Freitag, 29. März 2024


Ein Haus in Thüringen

Vom Familienbesitz der Marschalls ist nicht viel übrig geblieben. Im Büro von Wolf Freiherr Marschall hängt ein rot-weißer Wimpel, über der Tür das Familienwappen. Dieses kleine Erbstück habe ich noch, sagt der Landwirt und deutet auf einen kleinen Holzstempel, der ebenfalls das Familienwappen zeigt - zwei gekreuzte Scheren. Er ist stolz auf seine Adelstradition und möchte am liebsten mit "von" angesprochen werden: Wolf Freiherr Marschall von Altengottern.

Von Claudia van Laak | 21.05.1999
    "Ich melde mich mit Marschall von Altengottern hier am Telefon, weil ich mir schon bewußt bin und auch stolz darauf bin, daß ich diese Verbindung meiner Familie zu diesem Ort habe, das bedeutet mir schon einiges und das ist mit Sicherheit eine Triebkraft gewesen, an diesen Ort zu gehen, der Teil meines Namens ist. "

    Altengottern ist ein thüringisches Dorf mit 1.250 Einwohnern. Die Marschalls waren hier bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Besitzer von 600 Hektar Wald, 400 Hektar Ackerland, einer Mühle, einem Elektrizitätswerk und dem Schloß. Im September 1945 kam die Rote Armee, setzte eine eigene Gutsverwaltung ein, die Marschalls mußten das Schloß räumen und wurden in ein Nebengebäude einquartiert. Einen Tag vor Heiligabend dann erreichte sie der sogenannte Kreisverweisungsbefehl - die Familie Marschall mußte Altengottern verlassen, wurde vollständig enteignet. Wolf Freiherr Marschall kennt diese Familiengeschichte nur aus Erzählungen seines Vaters - er besuchte erst nach der Wende Altengottern und entschied sich zu bleiben. Der Jurist schulte um, machte eine Ausbildung zum Landwirt, mittlerweile wohnt er mit seiner Frau und den vier Kindern in einem unverputzten Fachwerkhaus. 250 Hektar Ackerland hat er von einer Treuhand-Tochter zum Vorzugspreis gepachtet - zufrieden ist er mit dieser Regelung nicht.

    "Ich fühle mich schon ungerecht behandelt und ich denke, das tun die meisten anderen Alteigentümer auch, wenn sie heute sehen müssen, daß man selbst gar keinen Zugriff hat und der Staat das einfach freihändig verkauft."

    So wie Wolf Freiherr Marschall geht es etwa 12.000 Bodenreformopfern, betroffen sind 3,2 Millionen Hektar Land, eine Fläche etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen. Zweimal sind die Alteigentümer vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, zweimal haben sie eine Niederlage erlitten. Der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog erläuterte das erste Urteil folgendermaßen.

    "Darüberhinaus darf der Gesetzgeber auch auf die Erfüllung der neuen Aufgaben Bedacht nahmen, die sich aus dem Wiederaufbau in den neuen Bundesländern ergeben. Bei der Einschätzung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des Staates kommt ihm dabei ein besonders weiter Beurteilungsraum zu. Angesichts der desolaten Lage in den neuen Bundesländern, deren Bereinigung schon nach dem derzeit absehbaren Stand Zuschüsse in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages fordert, besteht eine originäre verfassungsrechtliche Pflicht zu einer Wiedergutmachung, die wertmäßig einer Restitution gleichkäme, nicht."

    War die Bodenreform eine Bedingung Moskaus bei der Zustimmung zur deutschen Vereinigung? Die Alteigentümer bestreiten dies und berufen sich dabei auf den ehemaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow. Nicht Moskau, sondern die Vertreter der DDR hätten die Bodenreform festschreiben wollen. Vertreter der damaligen Bundesregierung trugen allerdings in Karlsruhe eine andere Auffassung vor. Klaus Kinkel war als Außenminister bei den zwei plus vier Verhandlungen dabei.

    "Die Anerkennung dessen, was die Sowjetunion uns im Hinblick auf die Enteignungen 45 bis 49 aufgedrückt hat, ich sage das bewußt so, war conditio sine qua non für die Erreichung der Wiedervereingung. Der sowjetische Druck hat dazu geführt, daß uns nchts anderes übrig blieb, den Verhandlern, auch mir, damals nach langen und schwierigen, tatsächlichen und rechtlichen Überleunggen und vielen vielen Gesprächen, daß wir anerkennen mußten, daß, aufgrund der historischen Ereignisse 45 bis 49, Enteignetes leider nicht in Natura zurückgegeben werden kann."

    Die Bodenreform ist verfassungsgemäß, doch die Karlsruher Richter sind den Alteigentümern in einem Punkt entgegengekommen - ihnen wurde ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen zugestanden. Folge dieses Urteils waren das sogenannte Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz und das Flächenerwerbsprogramm. Danach können Alteigentümer ehemals volkseigene Flächen zu einem Vorzugspreis pachten und kaufen. Doch die Lobby der Bodenreformopfer läßt nicht locker, ihnen geht diese Regelung nicht weit genug. Die Alteigentümer wollen eine bessere Entschädigung und sind deshalb erneut vor das Bundesverfassungsgericht gezogen - eine Entscheidung steht noch aus.