Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Ein Fortschritt, allerdings nur ein kleiner"

Die einheitlichen Abiturstandards für Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch stoßen beim Deutschen Philologenverband grundsätzlich auf Zustimmung. Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger betonte aber, die Oberstufen seien nach wie vor sehr uneinheitlich organisiert. So seien Mathematik und Deutsch nicht in jedem Bundesland Pflichtfächer für das schriftliche Abitur. Daher griffen die neuen Standards dort ins Leere.

Heinz-Peter Meidinger im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.10.2012
    Christiane Kaess: Lange sind sie schon in der Diskussion, bundesweite Standards bei der Abiturprüfung. Seit gestern gibt es eine Einigung der Kultusminister der Länder auf eine Vereinheitlichung. Die Bildungsminister hatten diese auf der aktuellen Kultusministerkonferenz in Hamburg gestern beschlossen. Die Details sind heute Vormittag bekannt gegeben worden.

    Am Telefon ist jetzt Heinz-Peter Meidinger. Er ist Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes. Guten Tag, Herr Meidinger.

    Heinz-Peter Meidinger: Guten Tag, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Meidinger, ist das eine gute Einigung?

    Meidinger: Also es ist auf jeden Fall ein Fortschritt, allerdings nur ein kleiner Fortschritt.

    Kaess: Was hätten Sie sich denn mehr gewünscht?

    Meidinger: Ja gut, die Zielvorstellung ist ganz klar: wirklich vergleichbare Abiturarbeiten in ganz Deutschland zu schreiben. Wir haben jetzt Bildungsstandards, die müssen erst umgesetzt werden. Wir haben dann 2017 vielleicht mal vergleichbare Abiturprüfungen auf Grundlage dieser Bildungsstandards. Aber wir haben nach wie vor eine sehr uneinheitliche gymnasiale Oberstufe. Es gibt Länder, da muss man gar nicht in Mathematik oder in Deutsch ins Abitur gehen, also ins schriftliche Abitur gehen. Das heißt natürlich, da greifen dann auch die Bildungsstandards ins Leere. Da ist also noch großer Abstimmungsbedarf und Normierungsbedarf da.

    Kaess: Aber ich habe Sie richtig verstanden: Sie sind ganz klar für das Einheitsabitur?

    Meidinger: Ich bin nicht für ein Einheitsabitur; ich bin für gemeinsame Anforderungen beim Abitur.

    Kaess: Was ist der Unterschied?

    Meidinger: Na ja, gut. Unter Einheitsabitur versteht man ja in der Regel ein Bundeszentralabitur, das dann tatsächlich einheitlich in allen Ländern zum selben Termin geschrieben wird. Ich glaube, das ist in Deutschland mit den unterschiedlichen Ferienordnungen, aber auch aus anderen Gründen, Bildungsföderalismus, kaum möglich. Das heißt, wir müssen uns dem Problem der Vergleichbarkeit auf andere Weise nähern, und da sind Bildungsstandards ein guter Weg. Man kann vielleicht auch - das machen ja jetzt ein paar Länder vor - tatsächlich zu ganz gemeinsamen Prüfungsteilen gelangen, die dann teilweise sozusagen vor dem Abitur schon zu einem gemeinsamen Termin geschrieben werden.

    Kaess: Schauen wir noch mal auf die Einigung der Kultusministerkonferenz. Warum hat man sich ausgerechnet auf diese vier Fächer geeinigt? Ist das einfacher?

    Meidinger: Na ja, es sind natürlich auch die Fächer, für die es schon Bildungsstandards gibt bei der Primarstufe beziehungsweise beim mittleren Bildungsabschluss. Das sind zweifelsohne Kernfächer, die ja auch wichtige Bestandteile im Abitur, im verpflichtenden Abiturkanon sind. Und es geht jetzt natürlich darum, diese zu erweitern. Soviel ich sehe, ist ja auch geplant, für Biologie, Chemie und Physik dann diese Bildungsstandards in den nächsten Jahren ebenfalls zu erarbeiten.

    Kaess: Die sollen folgen. - Aber warum ist es denn überhaupt so schwierig, sich auf gemeinsame Standards zu einigen?

    Meidinger: Na ja, eigentlich gab es ja schon vergleichbare Prüfungsanforderungen, die waren schon vereinbart, die sogenannten EPAS, Einheitliche Prüfungsanforderungen Abitur. Die waren aber so wage gehalten, dass sie im Grunde genommen unterlaufen werden konnten, und jetzt geht es darum, ganz, ganz konkret zu sagen, was ist die Kompetenz, die ein Schüler haben muss, zum Teil auch stark angebunden an Inhalte, und da wird es natürlich dann schwierig. Die Lehrpläne unterscheiden sich immer noch recht deutlich, auch die verschiedenen Unterrichtskulturen. Es gibt Länder, da dürfen beispielsweise Taschenrechner mit Grafikfunktionen, sogenannte CAS-Rechner, benutzt werden, in anderen Bundesländern nicht. Das ist alles nicht so einfach.

    Kaess: Haben Sie Bedenken, dass mit der Vereinheitlichung auch die Standards sinken könnten?

    Meidinger: Ich glaube, wir wären schon einen Schritt weiter, wenn zumindest die Länder mit schwachen Leistungsergebnissen - und da brauchen wir, glaube ich, nur in die PISA-Tabelle zu schauen -, wenn die dadurch ein Stück vorwärtskommen könnten. Ich glaube, es ist illusorisch zu meinen, wir kommen alle in kürzerer Zeit auf das Niveau von Sachsen oder Bayern, aber zumindest Angleichschritte müssen erfolgen. Übrigens man muss den Ländern natürlich auch Zeit geben. Man kann nicht die Schüler überfahren und sagen, morgen habt ihr dann das Prüfungsniveau von Bayern, sondern man muss auch zeit geben. Insofern ist der Zeitplan durchaus auch vertretbar.

    Kaess: Wie sollte denn eine Umsetzung in der Praxis konkret aussehen? Wie muss man sich das vorstellen?

    Meidinger: Na ja, wir haben jetzt die Bildungsstandards, die müssen jetzt erst mal umgesetzt werden teilweise in Lehrpläne oder in kurrikulare Vorgaben. Auf der anderen Seite müssen dann Aufgabenpools erarbeitet werden. Das heißt Aufgaben, die genau so sind in Mathe oder Deutsch, dass sie diese Bildungsstandards erfüllen und aus denen sich dann die Länder spätestens ab 2017, zum Teil schon ab 2014 bedienen können, und dann sind wir einen Schritt weiter. Allerdings wie gesagt, es gibt noch viele weitere Angleichungsschritte, die folgen müssen oder parallel auch in Angriff genommen werden müssen.

    Kaess: Sie haben es ganz kurz schon angesprochen. Mit der Bitte um eine kurze Antwort, weil die Sendung gleich zu Ende ist: Was bedeutet es konkret für die Schüler, wenn die Standards angeglichen werden?

    Meidinger: Die Schüler brauchen sich jetzt keine zu großen Sorgen machen, sondern sie können sich darauf verlassen, dass die Lehrkräfte sie dann auf diese Standards auch entsprechend vorbereiten, das heißt auch auf die entsprechenden Aufgabenformate in der Mathematik, dass da keine Überraschung kommt.