Ein familiäres Phantasma

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Von Dunja Arnaszus · 19.04.2016
Martha, Anne und Erik Westphal sind eine Familie. Gewissermaßen. Anne Westphal entschließt sich, sich selber überflüssig zu machen. Die Elektrotechnikerin verlegt ein Netz von Bewegungsmeldern, Lichtschranken und daran gekoppelten Bandansagen in der Wohnung und verlässt ihre Tochter. Der Vater der Familie ist Forschungsreisender in seinem eigenen Orbit.
Von seinem Handy erzählt der Bakteriologe all abendlich seiner Tochter zum Einschlafen Science Fiction-Geschichten, deren Protagonisten Erreger von Infektionskrankheiten sind. Martha Westphal, 10 Jahre, scheint wenig berührt, zumal sie mit wichtigeren Dingen befasst ist: Gemeinsam mit ihrer Freundin Leonie fantasiert sie über die Rettung der Welt. Sie fluten die verlassene Wohnung mit aus Zoohandlungen befreiten Kaninchen, Hasen und Hamstern. Vor dem Eintreten des ultimativ-kathartischen Happy Ends müssen die Heldinnen und Helden des familiären Alltags Begegnungen mit Diebstahl, Erpressung und Tod (wenn auch nur von Säugetieren niederer Ordnung) und einem hexameternden Chor der Mütter durchleiden. In dem schnellschnittigen, dialogisch aufgebauten Hörspiel untersucht Dunja Arnaszus, wie Zufälligkeit und Fliehkraft der eigenen Lebensgestaltung auf das System Familie wirken.
Komposition: Gerd Bessler
Regie: Christine Nagel
Mit: Nina Petri, Werner Wölbern, Lotte Arnaszus, Mara Scharping, Stefan Haschke, Axel Wandtke, Hedi Kriegeskotte, Lisa Grosche, Marie Stegmann, Christa Krings, Anke Krahe
Produktion: NDR 2010
Länge: ca. 49'59

Dunja Arnaszus, geboren 1970 in Göttingen, arbeitete in England als Zirkus- und Performancekünstlerin. Autorin und Dramaturgin, lebt in Hamburg.