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"Ein Herz für Tiere"

Der Zoologe Bernhard Grzimek wurde durch zahlreiche Tiersendungen im deutschen Fernsehen bekannt. Grzimek war langjähriger Direktor des Frankfurter Zoos und Autor von Tierbüchern. Sein bekanntester Film ist die Dokumentation "Serengeti darf nicht sterben". Dafür erhielt er 1959 als erster Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg einen Oscar.

Von Franz Lerchenmüller | 25.01.2009
    Ein Flieger hat aufgesetzt in der Savanne. Markus Borner, der Chef der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft in Seronera ist zurück von seinem Inspektionsflug.

    "Über die Serengeti zu fliegen, ist schon ein bisschen ein Bubentraum, aber dass ich das mal in der Realität machen kann, hab ich eigentlich früher nie gedacht. Von der Luft aus ist es ein ganz gewaltiger Anblick. Ich mach das schon 30 Jahre, aber wenn da die Gnus alle draußen stehen, anderthalb Millionen, 300.000 Zebras, und man kann über so was fliegen, das berührt einen schon sehr tief, das geht unter die Haut, auch heute noch. Am Horizont sieht man die Ngorongoro-Berge auf der einen Seite, die riesige Eben auf der anderen Seite ganz weit, in der Ferne die kleineren Berge gegen den Victoria-See zu, eine unendliche Freiheit auch, die es sonst kaum mehr gibt auf der Welt."

    Dass es die Weite, die Landschaft und die Hunderttausende von Tieren noch gibt, verdankt sich im Wesentlichen einem Menschen: Bernhard Grzimek.

    "Es war ein ganz außerordentlich interessanter visionärer Mensch. Er war ein Querdenker, was mich wahnsinnig fasziniert hat. Er hat einen sehr eigenen Humor gehabt, neben seiner Distanziertheit als Norddeutscher hat er immer sehr lustige Sachen wieder gebaut. Er war ein sehr kontroverser Mensch, dass er sehr leutselig war auf der einen Seite, distanziert auf der anderen. Er hat sich sehr für die Leute um die Serengeti rum involviert, auf der anderen Seite wollte er die raushaben, um diesen Park kreieren zu können. Ich glaub, sein ganzes Leben war immer Spannungen mit dem, was er wollte, und dem, was er konnte."

    Es war Bernhard Grzimek, der zusammen mit seinem Sohn Michael in den 50er Jahren zum ersten Mal die Tiere in der Serengeti zählte. Er verhinderte, dass das Riesengebiet, das Gnus und Zebras für ihre Wanderung brauchen, zerstückelt wurde. So konnten sich die Bestände bestens entwickeln.

    "In der Serengeti ist es so, das es echt heute in dem Gebiet mehr Tiere gibt als zu Grzimeks Zeiten - es gibt fast doppelt soviel Tiere wie damals. Und das Gebiet ist sehr viel besser abgesichert, es ist ein Mosaik von verschiedenen Schutzgebieten mit dem Nationalpark als Zentrum. Fast die ganze Migrationsfläche wird von verschiedenartigen Schutzgebieten abgedeckt."

    Der Massai Joe Ole Kuwai hat noch persönlich mit dem Frankfurter Naturschützer als Dolmetscher und Führer zusammengearbeitet, über 40 Jahre lang.

    "Er war ein sehr charismatischer Mann, ein starker Charakter. Er liebte die Leute - und auch wenn er vor allem an Tieren interessiert war, waren ihm doch die Leute sehr wichtig. Er wollte ihnen helfen, er wollte, dass sie in Frieden mit den Tieren zusammen lebten und sich um die Tiere kümmerten."

