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Ein Lob des Lachens

Lachend die Wahrheit sagen – ist das Lebenselexier des Narren. Doch in Zeiten des organisierten Karnevals droht der Humor mitunter zu einer ernsten Angelegenheit auszuarten. Grund genug daran zu erinnern, warum Humor im Menschenwesen selbst begründet ist.

Von Marleen Stoessel | 06.03.2011
    Humor und Lachen sind Wesenszüge des Menschen, sie sind ihm eigen wie das Denken und unterscheiden ihn darin von allen übrigen Lebewesen. Der Mensch ist ebenso sehr ein denkendes wie ein lachendes Wesen, ein homo sapiens wie ein homo ridens. Nur noch den Menschenaffen haben Forscher die Fähigkeit zu lachen nachgesagt. Was bei ihnen jedoch kaum mehr als eine pure physiologische Reaktion auf ein Kitzeln sein mag, zeigt sich im Humor als ein bewusster distanzierender Akt - vor allem dann, wenn Humor weniger unter der Rubrik Spaß und Unterhaltung figuriert, sondern als Haltung begriffen wird, als hohe, ebenso bewusste wie geistesgegenwärtige, ja philosophisch verstandene Lebenskunst.

    Und als ein Recht, mehr noch: ein Menschenrecht. Immerhin, Intelligenz und "Humor" eines Schimpansen reichen sogar so weit, ohne zu lachen den Hitlergruß zu zeigen - wie seinerzeit, im Dritten Reich ein Schausteller vorführte, der für diesen originellen Beitrag zur Frage des Humors als ausschließlichem proprium humanum freilich eingesperrt wurde. Und hatte doch nur zum Tierrecht erweitert und erhoben, was damals, mit unfreiwilligem Wortwitz, Nazivorschrift war:

    "Der deutsche Gruß ist zu erweisen durch aufgehobene Rechte"!"

    Umso mehr wäre erneut zu bedenken, worum bereits um 1960 der schwarze Schauspieler und Komiker Dick Gregory in den USA kämpfte: den Humor in die Menschenrechte aufzunehmen!

    In Vorurteilen, die oft genug auch ein Körnchen Wahrheit beinhalten, wird Humor gern einzelnen Menschengruppen zu- oder abgesprochen: zugesprochen besonders den Engländern oder den Juden, abgesprochen nicht zuletzt den Deutschen. Eine kleine Anekdote aus der Zeit des Eisernen Vorhangs beleuchtet dies. Ein tschechischer Medizinprofessor berichtet über die damals obligaten Schulungen in Marxismus-Leninismus:

    ""Wir schrieben Referate, wurden geprüft. Eine der Fragen lautete: Worin liegt die unzertrennliche Einheit der sozialistischen Länder Mittel- und Osteuropas? Die richtige Antwort war: Es sind die typischen Eigenschaften der jeweiligen Völker. Also - die tschechische Unbestechlichkeit, die polnische Ordnungsliebe, der deutsche Sinn für Humor, der russische Sinn für Demokratie, die bulgarische Wissenschaftsliebe, die rumänische Reinlichkeit und die allgemeine Kenntnis der ungarischen Sprache. Einmal erzählte ich diesen typisch tschechischen Witz in einem engeren internationalen Freundeskreis nach einer Konferenz von Psychologen. Alle hörten sich den Witz mit Verständnis an und lachten amüsiert. In diesem Kreis war auch ein deutscher Universitätsprofessor. Er ließ sich den Witz wiederholen - und lachte dann auch. Am nächsten Tag aber, als er mich traf, waren seine ersten Worte: Was haben Sie eigentlich mit dem deutschen Sinn für Humor gemeint?"

    Wie alle Stereotypen trifft diese Anekdote zum Lachen genau - und unterschlägt doch zugleich wie alle Generalisierung jene Ausnahmen, welche immer auch die Regel sind.

    "Was sagt ein Ostfriese, wenn ihn einer besuchen kommt? 'Tach.' Und wenn zwei Besucher kommen? 'Tach. Tach!' Und wenn es drei sind? 'Tach ihr beiden! Habt ihr noch einen mitgebracht ... ?'"

