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Ein Kaleidoskop arabisch-islamischer Untergrundmusik

In seinem Buch bietet Islamwissenschaftler Arian Fariborz einen facettenreichen Einblick in unabhängige Musikbewegungen der arabisch-islamischen Welt. Seine Reportagen zeigen die Bedeutung der Musik als Ventil für sozialen und politischen Protest.

Von Anja Kampmann | 24.03.2011
    Der Politik- und Islamwissenschaftler Arian Fariborz zeigt in seinem neuen, hochaktuellen Buch "Rock the Kasbah - Popmusik und Moderne im Orient" die unabhängigen Musikbewegungen in der arabisch-islamischen Welt. Aus zahlreichen Interviews und Beobachtungen entwickelt er Reportagen für sieben Länder, und eröffnet so - gespickt mit politischen Hintergrundinformationen - ein Kaleidoskop für den Leser. Sein Fokus liegt dabei auf der Bedeutungsverschiebung von Musik als Unterhaltungsmedium zu einem Ventil für sozialen und politischen Protest.
    Dabei handelt es sich nicht etwa um ein kurzlebiges Protestphänomen oder eine Adaption zeitgemäßer westlicher Musiktrends. Vielmehr sind die Musikströmungen der urbanen Jugend lokal verwurzelt und reflektieren Konfliktherde in ihren Heimatländern - Bürgerkriege, Repressionen oder das Versagen der politischen Eliten."

    Anhand der Musikszenerien zeichnet Arian Fariborz ein Bild der gesellschaftlichen Verhältnisse. So zeigt er die schwierige Lage im Iran am Fall der persischen Heavy Metal-Band "OUM". Über vier Jahre ringt die Band aus Teheran um eine offizielle Zulassung ihrer Musik - ohne Erfolg. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung Ershad lehnt die Musik rigoros ab. Frauenstimmen sind im Iran offiziell nur im Chor zugelassen, Sologesänge sind nicht erlaubt. 2009 bringen die Proteste gegen die umstrittenen Präsidentschaftswahlen Lieder hervor, die sich direkt gegen den Staatspräsidenten wenden: "Nicht wir sind Staub und Dreck, sondern du (Ahmadinedschad) Du bist der Feind des Iran!"

    In Ägypten lässt ein Blick auf die Heavy Metal-Szene Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Lage zu. 1997 diffamieren christliche und islamische Kleriker die Мetalheads als Teufelsanbeter und Junkies, Razzien folgen. Interessante Entwicklungen wie Oriental Black Metal sind in ihrer Verbreitung fast ausschließlich auf das Internet beschränkt.

    Die "Hamma Boys" aus Algier sind nur eine von über 200 Hip-Hop-Bands in Algerien. Seit Anfang der Neunziger ist die Rapszene auch in anderen großen Städten gewachsen. Als Schlüsselerlebnis für die jungen Rapper gilt der 5.Oktober 1988. Schüler und junge Arbeitslose demonstrieren gegen erhöhte Lebensmittelpreise, die algerische Armee greift massiv ein, es kommt zu 500-1000 Toten. Der Sänger von "Intik", Youcef Sedda:

    Мit vierzehn, fünfzehn Jahren verstanden wir nicht sofort, was wirklich los war, auch nicht, als das Militär anfing, die Demonstranten niederzuschießen.

    Gewaltexzesse und Massenmorde während des Bürgerkrieges sind Themen, auf die Bands wie "Intik", "Hamma Boys", oder "Le Micro Brise le silence" aufmerksam machen. Dabei geraten auch sie in das Visier islamischer Extremisten. Nachdem es 1990 sogar zu Morden an Sängern der algerischen Populärmusik Rai gekommen war, gingen viele Musiker ins Exil nach Frankreich.

    Israel und Palästina. Die Hip-Hop-Formation "Ramallah Underground" leistet in Liedern wie "Unter den Trümmern" Widerstand gegen die Gängelung der palästinensischen Bevölkerung. Arian Fariborz bleibt in seinen Beschreibungen exakt; grobe Stimmungsbilder reichen ihm nicht aus. Er geht den Auslösern und geschichtlichen Ereignissen nach, die teilweise auch zu einer Radikalisierung der Jugendlichen führten. Auch persönliche Fragen, wie die nach einer möglichen Freundschaft zwischen palästinensischen und israelischen Musikern werden thematisiert.

    "Es sind Klangwelten die bisweilen an rotierende Helikopter, Sirenen, Detonationen und das Pfeifen von Bomben oder Granaten erinnern Reminiszenzen an den Krieg.

    Die experimentelle Avantgarde-Musik im Libanon nimmt den langjährigen Bürgerkrieg bis heute als künstlerische Inspiration. Krieg als Alltagsgeräusch? Mazen Kerbaj unterscheidet die Geräusche von Bomben und verwendet sie in seinen Stücken.

    Die libanesische Freejazz-Szene entwickelte sich seit dem Jahr 2000 rasant - bis 2005. Die Ermordung von Ministerpräsident Rafik Hariri und ihre Folgen zwangen viele Künstler ins Exil. Der israelische Krieg gegen die schiitische Hisbollah 2006 überraschte und lähmte die Musiker zusätzlich.

    Im Gegensatz dazu hat sich die Musik der "Master Musicians of Joujouka" schon seit dem zehnten Jahrhundert in der Abgeschiedenheit des Rifa Gebirges im Norden Marokkos entwickeln können.

    Die "Master Musicians of Joujouka" mit ihren Ghaita- und Flötenklängen sind schon seit den 60er-Jahren eine Inspiration für Beatpoeten und Musikgrößen wie Brian Jones von den Rolling Stones.

    Sie führen uns zur Schlussthese Fariborz: eine Warnung vor der Verwertungslogik der globalen Musikindustrie. Zugleich eine große Respektsbezeugung vor den Anstrengungen der Untergrundmusiker in der arabisch-islamischen Welt. "Мutig" nennt der Autor vor allem die Musiker im Iran und Irak, denn dort riskieren sie angesichts der politischen Gewalt ihr Leben.

    Was Arian Fariborz vermittelt, ist das Spannungsverhältnis, aus dem heraus die verschiedenen Musikströmungen entstehen. Fotos und Plattencover, sowie die zahlreichen Weblinks zum Nachhören machen das Buch zu einem lebendigen Kaleidoskop arabisch-islamischer Untergrundmusik. Ein ausführliches Glossar gibt Auskunft über Instrumente und Musikrichtungen.

    Der Leser ist allerdings aufgefordert, selbst das eine oder andere nachzulesen und nachzuhören. Wer dieses Wagnis eingeht, erhält die Möglichkeit, in diesen genauen Reportagen einer lebendigen Musikszenerie zu begegnen, "abseits medialer Zerrbilder".

    Arian Fariborz: Rock the Kasbah: Popmusik und Moderne im Orient. Reportagen aus Ägypten, Algerien, Israel, Palästina, Marokko, dem Libanon und dem Iran
    Palmyra Verlag Heidelberg, 182 Seiten, 17,90 Euro
    Cover: Arian Fariborz: "Rock the Kasbah - Popmusik und Moderne im Orient".
    Cover: Arian Fariborz: "Rock the Kasbah - Popmusik und Moderne im Orient". (Palmyra Verlag Heidelberg)