Dienstag, 23. April 2024

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"Ein Konjunkturprogramm für Politikverdrossenheit"

Die CDU präsentiert sich in Karlsruhe auf ihrem Bundesparteitag als Partei mit dem Anspruch, die zentrale Kraft in Deutschland zu sein, im Zweifelsfall also die einzig verbliebene Volkspartei. Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel sieht dagegen eine Wende zum Erzkonservativen bei der CDU.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.11.2010
    Friedbert Meurer: Am Telefon begrüße ich den Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel. Guten Morgen, Herr Gabriel.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen! Ich grüße Sie.

    Meurer: Kann die SPD von der CDU auf dem Parteitag lernen, wie man Volkspartei bleibt?

    Gabriel: Nein. Man kann vielleicht von der CDU lernen, wie man im Wald laut pfeift. Denn ich meine, das was die Union in den letzten zwölf Monaten mit der FDP zusammen abgeliefert hat, war ja alles andere als begeisterungsfähig, sondern war ja eher ein Konjunkturprogramm für Politikverdrossenheit, und ich glaube, was Angela Merkel dort gemacht hat, ist eine harte ideologische Wende zu einer eher erzkonservativen CDU, weil sie ja Angst hatte, dass das vergangene Jahr dazu führt, dass sie ihre Partei auseinanderbricht. Die alten Konservativen sind rausgegangen und sie musste Sorge haben, dass sogar eine neue Partei entsteht. Und jetzt hat sie sich sozusagen hart an alte konservative Werte zurückgewandt. Das ist das, was da stattgefunden hat, eher eine Rede nach innen.

    Meurer: Ja! Das ist aber für sie auch von Vorteil, wenn sie mit einem leichten konservativen Schwenk die Partei geschlossen hinter sich bringt.

    Gabriel: Also was erst mal insgesamt passiert ist, dass sie ihre politische Möglichkeit verengt. Sie sagt, ausschließlich CDU und FDP ist für die CDU eine mögliche Position, sie redet nicht mehr von Europa, sondern wieder vom Vaterland, sie orientiert sich an einem alten konservativen Familienbild und vieles andere mehr, und das ist der Versuch, die Partei nach innen zu einen. Das ist auch okay, das muss sie wahrscheinlich auch tun. Das hat nur mit unseren Problemen in Deutschland wenig zu tun. Da sagt sie nichts über die Frage aus, wie wir das Bildungssystem reformieren, sie sagt nichts darüber aus, wie wir sozusagen die Weltwirtschaft stabil halten, sie sagt nichts darüber aus, wie Menschen mehr vom Wohlstand auch betroffen sein können. Das alles lässt sie weg und hält eine wie gesagt erzkonservative Rede nach innen. Das, glaube ich, reicht nicht, um eine Partei attraktiv zu halten.

    Meurer: Wäre das, Herr Gabriel, eine kleine Parallele zwischen ihnen beiden? Die Kanzlerin versucht, mit leichtem Schwenk nach rechts die Partei zu einen, Sie mit leichtem Schwenk nach links die Partei zu einen, und beide haben die vordringliche Aufgabe, den Laden erst mal zusammenzuhalten.

    Gabriel: Nein, ich glaube, es geht um was anderes. Unser Problem bei den Volksparteien ist, glaube ich, nicht, dass wir die Läden zusammenhalten müssen, sondern wir haben bei der Bundestagswahl nur noch 70 Prozent der Menschen überhaupt an die Wahlurne bekommen. Das Problem der Volksparteien ist nicht, dass sie selber zu zerstritten sind, sondern dass Politik insgesamt viele Menschen gar nicht mehr erreicht, die sich abwenden und den Eindruck haben, wir reden über alles mögliche, bloß nicht über ihren Alltag. Wenn es uns gelingen würde, und das, glaube ich, ist die Aufgabe der SPD vor allen Dingen, wieder Menschen zurückzuholen, die gar nicht mehr wählen, die sich abgewandt haben, die nichts mehr von uns erwarten, dann gibt es auch eine Stärkung der Volksparteien. Wenn wir uns nur um unsere eigenen Läden kümmern und schön nach ideologischer Geschlossenheit suchen, dann sind wir miteinander vielleicht einig, aber wir werden Menschen nicht zurückholen, die sich von der Demokratie oder besser gesagt von den Parteien in der Demokratie abgewandt haben.

    Meurer: Einige wenden sich offenbar vom Parlamentarismus ab und stürmen entweder gegen einen Hauptbahnhof, protestieren gegen einen Hauptbahnhof, oder ziehen nach Gorleben, und in beiden Fällen wirkt es so, Herr Gabriel, als sei die SPD da nicht so richtig mit von der Partie. Ist das im Moment einfach eine ungünstige Zeit, die Themen sind nicht die der Sozialdemokraten im Augenblick?