    Stefan Grzimek, ein Enkel Bernhards und später sein adoptierter Sohn, ergänzt das Bild:

    "Er war sehr zielstrebig, hat sehr viel gearbeitet und hat verschiedene Beruf an einem Tag miteinander kombiniert oder nacheinander abgearbeitet. Er war, darf man auch sagen, sehr fleißig, denn er hat den großen Vorteil gehabt, dass er sehr früh aufgestanden ist, und wenn andere Leute zur Arbeit gingen, hat er meistens schon zwei, drei Stunden in seiner Bibliothek gearbeitet und diverse Aufgaben erledigt. Er hat eine große Zeitschrift herausgegeben, da war er Chefredakteur, die mal 200.000 Stück Auflage hatte, er war Fernsehmoderator, er war Zoodirektor, er war Schriftsteller, er war Wissenschaftler, er war gelernter Veterinär- das war auch ein Schlüssel seines Erfolgs, weil er nicht nur einseitig orientiert war, sondern sehr viele Ebenen abgedeckt hat."

    Dabei aber war er, man kann es nicht anders sagen, manchmal auch einfach ein Kindskopf:

    "Er hat furchtbaren Spaß gehabt an irgendwelchen Jokes. Er hat zum Beispiel so ein Plastik-Kotz-Ding in der Tasche mitgebracht, als wir bei Nyrere waren und hat es bei dem Präsident Nyrere irgendwo auf den Boden gelegt. Oder er hat zum Beispiel als wir bei einem Galaessen waren in Simbabwe, hat er eine Gottesanbeterin, eine lebende in den Sack gesteckt, und er war natürlich neben der Dame von Haus, die war wunderbar mit einem ganz großen Ausschnitt im Abendkleid, hat er während dem Essen diese Gottesanbeterin genommen und ihr aufs Dekollete gesetzt. Pech war, dass die Phobie hatte auf Insekten und ohnmächtig geworden ist, aber er hat immer solche Sachen gemacht."

    So hat jeder, der Bernhard Grzimek kannte, eine ganz persönliche Erinnerung an ihn:

    "Einmal saßen wir am Feuer und ich fragte ihn: "Alter Mann, du arbeitest da an diesen Naturschutzprojekten, nimmst dafür den Leuten das Land weg - was für eine Zukunft haben diese Menschen?" Er sagte: "Joe - sie haben eine glänzende Zukunft. Ich habe jetzt eine bestimmte Vorstellung, wie diese Zukunft aussehen könnte - aber es kann trotzdem ganz anders kommen. Naturschutz ist etwas, was sich verändert, etwas Dynamisches, und wir sollten uns darauf einstellen, dass immer neue Herausforderungen auf uns zukommen." Daran halte ich mich bis heute: Nichts bleibt, es gibt Veränderungen, und immer wenn ich mich neuen Herausforderungen gegenübersehe, sage ich mir: Joe, der Mann hat das vorausgesagt."

    Wie aber ging er denn damals in Afrika vor? Wo setzte er den Hebel an?

    "Für mich ist sein Einfluss auf die neu gebildeten, dazumal unabhängigen Staaten in Afrika der größte Erfolg, den er in Afrika geleistet hat. Er hat ein riesiges Vertrauen in die Afrikaner gehabt und hat das auch immer ganz klar geäußert. Er hat ein ganz enges Verhältnis mit dem vorherigen Präsidenten Nyrere gehabt und er hat auch immer gepredigt, dass die Afrikaner eben diese Gebiete erhalten werden, und zwar, weil sie stolz auf diese Gebiete sind. Ich glaube, das ist wirklich durchgedrungen, und es ist auch interessant, dass heutzutage noch die Leute, auch wenn sie Schaden haben vom Park, sind sie immer noch stolz, dass sie in der Mitte hier Serengeti-Nationalpark machen, wo die ganze Welt hinkommt und ihr Land anguckt."

    Nicht alle Afrikaner sind freilich von Grzimek begeistert, erzählt Malley Gwandu, der seit sechs Jahren Besucher durch die Nationalparks führt.

    "Von der Urzeit Massai war in Serengeti-Nationalpark. Wenn einer denkt über Bernhard Grzimek: Scheiße, dieser Deutsche hat uns von unser schönes Land Serengeti-NP weggeschmissen, und wir sind jetzt in der trockenen Steppe zwischen Ngorongoro-Krater und Serenegti-NP. Das ist was Negatives zwischen Massai und Bernhard Grzimek. Aber die jungen Massai, welche hat zur Schule gegangen und kennt, was ist gut von diesem Naturschützen, gibt es schon kleines Positives. Nicht alle sprechen schlecht über Bernhard Grzimek. Diese älteren Massai - der Name klingt nicht so gut für die älteren Massai."

