Mittwoch, 17. April 2024

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Ein Jahr Pegida
"Wir sind noch da!"

15.000 bis 20.000 Menschen folgten am Montagabend dem Aufruf der Pegida-Organisatoren, etwa genauso viele Gegendemonstranten kamen nach Dresden. Hass war auf beiden Seiten spürbar - und bis in die Nacht kam es zu Handgemengen und Rangeleien.

Von Thielko Grieß | 20.10.2015
    Pegida-Demonstranten haben sich am 19.10.2015 in Dresden (Sachsen) vor dem Reiterstandbild versammelt.
    Pegida-Demonstranten vor dem Reiterstandbild in Dresden (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    Der Theaterplatz liegt im orangenen Schein der Straßenlaternen – auf der hell erleuchteten Bühne, geschmückt mit roten und goldenen Blumen, begrüßt Lutz Bachmann seine Anhänger: "Herzlich willkommen zum ersten Geburtstag von Pegida euch allen hier aus ganz Deutschland, aus ganz Europa, wo auch immer ihr... Ich habe Gänsehaut."
    Bachmann bekommt seinen Applaus längst nicht nur von Dresdnern: "Hurra, hurra, die Duisburger sind da!" Über den von weit und nah Angereisten strahlt an der ansonsten verdunkelten Semperoper ein großer Bildschirm, darauf hat das Musikhaus schreiben lassen: "Wir sind keine Kulisse für Intoleranz." Die Demonstranten schauen ohnehin nicht hinauf und in eine andere Richtung: "Wir wurden mit Mord bedroht, es gab Anschläge auf unsere Fahrzeuge und Häuser. Wir wurden übelst durch den Dreck gezogen. Aber wir sind noch da!"
    Manches ist auch beim Einjährigen wie sonst: Die Demonstranten schwenken schwarz-rot-goldene Fahnen, recken ein leuchtendes Kreuz in den klaren, nächtlichen Himmel, verlangen auf Transparenten den Rücktritt der Kanzlerin - "Volksverräter, Volksverräter, Volksverräter" - oder gleich die Abschiebung Angela Merkels nach Sibirien, im Gegenzug solle Putin in Berlin regieren. Und einen Galgen wie vor einer Woche? Diesmal trägt ihn keiner.
    Neu sind die Videos. Zwischen den Reden zeigen die Organisatoren den Demonstrationen Bilder der eigenen, einjährigen Geschichte. Die gewählte Musik, schwer und mächtig, klingt nach Epos – das soll sie wohl auch.
    Die Menge klatscht, äußert sich zustimmend. In den dicht gedrängt stehenden Reihen fällt schon mal der Begriff Gelumpe oder Pack. Gemeint sind Flüchtlinge oder Journalisten. "Hör auf! – Gehen Sie rüber! Es reicht! Sie bringen doch sowieso nichts! Sie bekommen von Ihrem Redakteur gesagt, dass Sie nichts bringen dürfen. – Wir sind das Volk."
    Vier Gegendemonstrationen zur selben Zeit, ihrem Aufruf folgen weit mehr als 10.000 Menschen. Die Plätze rings um Pegidas Theaterplatz sind ihre Flächen. Flüchtlinge willkommen, rufen sie. Für Toleranz, für Grundrechte, lesen sich ihre Transparente. Die Stadtspitze reiht sich ein. "Die Teilnehmer von Pegida müssen aufpassen, dass sie die Stadt nicht zerstören, auch die wirtschaftlichen Potenziale nicht zerstören." Hartmut Vorjohann, CDU, stellvertretender Oberbürgermeister der sächsischen Landeshauptstadt. "Wir haben 25 Jahre hier hart daran gearbeitet, dass unser Standort wirtschaftlich funktioniert. Und jetzt tut er es, und jetzt werden alle abgeschreckt: alle Investoren, alle ausländischen Wissenschaftler. Und überhaupt: Der Ruf wird ruiniert. Und das ist halt furchtbar."
    Hass und Mittelfinger
    Nach drei Stunden bildet die Polizei eine Gasse durch Gegendemonstranten, um Pegida einen Heimweg zu ermöglichen. Beide Seiten belegen lautstark den gegenseitigen Hass und strecken sich den Mittelfinger entgegen. "Pegida – verblödet, ignorant, hässlich und bieder..."
    Auf dem Heimweg durch Straßen und Viertel abseits der Altstadt Dresdens, heißt es in Tweets bis in die Nacht, komme es mehrfach zu Handgemengen und Rangeleien.