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Ein Leben nach Nokia

Eineinhalb Jahre ist es her, dass in Bochum 2300 Mitarbeiter des Handyherstellers Nokia vor dem Nichts standen. Nokia hatte seine Handyfertigung nach Rumänien verlagert. Doch nicht alle Nokianer verloren ihren Job. 250 von ihnen wurden übernommen – von einem neu gegründeten Unternehmen namens ""novero"".

Von Friederike Schulz | 28.08.2009
    In der Fertigungshalle der Firma "novero" stapeln sich die Paletten mit Leiterplatten. Eva Bähr, eine zierliche blonde Frau in weißem Kittel, nimmt eine Platte nach der anderen in die Hand, greift zum Lötkolben. Die Leiterplatten werden später in Autotelefone eingebaut. Die sind das Hauptgeschäft des Unternehmens. Die gelernte Konditorin Eva Bähr ist eine von 250 Mitarbeitern, die "novero" vor gut einem Jahr von Nokia übernommen hat.

    "Das war schon sehr traurig, weil so viele Leute ihre Jobs verloren haben. Dazu kam die Ungewissheit, was auf uns zukommt, ob wir überhaupt Jobs finden. Wir hatten das Glück, hier weitermachen zu dürfen, wir sind alle froh, den Job zu haben."

    Im Sommer 2008 hatte Nokia seine Drohung ernst gemacht und das Werk in Bochum geschlossen. Die Produktion wurde nach Rumänien verlagert – allen Protesten der Politik zum Trotz. Heute erinnert lediglich der blaue Schriftzug an der Fassade des früheren Hauptgebäudes noch an den finnischen Handyhersteller. Vor dem Eingang wehen dagegen weiße Fahnen mit der Aufschrift "novero". Die Firma ist durch einen "Buy-out" entstanden. Der frühere Deutschlandchef von Nokia, Razvan Olosu, wollte sich mit der Werksschließung in Bochum nicht abfinden. In seinen Verantwortungsbereich fiel damals der Bereich Auto-Telefone, eine höchst erfolgreiche Sparte des Konzerns. Und so kaufte er mit Unterstützung der Stadtsparkasse Düsseldorf seinen Bereich aus dem Konzern heraus und gründete "novero". Marcus Stahl, ebenfalls Ex-Nokianer, heute Vize-Chef in der neuen Firma, erklärt den Grund.

    "Wir sind dann mit Nokia in die Diskussion und haben gesagt: Wir wollen das einfach weitermachen, was wir aufgebaut haben. Es ist ein boomender Markt im Bereich von Freisprechanlagen, Telefonie, I-Pods im Auto. Da haben wir eine gute Strategie, da haben wir eine solide Kundenbasis, wir haben bestehende Verträge, die bis ins Jahr 2014 reichen mit Kunden wie Ford, VW, eine sehr gute Basis, wir haben vorher gute Ergebnisse erbracht, wir haben gesagt, das kann man jetzt nicht sein lassen, das wollen wir weitermachen."

    Die Firma übernahm die Produktionshalle, einige Etagen des Hauptgebäudes und 250 Kollegen, von denen die meisten schon seit Jahren in der Sparte gearbeitet hatten. So konnte Razvan Olosu auf ein eingespieltes Team zurückgreifen, das ihm voll vertraute, erinnert sich Rolf Weichler, der heute den Bereich Hardware bei "novero" leitet.

    "Es war jemand, den wir kannten. Er war damals bei Nokia im Bereich Enhancement, also in der Zubehörsparte, eingesetzt. Es war für jeden erkennbar, dass er 'den Laden' so richtig ans Laufen gebracht hat. Das war für uns eine gute Beruhigung, dass er die Geschicke in die Hand genommen hat für diese neue Firma."

    Von Beginn an schrieb "novero" schwarze Zahlen. Der Umsatz liegt inzwischen bei mehr als 100 Millionen Euro. Wie hoch der Gewinn ist, bleibt allerdings Firmengeheimnis.

    Im Obergeschoss des Hauptgebäudes liegt das Testlabor. Hier werden die Geräte unter dem strengen Blick von Qualitätsmanager Detlev Aust einem Schütteltest unterzogen. So kann später gewährleistet werden, dass sie auch starke Vibrationen bei der Fahrt aushalten. Von der Fertigung bis hin zur Tauglichkeitsprüfung arbeitet "novero" inzwischen in Eigenregie. Für die Mitarbeiter, die früher die Strukturen eines Großkonzerns gewohnt waren, bedeutete dies zunächst eine Umstellung. In den ersten Monaten hätten er und seine Kollegen lernen müssen, dass sie bei Problemen nicht mehr einfach die Hotline anrufen können, sondern stattdessen alles selber in die Hand nehmen müssen. Doch inzwischen möchte niemand mehr die Eigenständigkeit missen, sagt Detlev Aust.

    "Man kann viel schneller auf bestimmte Dinge reagieren. Man kann viel schneller Entscheidungen vorantreiben. Damit ist der persönliche Einflussbereich deutlich gewachsen."

    Angst um seine Stelle hat der Qualitätsmanager trotz der Krise in der Automobilindustrie nicht. Im ersten Geschäftsjahr hat die Zahl der Aufträge die Erwartungen übertroffen, 50 zusätzliche Mitarbeiter wurden allein in diesem Jahr eingestellt. Und das liegt längst nicht nur an der Abwrackprämie, die die Nachfrage nach Neuwagen angekurbelt hat. Die Nachfrage nach hochwertigem elektronischem Zubehör für die Innenausstattung sei durch die Wirtschaftskrise kaum beeinflusst, erklärt Vizechef Marcus Stahl. Daher plane die Firma bis zum kommenden Jahr auf 500 Mitarbeiter zu wachsen, und weitere Niederlassungen zu eröffnen.

    "Wir haben auch vor Kurzem in Toronto ein eigenes Entwicklungszentrum aufgebaut. Wir sind auch schon seit Langem in Detroit. Wir wollen eben auch andere Standorte etablieren, um auch eine globale Präsenz hinzubekommen. Wir beabsichtigen ja nicht nur, weiter Zulieferer für die Autoindustrie zu sein, sondern auch ein eigenes Consumer-Geschäft aufzubauen. Wir haben kürzlich ein eigenes Bluetooth-Headset vorgestellt in Barcelona, wo wir mit innovativem Zubehör eine eigene 'novero'-Marke aufbauen möchten, dafür bedarf es eines globalen Vertriebs- und Marketingnetzwerks, und da bedarf es eben auch anderer Standorte."
    Allerdings: Obwohl die Firma noch weiter expandieren will – 2300 Mitarbeiter wie einst Nokia am Standort Bochum wird sie in absehbarer Zeit nicht haben.