    Oder jene Anekdote, die einige der bekannten klassischen Berufs- und Standesstereotype vereint:

    ""Ein Pfarrer, ein Pastor und ein Rabbiner unterhalten sich über die Art ihres Umgangs mit der Kollekte. Der Pfarrer sagt: 'Das ist ganz einfach. Ich male mit der Kreide einen Kreis auf den Boden, werfe die Kollekte in die Luft, und alles, was in den Kreis fällt, gehört mir, was außerhalb fällt, bekommt Gott.' - Der Protestant sagt: 'Ich mach' es ganz ähnlich: Ich zeichne auf den Boden einen Strich, werfe das Geld hoch, und alles was links von dem Strich fällt, ist für mich, was rechts davon fällt, ist für Gott.' - Darauf der Rabbi: 'Auch ich nehme das Geld und werfe es in die Luft, und alles, was oben bleibt, gehört Gott, was wieder runterfällt, behalte ich.'"

    Wieder ein anderes Beispiel wirkt wie eine schelmisch lancierte Flüsterpost zwischen einem Schottenwitz und einem jüdischen Witz, ersterer den Geiz der Schotten auf die Schippe nehmend:

    "Zwei Schotten wollen aus ihrem Pub nach Hause gehen, beide in verschiedene Richtung. Es bläst ein scharfer Wind und beide treiben mit dem Wind in dieselbe Richtung. Fragt der eine den, der in die andere Richtung zu gehen hätte, warum er das nicht tut. 'Ich wollte nur den Wind ausnützen.'"

    Die jüdische Version ersetzt alle Windigkeit, die Logik des Schelmen und Chelmer Bürgers, gewissermaßen des Ostfriesen der Ostjuden, so:

    "Ein Mann aus Chelm ging suchend um eine Straßenlaterne herum. Er suchte und suchte. Fragt ihn ein Passant: 'Habt Ihr was verloren?' - 'Ja, einen Rubel.' - 'Hier, bei der Laterne?' - 'Nein, etwas weiter weg.' - 'Warum sucht Ihr dann hier?' - 'Nun, hier habe ich Licht!'"

    Ganz ähnlich geht auch eine Anekdote des türkischen Volksweisen Nasreddin Hodscha, der vermutlich im 13./14. Jahrhundert im südlichen Anatolien lebte. Der Hodscha ist ein religiöser Lehrer. Als solcher, aber auch als Richter, Vorbeter und Basarhändler war Nasreddin tätig und ging er in jene bis heute berühmten Erzählungen ein, in denen er - oft in der Rolle des Narren, Schlitzohrs und dummen August - die Torheit und Schwäche seiner Zeitgenossen ad absurdum führte. Diesem Phänomen des "Wanderwitzes", der wandernden Anekdote begegnet man indessen immer wieder, gleichsam als einer kulturübergreifenden Flüster- oder auch "Stillen Post". Als Flüsterpost werden die Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten in den Kulturen deutlich, in der "stillen Post", also auch in ihren missverstandenen, falschen Übermittlungen, wirken die Nuancen, die unterschiedlichen Haltungen fort - und auch die jeweiligen Ressentiments. Daher sollen mit diesen Beispielen nicht etwa nur Witze erzählt werden, sondern vor allem Klischees, das heißt nichts anderes als zu Stereotypen geronnene Ressentiments, aufgedeckt und verlacht, ja weggelacht werden.

    Überdies wird ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Witz und Humor offenbar, auch wenn gleichzeitig ihre Grenzen fließend sind. Witz beruht immer auf einer in der Pointe verpuffenden, mehr oder weniger bewussten Aggression, die besonders im kollektiven Gelächter ihre lustvolle, sei's freundliche, sei's denunziatorische Katharsis findet. Damit erfüllt der Witz zugleich eine wesentliche soziale Funktion. Humor ist gleichsam feiner gestrickt: Er verwandelt geistesgegenwärtig eine peinliche, unlustvolle Empfindung in eine scheinbar lustvolle - er verwandelt, wenn man so will, Leid in Freud. Denn: nomen est omen. Mit schwarz-humorigem Genuss hat Sigmund Freud, in dessen Wiener Praxis Wilhelm Buschs Werke auslagen, in mehrfachen Ansätzen den Unterschied zwischen Witz und Humor zu fassen gesucht. Wiederholt erzählt er jenen Witz vom Delinquenten, der am Montagmorgen die Nachricht von seiner anstehenden Hinrichtung erhält. Dessen Reaktion:

    "Na, die Woche fängt ja gut an!"

    Und Freud kommentiert:

    "Das ist eigentlich ein Witz, denn die Bemerkung ist an sich ganz zutreffend, anderseits in ganz unsinniger Weise deplatziert, da es weitere Ereignisse für ihn in dieser Woche nicht geben wird. Es gehört aber Humor dazu, einen solchen Witz zu machen."