    Die meisten Massai haben sich mittlerweile arrangiert. 70 US-Dollar kostet ein Besuch im Vorzeige-Dorf Obedi pro Auto. Ist die Bezahlung perfekt, rücken die hochgewachsenen Männer und Frauen an und beginnen zu singen und zu tanzen. Die Jungs machen sich einen Spaß aus den berühmten Luftsprüngen - besonders, wenn kurzatmige Europäer auch ein paar Zentimeter hochzuhopsen versuchen.

    Kiloki ist 32 und führt durch das Dorf. Er zeigt die Hütten aus Holz, Gras und Kuhdung, erklärt, wie die Massai ihren Rindern das Blut abzapfen, von dem sie sich ernähren, und dass das Geld aus dem Tourismus dazu dient, während der Trockenzeit Wasser für die Kühe zu kaufen. Sich auszustellen wie in einer Art Zoo - verträgt sich das denn mit dem Selbstverständnis der stolzen Massai?

    "Kisuaheli - Wir sind nicht müde mit Touristen, wenn kommt die Gruppe. Weil - die bringen Geld zu uns. Und das ist glücklich für die Familie, und wir immer werden Touristen im Massai-Dorf haben. Wir sind ganz glücklich, wenn da sind mehr und mehr Touristen, weil dann verdienen wir auch mehr und das hilft unser Problem."

    "Nein, wir sind die Touristen nicht satt. Sie bringen Geld - und das macht alle Familien hier glücklich. Wir freuen uns, wenn es immer mehr werden. Dann nehmen wir mehr ein, und das hilft uns, ein paar Probleme zu lösen."

    In der Schule stimmen die Kinder wie auf Knopfdruck ein Lied an, am Dorfzaun hängen Lederschilde, Armbänder und geschnitzte Keulen zum Verkauf. Das Dorf wurde für Touristen eingerichtet, der Häuptling achtet darauf, dass die Besetzung alle paar Wochen wechselt. Es ist der Versuch eines Kompromisses zwischen den Wünschen der Touristen, "Massai live" zu erleben, und deren Hoffnungen, Geld an den Besuchern zu verdienen und doch das Alltagsleben nicht ihrer Neugier zu opfern.

    Die Gesundheitspolizei Afrikas geht ihrer Arbeit nach. Zwei Dutzend Geier sitzen und hüpfen um den toten Büffel herum, ein zänkischer Haufen, getriezt und getrieben von Futterneid. Sie wühlen im Bauch, hacken in die leeren Augenhöhlen und balancieren auf den wulstigen Hörnern. Einer hat seinen Kopf tief in den Schlund des Kadavers gesteckt und zieht und zerrt, die Krallen fest in die Erde gestemmt, an der Zunge. Metallisch glänzt das Gefieder, ein kehliges Krächzen erfüllt die Luft, und öfter als in die Beute schnellen die hakigen Schnäbel gegeneinander.

    Eine Safari durch die Serengeti gehört immer noch zu einem der eindrucksvollsten Urlaubserlebnisse. Zebras flanieren über die Piste wie ein Horde schnippischer Teenager, eine Riesentrappe schreitet gravitätisch durchs Gras, zwei Geparden trotten gelassen am Landcruiser vorbei. Und über Funk meldet ein Kollege von Malley ein Löwenrudel mit Jungen.

    Auf dem Ast einer Gelbfieberakazie räkelt sich ein Leopard und scheint ausgesprochen guter Laune zu sein - soweit man das einem Leopard ansehen kann: In der Astgabel über ihm hängt, seltsam gespreizt, eine gar nicht mal so kleine, frisch geschlagene Thomson-Gazelle - Futter für die nächsten vier Tage. Kein Wunder, dass die Kameras der Besucher sozusagen heißlaufen.

