Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Ein Jahr nach Hitzlspergers Outing
"Das ist halt kein Gewinnerthema"

Das Coming Out von Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger sei für schwule und lesbische Fußballfans wichtig gewesen, sagte Andreas Stiene, Organisator des Kölner Come-Together-Cups, im DLF. Irgendwann werde es auch ein aktiver Fußballer wagen. In einigen Vereinen sei das schon heute kein Problem. Vom DFB werde das Thema aber vernachlässigt.

Andreas Stiene im Gespräch mit Thilko Grieß | 09.01.2015
    Der Fußballer Thomas Hitzlsperger zeigt am Dienstag (11.10.2011) im Meilenwerk in Düsseldorf den Julius-Hirsch-Ehrenpreis 2011.
    Die schwul-lesbischen Fußball-Fanklubs seien Hitzlsperger sehr dankbar, sagte Stiene. (dpa / Picture Alliance / Victoria Bonn-Meuser)
    Thielko Grieß: Thomas Hitzlsperger, der damals schon ehemalige Fußball-Nationalspieler und aktive Vereinsspieler, hatte sich die Wochenzeitung "Die Zeit" ausgesucht, um ein Interview zu geben, in dem er erklärt hatte, ich bin schwul, ich bin homosexuell, was eigentlich nicht weiter der Rede wert wäre, wenn er eben nicht Fußballer wäre und damit aus einer Branche käme, in der Homosexualität sehr selten thematisiert wird.
    Wir wollen jetzt bewerten, was sich seit einem Jahr im Fußball getan hat. Dazu habe ich mit Andreas Stiene gesprochen, der selbst früher Amateurfußballer war, der über seine sexuelle Orientierung sich aber lange nicht zu sprechen traute, bis er sein Leben verändert hat, nach Köln gezogen ist und dort unter anderem den FC Köln Fanklub "Andersrum rut-wiess" mitgegründet hat und ein Turnier ins Leben gerufen hat, den Coming-Together-Cup, bei dem in Köln immer im Sommer Hetero- und Homomannschaften gegeneinander spielen. Meine erste Frage an Andreas Stiene: Hat Thomas Hitzlsperger mit seinem Bekenntnis überhaupt irgendetwas angestoßen?
    Andreas Stiene: Ja, auf jeden Fall. Zunächst mal sind wir ihm alle sehr dankbar von den schwul-lesbischen Fußball-Fanklubs, dass es endlich jemanden gibt, wo wirklich ein Name im Raume steht und auch wie gesagt ein sehr berühmter Fußballer, der dazu steht, dass er eben schwul ist. Und auch wenn er es erst nach seiner Karriere gemacht hat, so ist es doch wichtig, weil vorher wurde uns, den Fanklubs, die es schon seit, ich sage mal, 2005, 2006, 2007 verstärkt gibt, die schwul-lesbischen Fanklubs, immer so ein bisschen auch von den Verbänden und auch Vereinen vorgehalten, es gibt doch gar keinen bisher. Das ist seit Hitzlsperger sicherlich nicht mehr der Fall und von daher hat das schon einiges bewirkt und es hat auch sicherlich Sachen erst ermöglicht, die vielleicht vor einigen Jahren so noch nicht möglich gewesen wären. Ich sage nicht, dass das jetzt ein ganz großer oder wahnsinnig großer Schritt war, wie man es vielleicht zunächst erwarten konnte. Jeder wartet ja auf das Outing oder genauer gesagt Coming Out von irgendeinem aktuellen Spieler in der Bundesliga oder auch Nationalmannschaft. Aber für die Tatsache, dass es sehr viele schwule und lesbische eingefleischte Fußballfans gibt, ist es auf jeden Fall schon mal eine sehr gute Sache gewesen.
    "Es muss in erster Linie für den Spieler wichtig sein"
    Grieß: Eine wichtige Zäsur, höre ich heraus, auf dem Weg zu einem liberalen Fußball in Deutschland. Vermessen wir das noch mal ein bisschen, wo wir jetzt stehen nach dieser Zäsur. Zum Beispiel, Sie haben es gesagt: Es gibt keinen aktiven Fußballer, zumindest in Profiligen, Erste, Zweite Liga, da denken wir jetzt mal dran, der sein Coming Out gehabt hätte, während er aktiv gewesen ist. Woran liegt das bislang?
