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Ein Leben für den Selbstmord

Emil Cioran, 1911 geboren im siebenbürgischen Reschinar in den Karpaten, gehört neben Eugène Ionesco und Mircea Eliade zu den drei berühmten rumänischen Intellektuellen im französischen Exil. Bernd Mattheus erinnert mit seiner Cioran-Biografie an einen beinahe vergessenen Denker zu erinnern, der eigentlich hochaktuell sein müsste. Für Cioran ist der Mensch die Katastrophe schlechthin, eine Einsicht, die die Zeitläufte nach Mattheus bisher nicht widerlegten.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 24.01.2008
    "Hätte ich das damals gewusst, hätte ich (dich) wohl abgetrieben", antwortet ihm seine Mutter, als er 1931 im 6. Semester Literatur und Philosophie studierend, sich völlig verzweifelt und lebensüberdrüssig auf das Bett wirft und ruft: "Ich kann nicht mehr weiterleben, ich halte es einfach nicht mehr aus." (41) Bernd Mattheus Porträt zeichnet Ciorans Leben, Schreiben und Denken seit diesen ersten Anfängen, sein politisches Engagement im Dunstkreis rumänischer Faschisten in den dreißiger Jahren und sein Leben als europäischer Intellektueller mit Bohemiens-Existenz danach in Paris sehr akribisch, aber auch lebendig nach, eine zweifellos verdienstvolle Arbeit, ist Cioran heute in Deutschland kaum noch bekannt.

    1934 erscheint sein erstes Buch mit dem Titel "Auf den Gipfeln der Verzweiflung". Cioran versammelt darin aphoristisch Argumente wider das Leben, nämlich Einsamkeit, Unglück, Elend, Leiden, Krankheit, Tod. Weder hat die Welt irgendeinen Sinn, noch entgeht das Leben der Katastrophe. Das Nichts herrscht unerbittlich, so dass man nicht mehr leben kann, der einzige Ausweg der Selbstmord bleibt. Beinahe sein ganzes Leben treibt ihn eine Suizidbesessenheit. Doch er entgeht dem Selbstmord durch das Schreiben, hatte Schreiben für ihn therapeutischen Charakter, das seinen obsessiven Gedanken die Macht nimmt. Sein Buch "Gedanken-Dämmerung" aus dem Jahr 1940 fokussiert sich denn auch auf die These, dass der Sündenfall überhaupt das Bewusstsein, das Denken, die Vernunft gewesen sei - eine Grundthese, die sein Werk durchzieht.

    Stattdessen feiert er den Exzess, die Todessehnsucht, das Mysterium, das Absolute, die echte Ordnung, alles Dinge, die liberale Gesellschaften damals ablehnen, so dass er zu einem Gegner der Moderne wie des Liberalismus wird. 1935 schreibt er an Mircea Eliade: "Wenn es keine Religion und Musik gäbe, würde ich Bordellaufseher werden." (85) Cioran ist nicht gläubig, faszinieren ihn vielmehr die Extremisten und die Zweifler. Gott betrachtet er als ein einsames Wesen. Philosophisch orientiert er sich an Ludwig Klages und Oswald Spengler, liest begeistert Heideggers "Sein und Zeit".

    1936 erscheint "Das Buch der Täuschungen", das Existieren als solches zu einem Akt des Glaubens erklärt, so dass alles Leben zu einem Illusionstheater avanciert. Cioran hält jede Hoffnung auf Geschichte, Fortschritt, Politik oder das Soziale für Einbildung. Auf solche Überzeugungen antwortet er mit der Skepsis.

    Doch seinen Skeptizismus, den Bernd Mattheus in seinem "Portrait eines radikalen Skeptikers" betont, überlagert - dessen ist sich Cioran bewusst - ein massiver Pessimismus, den im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in dieser Form viele beseelten und der zumeist mit einer radikalen Ablehnung der Alltagswelt einherging. So wird Sartre mit seinem Roman "Der Ekel" Ende der dreißiger Jahre bekannt und lässt in seiner Erzählung "Herostrat" seinen Helden vor Abscheu gegenüber seinen Mitmenschen Amok laufen.

    Solche Neigungen kennt auch Cioran. Er bemerkt über seine jungen Jahre: "Als ich unter Schlaflosigkeit litt, verachtete ich absolut jedermann, in meinen Augen waren meinesgleichen Tiere." (48) Noch 1960 schreibt er in sein Tagebuch: "Alles, was mit der Zivilisation zusammenhängt, scheint mir ein Anzeichen von Verfall, Erlahmen und Trostlosigkeit zu sein." (163) Natürlich klingt hier eine Nähe zu seinem Freund Samuel Beckett an, der in ähnlicher Weise noch in den fünfziger Jahren in seinen Theaterstücken "Warten auf Godot" und "Endspiel" eine kulturelle Endzeitstimmung beschwört.

    Aber während sich Sartre bereits in den vierziger Jahren von frustrierten Gewaltphantasien verabschiedet, notiert Cioran 1962 an den Stränden der Bretagne: "In dieser vollkommenen Einsamkeit dachte ich mehr als einmal an die Wonne in der Folge eines atomaren Kriegs, endlich die Erde ohne Menschen." (172) 1973 hält er fest: "Was ich am meisten hasse, ist die Gegenwart des Menschen. Mein Grauen vor dem Nachbar. Das Massaker aller Nachbarn. Nächster ist ein anderes Wort für Störenfried. (. .) Diese Parade hässlicher, degenerierter, verkrüppelter Leute raubt einem jeden Lebenswillen." (201) Und in seinem Buch Gevierteilt schreibt er 1979 sogar: "Sobald man auf die Straße geht, ist "Ausrottung" das erste Wort, das einem beim Anblick der Leute einfällt." (14) In der deutschen Fassung 1993 erst streicht er diesen Aphorismus, möchte er nicht wieder wie im "Nouvel Observateur" mit Pol Pot verglichen werden.

    Es ist zweifellos das Verdienst von Bernd Mattheus mit seiner Cioran-Biografie an einen beinahe vergessenen Denker zu erinnern, der eigentlich hochaktuell sein müsste. Für Cioran ist der Mensch die Katastrophe schlechthin, eine Einsicht, die die Zeitläufte nach Mattheus bisher nicht widerlegten.

    Oder haben wir Cioran bloß nicht verstanden? Das würde ihm gut tun; denn für Cioran kann einem Autor nichts Schlimmeres passieren, als verstanden zu werden.

    Bernd Mattheus: Cioran - Portrait eines radikalen Skeptikers. Berlin 2007, Matthes und Seitz, 368 S., gebunden