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Ein lebenshungriges Vollweib

Alice Schwarzer ist eine polarisierende Person. Die einen halten sie für eine kluge Vordenkerin, für andere ist sie eine meckernde Frauenrechtlerin. Nun meldet sich Schwarzer selbst zu Wort. In Ihrer Biografie mit dem Titel "Lebenslauf" beschreibt sie, wer und was ihr Leben prägte.

Von Sabine Pamperrien | 19.09.2011
    Man kann sich fragen, ob es Alice Schwarzer ihren Feinden nicht oft auch ziemlich leicht macht, gegen sie Stellung zu beziehen. Etwa dann, wenn sie den Streit um ihre Nachfolgerin bei EMMA öffentlich austrägt oder bei ihrem Kotau vor dem Boulevard im Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann. Auch ihre Dispute mit der Jung-Feministin Charlotte Roche oder der konservativen Frauenministerin Christina Schröder wirken eher inszeniert als wirklich spontan. Das Negativ-Image begleitet Schwarzer seit den 1970er-Jahren. Es schien ihr nie viel auszumachen. Wie falsch dieser Eindruck ist, zeigt der erste Band ihrer Lebenserinnerungen.

    Auf über 450 Seiten will sie zwar auch zeigen, was sie prägte und wie sie wurde, was sie ist. Noch wichtiger ist es ihr aber, zu zeigen, dass die wahre Alice Schwarzer eben doch ganz anders ist als ihr öffentliches Image. Warum sie sich aber nie dagegen wehrte, erklärt sie so:

    "Ich habe bis heute zu alldem geschwiegen, weil ich mich nicht von der Frauenbewegung distanzieren wollte. Schon gar nicht von den Lesben; und, weil ich mich vor den – meist heterosexuellen – GegnerInnen der Bewegung nicht rechtfertigen wollte. Denn die wollen die angebliche oder tatsächliche Homosexualität von Feministinnen nur benutzen zur Diffamierung. Aber jetzt ist es Zeit für meine Wahrheit."

    Ihre Wahrheit erzählt Alice Schwarzer in "Lebenslauf" in 15 Kapiteln. Zumindest die erste Hälfte ihres bald 70-jährigen Lebens - von der unehelichen Geburt 1942 bis zur Gründung der Frauenzeitschrift Emma 1977. Schwarzers Mutter zeigt wenig Interesse an ihrer unehelichen Tochter und so wächst das Kind bei den noch recht jungen Großeltern in Wuppertal auf. Die stammen aus dem Bürgertum, leben aber ärmlich. Der fürsorgliche Großvater wird für die kleine Alice zur Bezugsperson. Die Großmutter bleibt mit ihrem politischen Verstand das Vorbild.

    Schon als Kind wird Alice Schwarzer an den politischen Diskussionen der Erwachsenen beteiligt: während die Familie am runden Wohnzimmertisch sitzt und das Weltgeschehen analysiert. Ausführlich erinnert sich die Autorin an die damaligen Themen - wie etwa 1953 die Kommunistenjagd des amerikanischen Senators Joseph McCarthy. Da ist die Autorin gerade mal elf Jahre alt. Besonders die Großmutter habe dabei oft radikal linke Positionen vertreten, schreibt Alice Schwarzer:

    "Und so klein ich noch bin, so selbstverständlich rede ich mit und meine Meinung wird ernst genommen. Ich gelte als die Gemäßigte in meiner Familie. Eines allerdings finde ich zurückblickend eigenartig: Obwohl bei uns alle Unterdrückten der Welt Thema sind, wird nie explizit über die Rechte der Frauen geredet."

