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Ein Jahr Macron
Will Frankreichs Präsident nur an das Geld der Deutschen?

Für seine Reformpolitik bekommt der französische Präsident ein Jahr nach seiner Wahl in den Medien überwiegend gute Noten. Doch ist Emmanuel Macron der geeignete Partner für Deutschland, um die EU krisenfest zu machen? Ein Streitgespräch zwischen unseren Korrespondenten in München und Paris.

Von Tobias Krone und Jürgen König | 07.05.2018
    Zwei Fahnen wehen im Wind. Links die Flagge des Freistaats Bayern, rechts die Flagge Frankreichs. Montage von zwei Fotos.
    Die Flagge des Freistaats Bayern und die Flagge Frankreichs (Montage aus dpa)
    Mit der Kanzlerin verbindet ihn ein Vertrauensverhältnis, aber an einem Strang ziehen Angela Merkel und Emmanuel Macron bislang nicht. Die Bundesregierung tritt immer wieder auf die Bremse, wenn es um einen gemeinsamen Vorschlag für die Zukunft der EU geht. Die Wortführer der Macron-Skeptiker kommen dabei vor allem aus der bayerischen CSU. Wo und wie verlaufen die Konfliktlinien?
    These: Die wollen nur unser Geld (Zur Vergemeinschaftung von Schulden)
    Tobias Krone, Deutschlandfunk-Korrespondent in München: Die Vergemeinschaftung von Schulden ist sowohl mit der CDU in Berlin als auch mit der CSU in München nicht zu machen. Die Kanzlerin Angela Merkel hat das ja bei ihrem Treffen mit Macron vor zwei Wochen klargemacht. Das Land, sagt sie, das finanziell was riskiert, muss dann auch dafür haften. Herr König, mich würde da interessieren, ist man da so weit von Frankreich weg?
    Jürgen König, Deutschlandfunk-Korrespondent in Paris: Ich glaube, da ist man ganz weit von Frankreich weg, denn es scheint sich immer noch hier ein grundsätzliches Missverständnis festgesetzt zu haben. Was in Deutschland - aus französischer Sicht - sehr gerne übersehen wird, ist, dass Macron gar keine Vergemeinschaftung von Schulden anstrebt, jedenfalls nicht im Sinne von Altschulden, da steht jedes Land auch für Macron weiterhin alleine da.
    Wovon er redet, das ist dies: Jedes einzelne Land ist nicht mehr in der Lage, die großen Herausforderungen der Zeit alleine zu meistern. Ich nenne wenige Stichworte: Migration, Terrorbekämpfung, digitale Revolution, Klimawandel, nachhaltige Energiepolitik, Dominanz der Wirtschaftsgroßmächte USA, China und Russland.
    Auf diese Fragen, so Macron, kann jeder einzelne Nationalstaat nicht wirklich richtige, wirkungsvolle Antworten finden - Maßnahmen ergreifen. Diese Aufgaben verlangen internationale Lösungen, und das heißt konkret: gemeinsame Investitionen. Und gemeinsam initiierte, gemeinsam finanzierte Investitionen, das heißt konkret, nach Macronscher Lesart dann auch tatsächlich, gemeinsame Schulden, aber eben neue Schulden, Zukunftsinvestitionen.
    Krone: Der CSU in München geht allein schon das Eurozonenbudget für Krisen zu weit. Da hat zum Beispiel Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Europagruppe im EU-Parlament, so einige offene Fragen:
    Markus Ferber:
    "a) Wer definiert es, wann haben wir so eine Krisensituation, b) wer haftet dann für diese Schulden, c) wie wird das Geld, das über Schuldenaufnahme generiert wird, auf die Euroländer aufgeteilt?"
    Krone: Da hört man also schon die Sorge raus, die Deutschen müssen in der kommenden Krise wieder so viel für andere Länder haften wie bei der letzten Finanzkrise - das waren ja mehrere Tausend Euro pro Steuerzahler. Und das Ganze, so die Sorge, ohne dass die Deutschen da mitbestimmen dürfen.
    König: Na ja, Herr Krone, aber das sind ja zweierlei Dinge: Ein Eurozonenbudget für Krisen, das wäre sozusagen die Verlängerung des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie sie vielleicht ja mit der Aufstellung eines Europäischen Währungsfonds möglich wird. Grundsätzlich aber ist ein Eurozonenbudget aus französischer Sicht nicht in erster Linie ein Instrument zur unmittelbaren Krisenbewältigung, sondern ein Instrument für Investitionen - ganz im Sinne, wie ich es eben beschrieben habe.