    Die hohe Kulturleistung, die Freud im Humor erkennt, ist die menschliche Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, sich und dem fremden Anderen, den eigenen wie den fremden Schwächen, Raum zu gönnen, sich im Humor aus aller Opferhaltung, Opferrolle zu befreien - sei dies auch nur zum Schein, bloß verbal, in der Imagination. Damit wird Humor zur geistigen Waffe, die aller Intelligenz, aller Fantasie bedarf, um sich gegen alles zu richten, was als falsches Pathos, als angemaßter Machtanspruch sich bläht - und all diese Anfechtungen, selbst in der äußeren Niederlage, in ein Lächeln zu verwandeln. Ein Sieg des Geistes und der inneren Freiheit über allen Anspruch, alle Grenzen des Irdisch-Materiellen - oder, wie es der große Aufklärer, Humanist und Humorist Georg Christoph Lichtenberg einmal formulierte:

    "Ein Messer ohne Klinge, dem der Griff fehlt ... "

    Wir sind in Berlin. Ein Radfahrer ist gestürzt - man erkundigt sich teilnahmsvoll: "Sind Sie hingefallen?" -

    "Nee, so steig' ick immer ab!"

    Aber auch Löwenthal lässt sich von keiner Unbill, keinem Übel, keinem Übel-Ich verdrießen. Eisik geht im Januar am Seeufer spazieren. Da sieht er plötzlich seinen Freund Löwenthal in einem Eisloch zappeln. "Löwenthal, bist du eingebrochen?" -

    "Nu, der Winter wird mich beim Baden überrascht haben!"

    Diese geistige Waffe, die im Humor mehr oder weniger virtuos gehandhabt wird, verdankt sich prinzipiell einer List, der List einer Vernunft, welche die engen Fesseln der Logik sprengt und, trotz augenscheinlicher Niederlage, immer die Würde des Individuums aufrecht erhält. Ein Schelm ist hier am Werk - und, folgt man seinen Spuren in den unterschiedlichen Kulturen, so wird offenbar, wie im Humor sich weltweit eine gemeinsame menschliche, menschenwürdige Sprache artikuliert, ein ansteckendes Lachen oder Lächeln, das ebenso respektlos wie demokratisch wie allgemein verständlich ist.

    Folgt man also den Wanderungen dieses Schelms quer über den Globus, erschließt sich sein mythisches Urbild, eine Art Archetypus, das die ethnologische Forschung Trickster nennt. Vor circa 1oo Jahren hat der amerikanische Ethnologe Paul Radin den Mythos vom Trickster, vom "göttlichen Schelm", bei nordamerikanischen Indianern untersucht und die geheim und nur von privilegierten Stammesmitgliedern übermittelten Erzählungen darüber aufgezeichnet und veröffentlicht - wenn man so will, die Urform aller Schelmenromane. Dieser Trickster ist ein amorphes, vormenschliches Wesen, irgendwo angesiedelt zwischen Mensch, Tier und Gott. Er kommuniziert mit der ganzen Natur, kann sich in alles verwandeln, und am Ende verschwindet er wieder

    Die charakteristischen Züge des Tricksters finden sich in all seinen Gestalten in allen Kulturen wieder: seine Wanderlust, sein Heißhunger, die ungezügelte Sexualität. Er ist listig, brutal und schadenfroh, spielt den anderen Wesen jeden Streich und fällt selber auf jeden Streich herein. Er ist ebenso amoralisch wie empfindungslos, aber er ist friedfertig und unkriegerisch. Er ist sich seiner selbst nicht oder kaum bewusst, vermag sich in jedes Wesen zu verwandeln, dessen Sprache zu sprechen - und diese seine Verwandlungsfähigkeit, Verwandlungskunst ist seine Waffe. Nicht von ungefähr hat auch Elias Canetti dem Trickster in seinen Aufzeichnungen ein kleines Denkmal gesetzt: nämlich als Instanz von Verwandlung und Freiheit.

    Daraus wird verständlich, warum Humor jenseits aller Rassen und Klassen und geschichtlichen Zeiten im Menschenwesen selbst und seiner fortschreitenden Kultivierung begründet ist. Der Trickster, der göttliche Schelm, weist uns zu ihm den Weg. Denn alle Figuren, die uns als Inkarnationen des Humors respektive des Komischen erscheinen - ob Narr, ob Clown, ob Gauner und Possenreißer, ob Taugenichts, dummer August oder Hanswurst - sie alle sind Kinder, Ausgeburten und Nachfahren des Schelms, einander so ähnlich wie Kinder derselben Eltern und so verschieden, wie sie zu unterschiedlichen Zeiten sich in die verschiedenen Kulturen, Mythen, Sprachen und Sitten zerstreut haben. Im Spiegel des Schelms, des noch völlig ungesitteten, weil jenseits von Gut und Böse angesiedelten Tricksters, erkennen wir unsere eigene, mehr oder weniger vergessene Vergangenheit. Und dieser Spiegel erzeugt Lachen, ist heilsam.