    Für Politik und Kultur hat sich die spätere Publizistin schon immer interessiert. Wach schildert sie die prägenden historischen Ereignisse. Nach Real- und Handelsschulabschluss lässt sich Schwarzer treiben, genießt ausführlich das Partyleben, bis sie 1963 einen Münchner Journalistenschüler kennenlernt. Ein einschneidendes Erlebnis, wie Schwarzer beschreibt:

    "Ich hocke stundenlang beim lauwarmen Münchner Bier und frage ihn aus. In der darauffolgenden Nacht sitze ich aufrecht im Bett. Das ist es! Ich gehe zur Journalistenschule! Ich werde Journalistin! Wie hatte ich nur vergessen können, dass ich immer die Beste war in Aufsätzen?"

    Doch weder Schulabschluss noch Finanzen reichen für ein Studium. Stattdessen zieht es Alice Schwarzer 1964 als Au-pair nach Paris. Die Stadt soll für ihre Entwicklung zum Dreh- und Angelpunkt werden. Ein Jahr später erscheinen erste Artikel, das Volontariat bei den Düsseldorfer Nachrichten folgt. Immer wieder zieht es sie nach Paris zurück, 1969 dann als freie Korrespondentin. Ausführlich erzählt Schwarzer, wie sie zur gefragten Autorin deutscher Medien wird. Ihre Interviews mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir werden in aller Welt gedruckt. Politischer Zündstoff sei da reichlich vorhanden gewesen, wie sie schreibt:

    "Alles ist im Aufbruch. Der 68er Protest hat nicht nur die Studentinnen ergriffen, sondern auch Arbeiter, Angestellte, Hausfrauen. Das Infragestellen des maroden Systems hat alles erschüttert, und durch die Risse schimmert die Verheißung einer neuen Welt."

    Ihr Engagement für die Frauenbewegung entwickelt sich fast nebenbei. Schwarzer kopiert 1971 eine Aktion gegen das Abtreibungsverbot, die zuvor Frankreichs Öffentlichkeit aufgerüttelt hatte. Fast 400 teilweise prominente Frauen bekennen sich im Stern öffentlich dazu, abgetrieben zu haben. Die Aktion gilt als Initialzündung für die deutsche Frauenbewegung. Deren wichtigste Stichwortgeberin wird Schwarzer. Als Gründerin sieht sie sich nicht. Besonders linke Feministinnen lehnt sie ab:

    "Innerhalb kürzester Zeit schafften es die rigiden Deutschen, mit ihrem Dogmatismus jede Art von Übermut und Kreativität platt zu machen. Das Lachen wird mir mit diesen Frauen noch gründlich vergehen."

    Schwarzer ist eine brillante Erzählerin. Das Buch zieht mit. Es ist amüsant und ungeheuer detailreich, voller Anekdoten über Begegnungen und Freundschaften mit ungewöhnlichen Menschen. Die Geschichte der Frauenbewegung erzählt Schwarzer präzise. Ihre eigene Rolle beschränkt sie dabei auf die der Interpretin der Vordenkerinnen. Fast verblüfft kann man nachlesen, dass sie mit Frauen nicht streitet. Sie meint das wirklich. Den Widerspruch zu den zahlreichen Differenzen vorwiegend mit Mitstreiterinnen und seltener mit Gegnern, über die sie auch berichtet, sieht sie offenbar nicht. So mag sich der Leser am Ende dieses Lebenslaufs fragen, ob die eigene Wahrheit der Autorin etwas ändern wird an ihrem Image. Es ist eine merkwürdige Wahrheit. Alice Schwarzer möchte gern als lebenshungriges Vollweib gesehen werden. Die Frage, ob das lange Verstecken dieser Seite ihrer Persönlichkeit der Frauenbewegung wirklich genützt hat, wie sie meint, beantwortet sie nicht. Vielleicht folgt die Antwort im zweiten Teil der Memoiren. Doch irgendwie vermittelt der Selbstbespiegelungsmarathon im ersten, dass gar nicht mehr viel kommen kann.

    Alice Schwarzer: "Lebenslauf"
    Kiepenheuer & Witsch,461 Seiten, 22,99 Euro
    ISBN 978-3-462-04350-1