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Ein Küchenchef auf Reisen. Auf der Jagd nach dem vollkommenen Genuss

Eine Warnung im voraus: Hardcore-Vegetariern wird von der Lektüre dieses Buches dringend abgeraten. Ebenso Anhängern des Makrobiotismus, Opfern des westlichen Diätenwahns und ganz allgemein Leuten mit empfindlichem Magen. "Ein Küchenchef auf Reisen" von Anthony Bourdain empfiehlt sich nur für Menschen, die noch einen Funken Genussfreude und Abenteuerlust im Leibe haben. Und über einen Sinn für schwarzen Humor verfügen.

Sacha Verna | 25.10.2002
    Anthony Bourdain ist vielleicht nicht New Yorks bester, aber zweifellos New Yorks unternehmungslustigster Küchenchef. Seit neun Jahren leitet er die Brasserie Les Halles an der Park Avenue, vor zwei Jahren gelangte er mit einem Enthüllungsbericht über das Brodeln und Bumsen in Restaurantküchen zu Bestsellerehren. Die "Geständnisse eines Küchenchefs", so der Titel, waren Horrorstory, Autobiografie und teuflische Komödie in einem. Bourdains neues Werk besteht aus ähnlichen Ingredienzien. Für "Ein Küchenchef auf Reisen" ist Anthony Bourdain während einem Jahr kreuz und quer über den Erdball gepilgert auf der Suche nach dem perfekten Mahl. Begleitet wurde er dabei von einem Fernsehteam, das ihn beim Kosten von Kobraherzen im Busch und beim Verschlingen von Lammhoden in der marokkanischen Wüste filmte und das Filmmaterial daheim in den USA flugs in eine populäre Fernseh-Serie verwandelte.

    Das perfekte Mahl also. War es die Schweineorgie im ländlichen Portugal? Das schottische Nationalgericht Haggis, dieses im Schafsmagen gekochte und mit Hafermehl verfeinerte Mischmasch aus Schafsspeiseröhre, -Lunge, -Leber und -Herz? Oder die Spezialität Tokioter Yakitori-Kneipen, Hühnerhackbällchen, Därme, marinierte Knorpel, Brust- und Beinfleisch am Spiess? Anthony Bourdain bleibt einem die Antwort schuldig. Nicht dass es ihm auf seiner kulinarischer Weltreise an quasi-ultimativen Geschmackserlebnissen gefehlt hätte. Die Ziegenkopfsuppe, die man ihm irgendwo im mexikanischen Vulkangebirge vorsetzt, preist Bourdain als "eines der besten Gerichte die ich je (...) gegessen habe", und nicht minder begeistert zeigt er sich von Mr. Togawas in Consommé gedämpften Butterfischrogen. Aber auch gegrillte Spareribs und schlaffe Pommes-Frites haben ihren Reiz, wenn man sie in Begleitung der Frau, die man liebt, am Strand einer westindischen Insel geniesst, so wie es Bourdain am Ende seiner Expedition tut.

    Essen ist mehr als blosse Energiezufuhr - diese Ansicht hat Bourdain in seinem letzten Buch bereits überzeugend vertreten. In "Ein Küchenchef auf Reisen" kommt dazu die Erkenntnis, dass kaum etwas besser geeignet ist, einem Fremden die Kultur eines Landes zu erschliessen, als das, was die Menschen dort in ihre Kochtöpfe werfen. Dies bedingt freilich, dass man jegliche Vorurteile zuhause lässt und weder vor Leguan-Tamales zurückschreckt, die laut Bourdain grauenhaft schmecken, noch vor fritierten Schlangenkochen, die offenbar eine wahre Delikatesse sind.

    Bourdain erweist sich als hervorragender Gastro-Ethnologe. Er ist furchtlos und neugierig, und vor allem ist er respektvoll. Er ist sich seiner Verantwortung als Gast bewusst, egal ob er zwischen den Ständen eines staubigen Marktes auf eine Blechschale Kaffee aus den Händen einer zahnlosen Kaffehaus-, bzw. Kaffeekübel-Besitzerin wartet, oder appetitlos vor einer Schüssel frisch zubereiteter Vogelnestsuppe sitzt.

    Man mag ihm vorwerfen, dass das ganze Unternehmen "Ein Küchenchef auf Reisen" eine Ausgeburt westlicher Dekadenz ist. Schliesslich entbehrt es nicht einer gewissen Perversion, wenn ein gutbetuchter Mittvierziger aus den USA eines bestimmten Eintopfs wegen nach Kambodscha jettet, wo Kinder um ihr eigenes und das Überleben ihrer kriegsverstümmelten Eltern kämpfen. Doch ist sich Bourdain dieses unschönen Widerspruchs sehr wohl bewusst. Er gibt keineswegs immer der fröhliche Feinschmecker, den die Fernsehproduzenten ihrem amerikanischen Publikum gerne präsentieren würden. Er hat oft genug nicht nur den Bauch, sondern auch die Nase gestrichen voll von dieser gut bezahlten Fresstour und sagt das auch unverblümt. "Was mache ich hier", fragt er, als in einer Strasse Ho Chi Minhs ein Napalmopfer an ihm vorüberstolpert, "ein Scheiss-Buch schreiben? Über Essen? Eine kleinkarierte, nutz- und bedeutungslose Scheiss-Fernsehshow?...Scheiss aufs Bücher schreiben. Scheiss aufs Fernsehen machen."

    Derart derbe Formulierungen sind durchaus nicht ungewöhnlich für Anthony Bourdain. Im Gegenteil: Bourdain schätzt deftiges Vokabular ebenso wie deftige Speisen. Er hat seinen eigenen Stil entwickelt, und sie liest sich gut diese Mischung Saloppheit, Sarkasmus und Selbstironie.

    "Ein Küchenchef auf Reisen" ist das amüsante Tagebuch eines launigen Gaumenfreundes, das Manifest eines Küchenmeisters, der für Genuss ohne Reue eintritt, aber nicht für Genuss ohne Gewissen. Ein Leckerbissen von Buch, und guten Appetit.