    Gabriel: Was da stattfindet ist erst mal, dass Menschen mit Entscheidungen der Politik nicht zufrieden sind. Die SPD ist der Überzeugung, dass man Verkehrsinfrastrukturprojekte braucht, aber in Stuttgart ist es offensichtlich so, dass die Argumente dafür nicht ausgereicht haben. Und ich meine, bis vor ein paar Wochen haben wir uns öffentlich darüber beklagt und haben gesagt, wir hätten eine Zuschauerdemokratie, und haben lamentiert über die Bürger, die sich nicht mehr engagieren. Jetzt auf einmal, wo die das tun, erklären wir das gleich wieder zur Dagegen-Republik. Also das ist auch nicht ganz logisch, was wir da treiben. Und in Gorleben, ich meine, da haben wir als Sozialdemokraten nun wirklich versucht, diesen Unfug, ein Endlager in Gorleben zu errichten, zu unterbinden. Wir haben der Kanzlerin in der Großen Koalition vorgeschlagen, zwei, drei Standorte in Deutschland zu überprüfen, auch Gorleben, um dann am Ende zu entscheiden, wo ist der bessere, und das ist einfach schlicht daran gescheitert, dass die CDU und die CSU zu feige war, in Bayern und Baden-Württemberg nach einem Endlagerstandort zu suchen, obwohl dort die Stimmen am lautesten sind für die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken.

    Meurer: Die Kanzlerin, Herr Gabriel, hat sich gestern in Karlsruhe noch einmal klar für "Stuttgart 21", für die Tieferlegung des Hauptbahnhofs ausgesprochen. Was sagen Sie? Klar, dass er oben bleiben soll?

    Gabriel: Also die SPD ist nach wie vor für das Projekt, aber man wird es nicht mit dem Polizeiknüppel durchsetzen können. Was die Kanzlerin da versucht ist, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Dort gibt es jetzt einen Prozess, wo die Argumente auf den Tisch kommen. Und man kann ja dort keinen Kompromiss schließen. Es gibt ja nicht einen halben Bahnhof unter der Erde, oder zwei Gleise oder so. Also wird am Ende das Volk in Baden-Württemberg abstimmen müssen darüber, ob sie denn nun die Argumente dafür, für das Projekt tragfähig halten oder nicht. Das ist kein deutsches Projekt, das ist kein nationales Projekt, das ist ein regionales Verkehrsprojekt, und wenn die Leute da unten sagen, wir wollen das, dann werden wir es bauen, und wenn die Menschen sagen, nein, dann werden wir es nicht bauen. Das ist ja nicht sozusagen wie, Merkel stilisiert das ja fast wie ein Thema des Weltfriedens hoch. Das ist ja Unsinn!

    Meurer: Die Kanzlerin sagt gestern, alles außer Schwarz-Gelb sind Hirngespinste. Schwarz-Grün, Große Koalition ist ein Hirngespinst. Ist die Große Koalition tot auch für die nächste Legislaturperiode?

    Gabriel: Das wollen wir mal hoffen, dass wir das nicht noch mal brauchen. Das ist für die Demokratie nicht besonders gut. Die beiden Parteien unterscheiden sich auch, siehe Atomkraftwerke, siehe Gesundheitspolitik, siehe Bildungspolitik. Da sind die Unterschiede zwischen SPD und CDU groß. Und sie hat natürlich recht, wenn sie darauf verweist, dass Schwarz-Grün in Hamburg miserabel regiert. Da haben die Grünen auch ganz schlechte Werte, verglichen zu den Umfragewerten, die CDU auch. Und Merkel hat auch recht, wenn sie sagt, Jamaika im Saarland ist auch schlecht. Auch da sind die Werte der Regierung miserabel, der FDP, der Grünen genauso wie der CDU. Insofern sagt sie die Wahrheit und sagt, mit ihrer Politik geht das nur mit der FDP, und das stimmt auch. Man kann nur mit der FDP das Gesundheitssystem in Deutschland zerschlagen, man kann nur mit der FDP die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängern und man kann nur mit der FDP eine Politik machen, die jetzt statt Schulden zu senken eine Kriegskasse anlegt, um danach wieder Steuersenkungen für Besserverdienende zu machen. Das alles geht nur mit der FDP, da hat Angela Merkel schon recht, und insofern: Ich kann nur sagen, das war eine Rede, die klar gemacht hat, dass die politische Position von Angela Merkel nicht mehr die Klimakanzlerin ist, nicht mehr die, die für Modernität steht, sondern eine erzkonservative Politik zusammen mit Westerwelle.

    Meurer: Sigmar Gabriel, der SPD-Bundesvorsitzende, zum Parteitag der CDU. Danke, Herr Gabriel, und auf Wiederhören!

    Gabriel: Bitte.