeben. Der Preisträger hält eine Pressekonferenz ab.

    "Schlank, mittelgroß, unter der mächtigen Denkerstirn ein für seine kaum 40 Jahre erstaunlich zerfurchtes Gesicht, die Lippen spöttisch verzogen, so sieht Camus aus, während er uns für ein paar Minuten Rede und Antwort steht, um dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden ..."

    Etwas pikiert bemerkt der deutsche Reporter, dass von Albert Camus bisher doch nur ein schmales Werk vorläge – fünf Romane und Erzählungen, einige Theaterstücke und Essays. Seine Arbeit kreise wohl um den Begriff des Absurden, wendet sich der Berichterstatter an den neuen Nobelpreisträger.

    "Nein, so ganz stimmt das nicht. Es ist eines dieser typischen Wörter für den täglichen Gebrauch, mit denen man versucht, mich als Schriftsteller näher zu bestimmen. Es ist nur ein Begriff. Den Schriftsteller, der das Absurde am besten auf den Punkt gebracht hat, kenne ich, es war Blaise Pascal. Aber ich bin weit davon entfernt, mich mit diesem Mann zu vergleichen."

    Am 7. November 1913 in Algerien geboren, in ärmlichen Verhältnissen vaterlos aufgewachsen und in seiner Jugend schwer an Lungentuberkulose erkrankt, begann Albert Camus seine literarische Karriere als Journalist und Gerichtsreporter. 1940 siedelte er nach Paris über, und zwei Jahre später wurde er, inzwischen im französischen Widerstand aktiv, mit seinem Roman "Der Fremde" auf einen Schlag berühmt.

    Er traf das Lebensgefühl einer Generation. Sein Held Mersault, ein Angestellter in Algier, wird von einer gespenstischen Teilnahmslosigkeit beherrscht: Die Beerdigung seiner Mutter lässt ihn kalt, seine Geliebte bedeutet ihm nichts. Bei einem Ausflug ans Meer gibt es Streit mit einem Araber. Mersault hält plötzlich eine Waffe in der Hand.

    "Vom Meer kam ein starker, glühender Hauch. Mir war, als öffnete sich der Himmel in seiner ganzen Weite, um Feuer regnen zu lassen. Ich war ganz und gar angespannt, und meine Hand umkrallte den Revolver. Der Hahn löste sich, ich berührte den Kolben, und mit hartem, betäubendem Krachen nahm alles seinen Anfang."

    Mersault muss sich vor Gericht verantworten – es ist aber nicht der Mord, der die Richter entsetzt, sondern die Gleichgültigkeit des Protagonisten. Den philosophischen Hintergrund erklärt Camus in seinem Essay zum Mythos von Sisyphos. Unablässig bemühe sich der Mensch, wie Sisyphos einen Stein den Berg hinaufzurollen, und seiner Existenz einen Sinn zu verleihen. Erst wenn er die Absurdität der Welt ertragen lerne und sein Schicksal annähme, zeichne sich ein Ausweg ab.

    "Ich mache ganz einfach meine Arbeit, die für mich sehr wichtig ist. Ich bin auf der Suche, und das teile ich mit vielen Menschen. Wir suchen in der Nacht mit Zittern und Zagen. Aber es gibt einen Weg. Das ist der Glaube an das Leben, trotz allem."

    Camus ist ein entschiedener Moralist. In seinen Theaterstücken und seinem Roman "Die Pest" von 1947 mahnt er die Verantwortung der Menschen füreinander an. Neben Jean-Paul Sartre gehört der Familienvater und notorische Frauenheld zu den intellektuellen Wortführern Frankreichs. Der Erwartungsdruck nimmt zu, und Camus kämpft mit Schreibblockaden. 1951 veröffentlicht er mit großem Erfolg einen philosophischen Essay über den Charakter revolutionärer Bewegungen, den der strikte Kommunist Sartre in seiner Zeitschrift scharf verreißen lässt. Die beiden überwerfen sich. Im Algerienkrieg bemüht sich Camus um Vermittlung zwischen den Parteien. Am 4. Januar 1960 ist er mit Freunden im Auto nach Paris unterwegs. Der Wagen rast gegen einen Baum, und Albert Camus ist sofort tot.