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Ein Jahr danach

Am 12. Juni vor einem Jahr wählte der Iran einen neuen Präsidenten - und behielt den alten: Machmud Achmadinedschad erklärte sich trotz massiver Zweifel zum Wahlsieger. Es kam zu Massenprotesten, die das Regime blutig niederschlug. Zum Jahrestag der umstrittenen Präsidentschaftswahl hat die iranische Opposition zu weiteren friedlichen Protesten aufgerufen.

Von Ulrich Pick | 12.06.2010
    Es war die innenpolitisch größte Krise Irans seit der islamischen Revolution. Denn noch nie war es vorgekommen, das Hunderttausende aufgebrachter junger Menschen durch die Straßen der Städte zogen und "Tod dem Diktator" skandierten. Der Slogan richtete sich gegen Machmud Achmadinedschad, der bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale zum mit großer Mehrheit wiedergewählten Präsidenten erklärt wurde - ein Ergebnis, das nach einer Manipulation des Urnenganges aussah, wie dieser junge Teheraner sagte:

    "Ich bin überrascht, was ich da höre und sehe. Ich war in den vergangenen Wochen in vielen Städten und die Mehrheit war für Mussawi."
    Auch wenn es in den letzten Monaten relativ ruhig geblieben ist, im Grunde hat sich das Land bis heute nicht von diesem Schock erholt. So kam es am Ashurafest Ende Dezember und am Tag der Republik im Februar abermals zu Massenprotesten und die Regierung hatte erneut gegen die Demonstranten uneingeschränkte Härte walten lassen - Härte, von der nicht einmal die Oppositionsführer verschont wurden, wie Hossein Karroubi, der Sohn von Mehdi Karroubi der BBC berichtete:

    "Ein Mitglied der Sonderpolizei hat mit klarer Absicht eines Attentats mit der Tränengaspistole auf meinen Vater gefeuert. Das Geschoss traf aber einen Leibwächter. Ich hörte einen Knall und sah, wie der Leibwächter am Kopf getroffen wurde. Er fiel blutüberströmt auf den Boden. Zudem wurde weiteres Tränengas abgefeuert, so dass man dort nicht mehr stehen konnte."

    Die genaue Zahl der Opfer, die die staatliche Gewalt gegen die Demonstranten bis heute gefordert hat, ist immer noch nicht bekannt. Die Regierung spricht von bis zu 30 Toten, darunter auch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Die Opposition dagegen hält 73 Tote für gesichert, möglich seien, so heißt es, auch 200 landesweit. Zudem wurden mehr als 4000 Menschen verhaftet, davon über 200 verurteilt. In mindestens neun Fällen kam es zur Todesstrafe, die in drei Fällen bereits vollstreckt wurde. Für den iranischen Präsidenten waren all dies feindliche Kräfte, die vom Ausland gesteuert wurden, wie er schon kurz nach seiner offiziellen Wiederwahl erklärte:

    "Auch vor vier Jahren haben manche westliche Medien, Lakaien des Unterdrückungsapparats des kulturlosen Kapitalismus, sich gegen unser Volk gestellt. Sie versuchten mit Mitteln der psychologischen Kriegsführung und Verbreitung von Lügen unsere Nation von ihrem klaren, siegreichen Weg abzubringen."

    Achmadinedschad und seine ultrakonservativen Gefolgsleute haben das Land fester im Griff denn je. Dies wird vor allem an zwei Punkten besonders anschaulich. Da ist zum einen die nach wie vor schwierige wirtschaftliche Lage, die der Präsident zu bessern versprach. Offiziell nämlich leben 20 Prozent der Iraner unter der Armutsgrenze und durch die kontinuierlich kletternde Inflation werden es Monat für Monat mehr. Zudem kommt eine Arbeitslosenquote, die hinter vorgehaltener Hand mit über 30 Prozent beziffert wird - so dass die meisten Iraner von einem Job alleine nicht leben können:

    "Bei uns gibt es Leute, die haben sogar drei Jobs. Denn hier in Iran können die meisten mit nur einem Job nicht leben. Man muss mindestens einen zweiten haben, oft sogar einen dritten. Selbst Rentner müssen oft noch zusätzlich arbeiten."
    Zum anderen ist im Land eine zunehmende Repression zu beobachten. Die Härte gegen Andersdenkende ist deutlich gewachsen. Hintergrund ist die größer gewordene Macht der Revolutionsgarden, die 13 der insgesamt 21 Minister stellen. Die Revolutionsgarden sind mittlerweile nicht nur die wichtigste militärische Macht in Iran, sondern auch die größte wirtschaftliche. Ob beim Flughafenbau in Teheran, den großen Containerhäfen am Persischen Golf, der Erdgasförderung oder dem Bau der Atomanlagen - überall sprechen sie ein entscheidendes Wort mit. Mittlerweile verfügen sie über ein Wirtschaftsimperium von mehr als 800 Firmen, sagt die Opposition, deren Führer, Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi, sich immer seltener in der Öffentlichkeit zeigen. Diese Zurückhaltung ist weniger einem schwindenden Zuspruch geschuldet - der scheint nämlich in der Bevölkerung eher zu- als abzunehmen - sie ist eine Art Pragmatismus. Denn angesichts der Omnipräsenz der Revolutionsgarden sowie deren Verbündeten, der Freiwilligen-Korps der Basij, die bei der Anwendung von Gewalt alles andere als zimperlich sind, will man keine weiteren Opfer riskieren. Allerdings, so sagt diese Teheranerin, solle man sich von diesem öffentlichen Erscheinungsbild nicht täuschen lassen:

    "Es ist wie mit einem Schwimmer, der Luft holt und wieder untertaucht und weiter schwimmt. Wir sehen ihn nicht, während er unter Wasser ist. Das heißt aber nicht dass wenn wir die Leute nicht sehen, dass sie jetzt in ihren Häusern Zuflucht gesucht und aufgegeben haben."

    So gesehen dürfte die innenpolitische Situation in Iran weiter angespannt bleiben. Denn schließlich wünschten sich - so heißt es immer wieder - zwei von drei Iranern eigentlich eine andere Republik und hoffen, dass die umstrittene Präsidentenwahl vom vergangenen Jahr der Anfang vom Ende des jetzigen Systems gewesen ist:

    "Ich bin sehr zuversichtlich. Es wird aber kein Ereignis von einem oder zwei Tagen sein. Es benötigt intensive Aufklärungsarbeit - insbesondere für diejenigen Bevölkerungsteile, die - beeinflusst von der Propaganda des Regimes - immer noch glauben, ihre Verhältnisse würden sich verbessern."

    Man kann also im Iran bei aller Unschärfe von einer Art Machtvakuum sprechen. Denn der Rückhalt für die Regierung bröckelt und der Zuspruch für die Opposition, wenn gleich sie sich immer seltener in der Öffentlichkeit zeigt, bleibt erhalten.