    In einem Pool prusten und wälzen sich um die 30 schlammverschmierte Flusspferde:

    "Hippos leben im Land und auch im Wasser. Die sind im Wasser ganzes Tag und laufen weg von Wasserstelle in der Nacht zum Fressen. Hippo hat eine Lebenszeit von 35 Jahre lang. Die sind 100 Prozent Grasfresser, aber kennen wir als gefährliche Tier. Die sind dick, bis drei Tonnen schwer. Wie kann man sagen, die sind gefährliche Tier für die Menschen? In der Zeit 1940 bis 1980, wenn gibt es keine gute Wasserleitung, Menschen holen Wasser von den Flüsse oder kleines See, wo sind Hippos. Hippos laufen jedes Tag in der gleichen Spur, runter und oben. Und Menschen gehen runter zur Wasserstelle durch diese Hippos-Spur. Wenn kommt Hippos und du bist in der Hippos Spur, mit Auto oder zu Fuß laufen, dann ist die Zeit wenn Hippos tötet viele Menschen."

    Ein wunderschönes Stück Land ist die Serengeti - aber auch dieser scheinbare Garten Eden hat seine Probleme. Und sie sind wahrlich nicht zu klein, meint Markus Borner.

    "Eine unkontrollierte Tourismusentwicklung. Das zweite ist Klimaveränderung in Kombination mit Veränderungen in Kenia im Einzugsgebiet vom Marafluss. Was ein größeres Problem geworden ist, ist die Übertragung von Krankheiten von Haustieren auf Wildtiere, ganz einfach, weil immer mehr Leute an die Parkgrenze rankommen mit ihren Haustieren. Die Wilderei ist so ziemlich unter Kontrolle, aber das kann auch wieder, wenn der Druck von draußen größer wird, eben stärker werden. Die weitaus größte Herausforderung für den Naturschutz überall, nicht nur in der Serengeti, ist die zuwachsende Weltbevölkerung. Es gibt immer mehr Leute auf diesem Planeten und der Druck auf Gebiete wie die Serengeti wird immer größer."

    Dem versucht die Frankfurter Zoologische Gesellschaft mit sogenannten Community-Conservation-Programme gegenzusteuern. Joe Ole Kuwai arbeitet dabei mit.

    "Ich kümmere mich um die Dörfer in der Umgebung des Parks. Wir etablieren sogenannte Wildlife Management Gebiete, ein paar haben wir schon angefangen, weitere sind in Planung. Das sind Gegenden an der Grenze des Parks, in denen Leute leben. Wir setzen uns mit der Regierung auseinander, dass sie diesen Leuten ermöglicht, sich selbst um die Wildtiere zu kümmern. Dass sie sie schützen und sich zu Führern ausbilden lassen. Wenn Touristen kommen, zahlen sie dann für diese Führer. So haben die Menschen einen echten Grund, sich für die Tiere einzusetzen: Sie profitieren direkt vom Naturschutz."

    Die Welt sollte hoffen - und es sich auch einiges kosten lassen - dass diese Programme Erfolg haben. Serengeti darf nicht sterben - auch nicht im dritten Jahrtausend. Denn Erlebnisse, wie sie Jörg Gabriel schildert, der eine Lodge in Tansania betreibt - solche Erlebnisse gibt es auf der Welt kein zweites Mal.

    "Ich hab dort jahrelang Fußsafaris gemacht. Da waren wir einmal auf einem Berg, der heißt Makarot, ein 3200 Meter hoher Vulkanberg und sind dann mit den Massai auf der Westseite dieses Berges hinuntergelaufen in die Serengeti. Das war mitten im Zenit der Gnu-Migration. Es standen etwa über eine halbe Million Gnus auf dieser Wiese, wir sind dann diesen Berg hinuntergegangen und vor uns war ein Meer von Gnus. Wir sind dann so schneepflugartig durch diese Horden, diese Massen von Gnus durchgelaufen. Es war ein ohrenbetörendes Geräusch oooo das ging die ganze Zeit so, man hat sich selbst kaum gehört, es hat auch keiner irgendetwas gesagt, jeder hat bloß diesen Moment aufgenommen das ist einzigartig."