    Und da dreht sich die Diskussion im Kreis: Aus französischer Sicht schwappt aus Deutschland nur immer diese Haltung rüber: Ihr wollt alle nur unser Geld, und dazu sagen die Franzosen: Die Zukunftsaufgaben sind zu groß, wir können sie nur gemeinsam bewältigen. Deutschland und Frankreich sind die größten Volkswirtschaften Europas, auf beide Länder kommt es an - und also, ja, wird Deutschland deutlich mehr zahlen müssen als bisher. Und man fügt ja dann auch gerne hinzu: Frankreich übrigens auch!
    Ich glaube, man hat in Deutschland noch kein wirkliches Gefühl entwickelt, mit welcher Leidenschaft Macron sich als Europäer auch wirklich fühlt. Vielleicht ist es sinnvoll, noch mal den Wahlkämpfer Macron zu hören, einen Auszug, in dem er seine Bewegung und ihre Anhänger als die wahren Patrioten bezeichnet - das war so eine Replik gegen Marine Le Pen vom Front National. Und dann kommt eben zum Schluss dieser Zusatz: In Europa!
    Emmanuel Macron:
    "Nous sommes les vrais patriotes dans cette salle. Parce que nous, nous n'aimons pas la France du repli, nous aimons la France forte, la France de l'espoir dans l'Europe."
    König: Dieser leidenschaftliche Europäer Macron, das ist - und ich glaube, man muss daran erinnern - der Macron, dem nach seinem Wahlsieg so viele auch in Deutschland zugejubelt haben. Das darf man nicht vergessen. Und diesen Weg will Macron nun auch wirklich endlich gemeinsam mit Deutschland gehen, nachdem er schon sechs Monate auf eine deutsche Regierung warten musste.
    Krone: Also die CSU im Wahlkampf ist natürlich vor allen Dingen an der Allemagne forte, also einem starken Deutschland interessiert. Sie sagen: Europäischer Währungsfonds ja, aber wenn es um deutsches Geld geht, dann sollte Deutschland auch ein Vetorecht behalten. Und wenn das in einer Krise dann nichts hilft, dann sollen die Länder, wie ja Griechenland damals auch schon, weiterhin in ein Insolvenzverfahren gehen.
    These: Frankreich soll sich erst mal selbst reformieren (Die Reformfähigkeit des Nachbarn)
    Krone: Also die CSU sagt da, die Franzosen brauchen uns Deutschen ja mal gar nichts sagen, erst mal sollten sie ihren eigenen Laden in den Griff kriegen. Dazu Markus Ferber:
    "Frankreich hat einen aufgeblähten öffentlichen Sektor, Frankreich hat eine Wirtschaft, die nicht wettbewerbsfähig ist dessen, die Probleme, die Frankreich zu lösen hat."
    Krone: Markus Ferber sieht schon, dass Macron da jetzt gerade was ändern will, ein wenig in Richtung deutsche Wirtschafts- und Arbeitspolitik. Das freut ihn auch, aber man sieht sich weiterhin als Vorreiter: Deutschland und insbesondere Bayern mit soliden Finanzen. Hier werden Schulden so konsequent abbezahlt, dass man jetzt auch wieder investieren kann. Andere müssten eben erst mal beweisen, ob sie es überhaupt können.
    König: Ja, gut, aber da würde jetzt Macron schon, während er Herrn Ferber zugehört hätte, tief Luft geholt haben und würde sagen: Na ja, das mit dem aufgeblähten öffentlichen Sektor, das stimmt - aber es wurde ja bereits beschlossen, 120.000 Beamtenstellen zu streichen. Ansonsten muss man sagen - und das sage ich jetzt auch als Journalist - dass Macron als Präsident im ersten Jahr seiner Amtszeit schon mehr Reformen angestoßen hat als sein Vorgänger François Hollande während seiner gesamten Amtszeit. Bis diese Reformen Wirkung zeigen, da wird einige Zeit vergehen. Das kann auch gar nicht anders sein, das wird auch ein Markus Ferber einräumen müssen.
    Dass aber etwas geschehen ist, da sage ich, das ist nicht zu bezweifeln, und es sind wichtige Themen, die Macron angegangen ist, allem voran die Reform des Arbeitsrechts, die von der französischen wie von der internationalen Wirtschaft übrigens sehr positiv aufgenommen wurde. Auch die internationalen Finanzmärkte haben sich von dieser Aufbruchsstimmung anstecken lassen. Also hier ist jemand wirklich dabei, Frankreich von Grund auf umzukrempeln - und das in einem Land, das jahrzehntelang als unreformierbar galt. Also das ist schon bemerkenswert, und ich glaube, dass das letztlich auch ein Herr Ferber schon anerkennen wird.
