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Ein Leben voller Elend, Glanz und Elend

Joseph O'Connor widmet sich in seinem neuen Roman der Liebesgeschichte zwischen der Schauspielerin Molly Allgood und dem Dramatiker John Synge. Zeitlich im Dublin um die Jahrhundertwende angesiedelt, schafft es der Autor, an historisierendem Kitsch vorbei zu schreiben.

Von Sacha Verna | 28.03.2013
    In seiner Nobelpreisrede nannte William Butler Yeats sie eine geniale Darstellerin. Für John Millington Synge war sie das "Feenkind". Joseph O’Connor hat sie zur Protagonistin seines neuen Romans gemacht. Die Rede ist von der Schauspielerin Molly Allgood, Künstlername Maire O’Neill, geboren 1885 in Dublin, gestorben 1952 in Basingstoke, England, nach einem Leben voller Elend, Glanz und Elend.

    Dieses Leben liefert Joseph O’Connor das Gerüst für "Irrlicht". Oder genauer: Molly Allgoods Beziehung zu John Synge, dem berühmtesten irischen Dramatiker des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist nicht viel bekannt über diese Affäre. Nur dass darüber ganz Dublin die Nase rümpfte. Was hatte ein todkranker Protestant aus vornehmem Elternhaus mit einer blutjungen Katholikin, der Tochter einer Trödelhändlerin, zu schaffen?

    Tatsache ist, dass Synge, als er 1909 im Alter von 37 Jahren an Krebs starb, mit der um 14 Jahre jüngeren Molly verlobt war. Tatsache ist auch, dass der Dichter William Butler Yeats, mit dem Synge im Bestreben, die irische Kultur wiederzubeleben, das legendäre Abbey Theater gegründet hatte, über das Verhältnis ebenso empört war, wie der Rest von Irlands erzkonservativer feiner und weniger feinen Gesellschaft, Mollys trotzig-rotziger Arbeiterfamilie mit eingeschlossen.

    Joseph O’Connor schildert die Geschehnisse hauptsächlich aus der Sicht Mollys. Dabei wechselt er zwischen der ersten und der zweiten Person und zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Der Roman besteht zu einem großen Teil aus Rückblenden, aus Erinnerungen, die Molly an einem düsteren Oktobertag im kriegsversehrten London der Fünfzigerjahre heimsuchen. Molly bemüht sich, mit Würde von ihrer Absteige zu den Studios der BBC zu gelangen, um dort eine Rolle in einem Hörspiel zu lesen.

    Man erfährt von den ersten zarten Annährungen zwischen Molly und Synge hinter den Kulissen des Dubliner Theaters und von den ausgedehnten Spaziergängen der beiden in der Provinz, wo Synge die irische Seele zu finden hoffte und Molly sich die Füße wund läuft. Man ist bei den Proben und bei der turbulenten Premiere von Synges Skandalstück "Der Held der westlichen Welt" dabei, zu dessen Heldin Molly Synge inspiriert haben soll. Dazwischen schnorrt die Molly von heute bei einem wohlmeinenden Wirt eine Flasche Brandy, halluziniert bei einem Abstecher in die National Portrait Gallery vor sich hin und erlaubt sich unter dem Nelson-Denkmal ein Nickerchen.

    Joseph O’Connors Prosa ist flexibel wie Gummi. Molly flucht, dass die Gossen sprudeln und findet nahtlos zu lyrischen Beschreibungen von Seelen- und anderen Landschaften. Satire und Selbstironie schrammen an Sentimentalität und historisierendem Kitsch vorbei. Doch stets hält der Autor die Balance zwischen Anschaulichkeit und Pathos.

    "Irrlicht" ist aus Stimmen und Stimmungen zusammengefügt, aus echten und erfundenen Briefausschnitten, aus verschiedenen Zeiten, Sprach- und Gedankenebenen. Dieser berührende Roman ist ein Beispiel dafür, wie sich magere Fakten in opulente Fiktion verwandeln lassen.

    Joseph O’Connor: Irrlicht. Roman. Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag, 320 Seiten. 19,99 Euro.