    Stiene: Ja, wie gesagt: Ich denke, dass die Spieler sich das auch erst alles mal in Ruhe angucken. Es gibt ja auch keine Eile und es ist ja auch wichtig, wem nützt dieses Coming Out. Es muss ja in erster Linie auch für den Spieler wichtig sein. Ich selber war auch im Amateurbereich Fußballer in der Landesliga und habe es auch geschafft, mein Leben lang Fußball zu spielen, ohne meine Sexualität irgendwo da zu thematisieren.
    Grieß: Aber gut ging es Ihnen ja nicht dabei?
    Stiene: Nein! Mir ging es dabei überhaupt nicht gut. Und ich muss auch sagen, ich glaube, dass ich auch ein besserer Fußballer gewesen wäre, wenn ich mich nicht hätte die ganze Zeit verstellen müssen und wenn ich nicht auf die Frage meiner Mannschaftskameraden, die nach meiner Freundin oder so gefragt haben, wo ich dann mir immer irgendwas habe einfallen lassen müssen. Das war schon so, ich komme aus dem Ruhrgebiet: Wenn ich dann irgendwo rausgegangen bin, habe ich schon sehr genau darauf geachtet, dass mein schwuler Freund vielleicht in dem Moment sich ein bisschen von mir absetzt, wo ich vielleicht aus der Entfernung irgendwo einen Mannschaftskollegen sehe, oder irgendeinen Zuschauer, den ich vom Sport oder vom Fußball her kenne. Also das war schon ein ziemlicher Eiertanz. Es ist damals nie rausgekommen, aber für mich selber war es überhaupt nicht gut, und ich glaube, wenn man heute immer davon spricht, auch im Profifußball-Bereich, wenn es in entscheidenden Spielen um die entscheidenden paar Prozente geht, dann glaube ich manchmal, dass vielleicht ein Spieler, der in so einer Truppe ist und sich immer verstellen muss und den anderen was vormacht, ich glaube, vielleicht sind das dann gerade die paar entscheidenden Prozente, die dann fehlen, um vielleicht einen entscheidenden Sieg einzufahren.
    "Vereine, wo es auf einem sehr guten Wege ist"
    Grieß: Bieten die Vereine nach wie vor zu wenig Unterstützung?
    Stiene: Die Vereine - ich bin kein Freund von Verallgemeinerungen.
    Grieß: Na gut, dann konkretisieren wir es.
    Stiene: Ich glaube, es gibt Vereine, wo es auf einem sehr guten Wege ist. Wir sind hier in Köln. Der 1. FC, der unterstützt. Ich glaube, wenn da ein Spieler schwul wäre, was ich nicht weiß, wo ich auch nicht von ausgehe oder so, wo ich auch keinen Anhaltspunkt für habe, dass die den wirklich rückhaltlos unterstützen würden. Das heißt aber nicht, dass das öffentlich gemacht würde, sondern es kann auch durchaus sein, dass das dann im internen Kreis bekannt ist, und dann ist es ja auch gut. Weil wenn der Spieler sich dann immer noch wohlfühlt, das ist das Entscheidende, dass der sich selber wohlfühlt und mit dieser Situation gut umgehen kann.
    Es kommen immer die gleichen Argumente. Es kommt immer, ja, wenn einer ein Coming Out macht frühzeitig, kann ja sein, dass der bei dem Verein gut klar kommt und das Publikum super mitspielt, sei es gerade im eigenen Stadion, oder sei es vielleicht auch, weil der ein toller, attraktiver Spieler ist, auch im auswärtigen Stadion ist alles nicht so schlimm. Aber dann geht der ins Ausland und was ist dann? - Das sind immer diese offenen Fragen: Was ist dann? Das kann natürlich keiner beantworten, aber irgendwann wird es sicherlich mal einer wagen und es ist sicherlich hilfreich, wenn es ein populärer und auch dazu noch sehr guter Spieler ist. Das würde die Sache noch mal unterstützen und würde sie vereinfachen.
    "Wir können nur das Umfeld bereiten"
    Grieß: Sie sagen vor allem, da darf man jetzt keine so ganz großen Schritte sofort erwarten, das ist eine Sache von vielen Jahren, vielleicht sprechen wir von Generationen hier.
    Stiene: Ja. Ich nenne das immer schon, weil ich wurde schon vor fünf und vor sechs und sieben Jahren gefragt, wann ist es denn endlich so weit, und ich sage immer, wir können alle immer nur das Umfeld mit bereiten, die Fans im Stadion hier, die schwul-lesbischen Fußball-Fanklubs zum Beispiel, können nur daran mitwirken, dass ein Umfeld da ist, in dem es dann gar nicht schlimm wäre, wenn es so weit ist. Aber dass wir das jetzt irgendwie forcieren, oder dass wir jetzt, wie soll man sagen, so eine Identifikationsfigur da unbedingt brauchen, nö. Ich war schon immer fußballverrückt, ich werde mein Leben lang fußballverrückt bleiben, ich kenne zig Leute bei uns in dem Fanklub, die sind genauso begeistert davon, und wir brauchen da jetzt nicht unbedingt die Feuerwehr. Wir wollen selber auch dazu stehen können, und auch das ist wichtig.