    Krone: Ich glaube, in Bayern sieht man vor allen Dingen gerade die Streiks, die in Frankreich stattfinden, zum Beispiel in der französischen Bahn, und die CSU ist eben gerade im Wahlkampf, und da klammert sie eben aus, dass die Europäische Union ja auch schon von Anfang an Teil so eines nationalen Aufschwungs sein könnte. Man denkt hier eben gerade besonders in nationalen Containern, die Gemeinschaft steht für sie vor allem am Ende und nicht auf dem Weg der wirtschaftlichen Entwicklung einzelner Länder. Das muss man eben gerade so sehen.
    König: Macron würde dazu sagen, die populistischen Parteien werden immer stärker, sie könnten bei den Europawahlen in einem Jahr deutlich an Einfluss gewinnen, dagegen muss jetzt etwas getan werden. Und da kann man nicht erst sagen, wir warten jetzt mal ab, bis Herr Macron fünf Jahre lang sein Land reformiert hat, und dann haben wir einen Punkt erreicht, wo auch wir Deutsche sagen können, gut, nun haben wir das Vertrauen und so weiter, und wie gesagt, die internationalen Märkte zeigen schon jetzt einen enormen Vertrauenszuwachs.
    These: Drei ist drei, und dabei bleibt es (Streitpunkt Neuverschuldung)
    König: Was diese Drei-Prozent-Hürde aus dem Maastricht-Vertrag angeht, dazu kann man gar nicht laut genug sagen, dass Macron es geschafft hat, schon in seinem ersten Amtsjahr diese Drei-Prozent-Defizitgrenze wieder einzuhalten, er ist sogar bei 2,6 Prozent noch im Jahr 2017 gelandet. Das schaffte Frankreich zuletzt 2007, und das könnten, finde ich oder findet man hier in Frankreich, findet Staatspräsident Macron, das könnten auch deutsche Kritiker einmal würdigen. Dies geschafft zu haben, ist ein immenser Erfolg, hat harte Einschnitte in den französischen Haushalt bedeutet, und hier ist schon das Gefühl irgendwie vorrangig, dass das in Deutschland nicht wirklich wahrgenommen wird - von Würdigung mal ganz zu schweigen.
    Krone: Na ja, in Deutschland muss man ja tatsächlich auch zugeben, zwischen 2000 und 2006 hat Deutschland ja auch diese Defizitgrenze immer wieder gerissen, aber das ist natürlich nicht mehr der Stand der Dinge, zumindest wenn man sich im bayrischen Wahlkampf befindet. Da ist man der Meinung, Haushaltsdisziplin in Europa, das sollte der Normalfall sein und gar nicht der Rede wert, geschweige denn eines Lobes.
    Markus Ferber:
    "Wer sich normal verhält, muss mit jedem Tag für all diese Dinge ein Lob bekommen. Ich hab noch nie erlebt, dass der Schaffner durch den Zug gegangen ist und gesagt hat: Schön, Herr Ferber, dass Sie heute ein Ticket gekauft haben."
    Krone: Also ganz getreu dem Motto der schwäbischen Heimat von Markus Ferber, nicht gemotzt, also nicht gemeckert, ist Lob genug.
    König: Ja, aber bitte schön, Herr Krone, das kann Herr Ferber nicht ernst meinen. Wie gesagt, die Franzosen haben seit 2008 keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorgelegt, jetzt ist es gelungen, und da kann man nicht sagen, na ja, nun haben sie endlich den Normalzustand wieder erreicht, sondern das ist schon eine gewaltige Anstrengung. Und dieses Beispiel mit dem Schaffner, das ist zwar hübsch, aber es geht auch, glaube ich, an der Tragweite dessen, wovon wir beide jetzt hier reden, doch erheblich vorbei.
    Krone: Ich glaube auch, es geht ganz allgemein um diese Haushaltsdisziplin und nicht jetzt allein um Frankreich. Bei europaweit 160 Verstößen, die es seit der Euro-Einführung gegeben hat, da ist natürlich Frankreich nur ein ganz kleiner Teil, und nur 50 dieser 160 Verstöße waren auf krisenbedingte Situationen zurückzuführen. Das heißt eben, der Großteil ist quasi selbst verschuldet. Da sieht die CSU auf ganzer Linie bei vielen Ländern Nachholbedarf und nicht nur bei Frankreich.