Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Ein Glück, wir haben überlebt"

Erdbeben sind in Italien keine Seltenheit: Da das Land zwischen zwei Erdplatten liegt, kommt es immer wieder zu schweren Erdstößen. Zwar sind die Bauvorschriften im ganzen Land an den Gefahrenstufen ausgerichtet, doch gerade im gefährdeten Süden wimmelt es von Schwarzbauten, die ohne Genehmigung und erdbebensicheres Fundament errichtet wurden.

Von Kirstin Hausen | 07.04.2009
    "Mein Handgelenk ist gebrochen und ich musste auf der Stirn genäht werden, mein Mann ist nicht ganz so glimpflich davon gekommen …"

    …, erzählt eine junge Frau im Krankenhaus von L'Aquila. Sie ist blass. Der Schock ist ihrem schmalem Gesicht noch immer anzusehen. Dass sie in einem erdbebengefährdeten Gebiet lebt, hat sie bisher verdrängt. Wie so viele.

    Nur, wenn es zu Katastrophen kommt, wird der italienischen Öffentlichkeit bewusst, welcher Gefahr sie ausgesetzt ist.

    "Die Regionen und Gemeinden müssten viel gründlicher über diese Ereignisse informieren, aber vor allem im Süden ist das schwer. Es gibt viel Widerstand, was mit dem weitverbreiteten Fatalismus und dem Aberglaube zu tun hat, über Unglücke will man nicht sprechen ..."

    …, beklagt die Erdbebenhistorikerin Emanuela Guidoboni. Die Folgen sind immer wieder verheerend. In der Region Kampanien starben 1980 3000 Menschen bei einem Erdbeben, Zehntausende wurden obdachlos.

    "Wir sind in einem Viertel am östlichen Stadtrand von Neapel. Früher stand hier eine große Fabrik, wo Nudeln und Konservendosen mit Tomaten hergestellt wurden und wo Tausende Menschen Arbeit fanden."

    Der Priester Tonino Palmese lebt in San Giovanni al Teduccio in Neapel.

    "Heute gibt es die Fabrik nicht mehr, dafür 540 Familien, die im wahrsten Sinne des Wortes hierhin deportiert wurden. Diese Menschen sind durch ein verheerendes Erdbeben obdachlos geworden und wurden zwangsumgesiedelt. Ihre Wurzeln, ihre Kultur haben sie dabei verloren."

    Richtig heimisch wurden die Erdbebenopfer in San Giovanni al Teduccio nicht. Vom Land mussten sie in die Stadt umziehen. In Hochhäuser, vom übrigen Viertel durch eine Straße getrennt. Sie blieben unter sich, hatten kaum Kontakt zu den alteingesessenen Bewohnern. Selbst die Kinder spielten getrennt, erinnert sich der 45-jährige Pietro del Golfo. Nach fast 30 Jahren empfindet er immer noch Trauer:

    "Wenn ich andere treffe, sagen wir immer: Ein Glück, wir haben überlebt. Aber ich habe alles verloren, was ich hatte."

    Die tristen Betonbauten für Erdbebenopfer wie Pietro errichtete die Camorra. Denn gegen Schmiergeldzahlungen an die damals führenden Politikern von Neapel wanderten die Hilfsgelder für den Wiederaufbau in die Taschen der Bauunternehmer, die mit der organisierten Kriminalität gemeinsame Sache machten. Ein typisches Beispiel, so die Historikerin Emanuela Giudoboni:

    "Der Wiederaufbau von Erdbebengebieten ist in der Geschichte Italiens immer problematisch gewesen. Die unverhältnismäßig lange Dauer der Aufbauarbeit zeigt, dass es dabei meist nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Nur wenige wissen, dass das Erdbeben von 1976 in der norditalienischen Region Friaul das einzige in ganz Italien ist, dessen Wiederaufbau offiziell abgeschlossen ist."

    In fast allen anderen Erdbebengebieten Italiens erinnern Container und provisorische Behausungen daran, dass die Betroffenen, die bei dem Unglück ihre Häuser verloren, immer noch keine feste Bleibe haben.

    "Der Wiederaufbau wird nicht beendet, weil die Verzögerung bringt wirtschaftliche Vorteile mit sich …"

    …, erklärt Emanuela Guidoboni. An Geld mangelt es nämlich meistens nicht und je länger der Aufbau dauert, desto mehr wird aus Rom geschickt. Oft genug landet es aber nicht bei den Erdbebenopfern, sondern versickert in den Taschen einiger weniger. Die italienische Regierung erwägt derzeit, Hilfsgelder aus dem europäischen Solidaritätsfonds anzunehmen. Was sich die betroffenen Menschen in den Abruzzen wünschen, bringt der Direktor der Lokalzeitung "Il Centro" auf den Punkt:

    "Wir wollen, dass unsere Häuser wiederaufgebaut werden, erdbebensicher und ohne dass sich irgendwer daran eine goldenen Nase verdient …"

    …, sagt Gigi Vicinanza aus L'Aquila.