    Grieß: Ist der Amateurfußball denn weiter vielleicht als der Profifußball, über den wir bisher gesprochen haben?
    Stiene: Auch da gibt es Vereine, wo das kein Problem wäre. Aber es gibt sicherlich auch Vereine, wo das schon ein Riesenthema wäre. Es kommt immer darauf an: ist das eine funktionierende Mannschaft, wie sind da die Strukturen innerhalb, sind da die Wortführer irgendwelche Arschlöcher, da gibt es ja auch genug, die dauernd die Klappe aufhaben, die anderen mobben und sagen, wo es langgeht, oder es gibt auch Teams, die sind innerlich geschlossen und da hätte es so ein Spieler immer leichter, da wäre das immer möglich, dass der sich als Spieler outet.
    Grieß: Muss sich der Fußball ein Stück weit auch schon damit abfinden, immer ein kleines Stück hinter der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherzuhinken?
    Stiene: Ja, es gibt ja - Theo Zwanziger ist ja da ziemlich vorgeprescht.
    Grieß: Der frühere DFB-Präsident.
    Stiene: Man kann über ihn denken, was man will, aber in dem Bereich hat er wirklich großartig Türen aufgestoßen, die vorher wirklich verschlossen waren. Da ist im Moment beim DFB, so habe ich den Eindruck, niemand, der so richtig mit Power dieses Thema bearbeiten will. Das ist halt kein Gewinnerthema, mit dem man jetzt unglaubliche Punkte innerhalb dieses Verbandes sammeln kann. Da gibt es immer noch Leute, die im Hintergrund, wenn Schwule und Fußball, das Thema aufkommt, oder auch Lesben und Fußball, die immer noch da mit den Augen rollen. Da sind eben auch noch altgediente Funktionäre zum Teil. Die Äußerungen von Niersbach zuletzt waren meiner Ansicht nach schon auch Hoffnung machend, aber da müssen mehr als nur Lippenbekenntnisse kommen.
    "Es wird immer noch so ein bisschen rumgeeiert"
    Grieß: Was hat er gesagt, der aktuelle DFB-Präsident?
    Stiene: Ja! Er sagt, dass wenn jemand von sich aus sein Coming Out machen würde, dann würde der DFB auf jeden Fall voll hinter diesem Spieler stehen und ihm alle Unterstützung gewähren, und das finde ich auf jeden Fall eine gute Aussage. Aber wie gesagt, es wird immer so noch ein bisschen rumgeeiert, so nach dem Motto, wir haben wichtigere Themen, und das ist ja wahrscheinlich auch zum Teil so. Aber das ist eben auch ein wichtiges Thema.
    Grieß: Jetzt haben wir einige Minuten über Männerfußball geredet. Steht der Frauenfußball besser da?
    Stiene: Der steht anders da. Der steht komplett anders da, weil da ist es ja bekannt, dass es viele lesbische Fußballerinnen gibt. Aber da wäre zum Beispiel die Fußball-WM der Frauen 2011 eine großartige Gelegenheit gewesen, dieses Thema mal aufs Tapet zu bringen. Das ist leider nicht erfolgt. Da wurde leider so ein bisschen im Sinne der Sponsoren agiert. Da waren dann auf einmal die Fußballerinnen alle, ich sage mal, unglaublich gestylt und und und. Also ich fand, dass der DFB da ganz klar eine Chance hat liegen lassen, dieses Thema mehr in den Fokus zu bringen, aber irgendwo war da zu dem Zeitpunkt wohl nicht das Interesse gegeben. Und deswegen: Im Frauenfußball ist in den Teams klar, welche Frauen da eben lesbisch sind, und die haben untereinander damit überhaupt kein Problem, in den Vereinen auch nicht, aber es wird auch nach außen nicht großartig transportiert. Aber bewusst ist es vielen.
    Grieß: Die Einschätzung von Andreas Stiene, der sich seit Jahren, seit Jahrzehnten hier in Köln für die Interessen Schwuler und Lesben im Fußball engagiert. Danke schön für das Gespräch!
    Stiene: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.