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"Ein leises letztes Echo der Gründergeneration"

In seiner Persönlichkeit, aber auch in seiner Sturheit habe, ihn Leo Kirch an Leute aus der Gründerzeit der Bundesrepublik wie Max Grundig, Willy Schlieker oder Carl F. W. Borgwart erinnert, sagt der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann.

Michael Naumann im Gespräch mit Dina Netz | 14.07.2011
    Dina Netz: Während in Großbritannien gerade der Medien-Tycoon Rupert Murdoch kleinlaut auf dem Rückzug ist, kommt heute die Nachricht, dass ein anderer, ebenfalls am Schluss nicht ganz glücklicher Gigant zumindest der deutschen Medienlandschaft mit 84 Jahren gestorben ist: Leo Kirch. Seine Firma und seine Familie haben seinen Tod heute bestätigt. Kirch war einer der Pioniere des deutschen Privatfernsehens, zu seinem Konzern gehörten Pro7, Sat1, Premiere und verschiedene Produktionsfirmen. Kirch zählte in den 90ern zu den wichtigsten Medienmanagern in Deutschland. 2002 ging seine Firma in die Insolvenz und Kirch verklagte die Deutsche Bank auf Schadenersatz in Milliardenhöhe. Der damalige Deutsche Bank Chef Rolf Breuer hatte Kirchs Kreditwürdigkeit öffentlich angezweifelt. – Michael Naumann ist heute Chefredakteur beim Magazin "Cicero", war 1999 und 2000 Kulturstaatsminister und hat Leo Kirch mal so bezeichnet: Ein Mann mit Visionen und Risikofreude, ein klassischer Entrepreneur unter Buchhaltern, als prachtvoller Beelzebub der Medienkritik hatte er Axel Springers Rolle geerbt. Ich habe Michael Naumann gefragt: inwiefern hatte Leo Kirch denn Axel Springers Rolle geerbt, insofern, als dass sein Konzern zwischendurch beinahe der einzige war?

    Michael Naumann: Also erstens fast hätte er ja selbst den Springer-Konzern übernommen, und durch mächtige Abwehrschlachten von Friede ist das verhindert worden. Aber er galt natürlich in der Zeit, in der er seine Privatfernseh-Aktivitäten entfaltete, in der kulturellen Debatte als einer, der mitverantwortlich ist für die, ich nenne es beim Namen, Verblödung des Fernsehpublikums. Das war ungerecht, denn gleichzeitig war er auch derjenige, der in den Jahren zuvor, weil er sehr früh, vor allen anderen, vor allem vor den öffentlich-rechtlichen Anstalten erkannt hat, dass es in Hollywood Filme zu kaufen gibt, derjenige also, der das ZDF, in erster Linie wohl das ZDF, aber auch andere Fernsehanstalten, mit den Filmklassikern versorgt hat, die man heute leider nur noch nach Mitternacht sehen kann. Also mit anderen Worten: Der Beelzebub war er, aber er war auch gleichzeitig fast unverzichtbar für die, ich nenne es einmal, filmische Erziehung der deutschen Fernsehzuschauer, und das kann ihm niemand mehr wegnehmen.

    Netz: Sie haben es schon angedeutet, Herr Naumann: Kirch war beim Privatfernsehen von der ersten Minute an dabei. Das war ja aber nicht nur unternehmerischer Instinkt, sondern auch irgendwie so eine Gabe, die Entwicklungen auf dem Fernsehmarkt vorauszusehen. Worin genau bestand denn damals dieser richtige Riecher, den Kirch hatte?

    Naumann: Das Wesentliche war, dass natürlich durch das duale Rundfunksystem in Deutschland, das damals eben noch nicht dual war, politisch gewollt war, in erster Linie, man darf es ruhig beim Namen nennen, von der SPD und der kulturellen Linken, dass es kein Privatfernsehen gibt in Deutschland. Dann aber setzte sich das Privatfernsehen durch, nicht nur aufgrund grundsätzlicher und grundgesetzlicher Freiheiten, sondern auch, weil die Öffentlich-Rechtlichen nicht verstanden haben, schnell, aktuell auch auf das Unterhaltungsbedürfnis der Menschen zu reagieren. Kurzum: da hatte er die richtige Nase. Dass dann allerdings – und das ist ihm nicht anzukreiden – die Öffentlich-Rechtlichen ihm hinterhertigerten und das Niveau im Namen der Quote senkten, das ist nicht seine Schuld, sondern das ist die Schuld dieser mit Beihilfen geförderten Anstalten. Im Übrigen hatte er ja auch einen politischen Ansatz: Er war stock konservativ und das wusste keiner besser zu schätzen als sein großer Beschützer und Freund Helmut Kohl.

    Netz: Leo Kirch hat ja nie viel über sein Privatleben herausgelassen. In der Öffentlichkeit hatte er deswegen viele Gesichter. Er war einerseits großzügiger Mäzen, kunstsinniger Sammler, bescheidener Unternehmer alten Schlags mit Strickjacke, aber eben auch der hoch pokernde Spieler. War er das alles auf einmal, oder wie haben Sie Leo Kirch wahrgenommen?

    Naumann: Ich habe ihn zweimal in meinem Leben getroffen. Er war fast blind, was wirklich besonders bitter ist unter dem Aspekt, dass er ja mit Bildern sein Vermögen gemacht hat. Er litt an einer Zuckerkrankheit, war sehr schwer zu Fuß, aber er war in seiner Gestalt und auch in seiner Aura so ein leises letztes Echo der Gründergeneration der Bundesrepublik. Er erinnerte mich in seiner Persönlichkeit, auch in seiner Sturheit, muss man auch sagen, an Leute wie Grundig, wie Schlieker, den Reeder, wie Borgwart, den Autofabrikhersteller aus Bremen, lauter Leute, die mit großem Risiko und viel Engagement der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit auf die Beine geholfen haben. Das war immer nicht sehr angenehm. Man wird auch in der damaligen Zeit nicht so reich und so einflussreich ohne Ellbogen. Die hatte er zweifellos. Aber ich glaube schon, dass wir ohne ihn – Kirch war auch ein Wirtschaftsfaktor – die Entwicklung des Fernsehens, wie wir es heute kennen, beklagenswert oder nicht, nicht erlebt hätten.

    Netz: Michael Naumann, früherer Kulturstaatsminister und Chefredakteur des Magazins "Cicero" zum Tod des Medienunternehmers Leo Kirch.