    Ein Unterschied aber ist entscheidend: War der Trickster sich seiner selbst nicht oder nur kaum bewusst, so ist der Humor nurmehr sein Erbe. Als solcher ist er der gleichsam zivilisierte, kultivierte Trickster, der im Diesseits von Gut und Böse agiert. Das heißt: Humor ist immer hoch bewusstes, geistesgegenwärtig inszeniertes Schelmentum. In dieser Entwicklung, die in immer neuen Variationen erzählt wird, reift und wandelt sich der Trickster auch zum Medizinmann, Heiler und Schamanen. Und er wandelt sich, wie bei Shakespeare, zum weisen, seiner selbst voll bewussten Narren. Damit wird Humor, dank seiner Trickster-Qualitäten, dank seiner Listen, Verwandlungskünste, dank seiner anarchischen, aber auch alle Verstandeslogik unterlaufenden Freiheit, zur geistvollsten und zugleich humansten Waffe, die ein Mensch, sich seiner schelmischen Fantasie erinnernd, zu besitzen vermag. Oder, wie es Thomas Mann einmal formulierte: "Humor ist die Humanisierung der Wahrheit":

    "Hannah war die zweite, ganz junge Frau eines Rabbi, der in hohem Alter noch einmal geheiratet hatte. Nach mehreren Jahren glücklicher Ehe wurde der Rabbi krank und sagte zur jungen Frau: 'Von diesem Bett werde ich nicht mehr aufstehen, Hannah. Über kurz oder lang kommt der Engel des Todes und holt mich zu meinen Vätern.' Hannah weinte und rief: 'Sprich nicht solche Worte, mein Rabbi, ich kann es nicht hören. Alle Türen und Läden werde ich vor dem Engel des Todes verschließen. Oder kommt er doch, so werde ich sagen: Engel des Todes, lasse meinen Rabbi leben und nimm mich an seiner Statt.' Der Rabbi nahm ihre Hand: 'Das wirst du nicht sagen, Hannah, du wirst dich nicht versündigen an deinem jungen Leben.' Aber als Hannah nicht aufhörte zu klagen und sich zu verschwören, legte sich der Rabbi wie vor großer Müdigkeit gegen die Wand und schloss die Augen. Die junge Frau wachte bei ihm bis gegen Abend, wo sie in die Stadt ging einzukaufen; und kaum war sie vor dem Hause, erhob sich der Rabbi, ging in die Küche, wo hinter einem Verschlag zwei Gänse gemästet wurden. Er öffnete das Gitter, streute Brotkrumen vom Verschlag über den Flur bis ins Schlafzimmer vors Bett und legte sich grade im rechten Augenblick, als Hannah in das dunkle Zimmer zurückkehrte zu dem Kranken, der schlief. Mit einem Mal hörte man von der Küche her ein Tappen wie von leisen, harten, unmenschlichen Füßen, auch der Rabbi fuhr hoch: 'Hörst du', sagte er zu Hannah, 'hörst du den Todesengel, wie er kommt?' - und Hannah zitterte. Jetzt waren die Schritte schon an der Tür, in der Stube, jetzt dicht am Bett, wo Hannah saß. Da schrie sie und deutete auf den Rabbi: 'Engel des Todes, hier liegt er!' Da schlug der Rabbi Licht, die Gänse pickten, der Rabbi sprach: 'Nun, meine Hannah, was hast du gesagt? Hast du gesagt: Engel des Todes, nimm mich an seiner Statt, lasse meinen Rabbi leben, das Licht meiner Augen?' - Hannah sah auf die Gänse, auf ihren Mann und antwortete: 'Wäre es der richtige Engel des Todes gewesen, so hätte ich es auch gesagt. Aber dass ich es zu einer Gans sagen soll, wirst du doch nicht meinen.'"

    Dies die Geschichte, wie sie Ernst Bloch in seinem Buch Spuren erzählt.

    Indes - so respektlos wie der Humor sich gebärden mag auf der einen Seite, so respektvoll und gastfrei verhält er sich allem Fremden, Unbekannten gegenüber auf der anderen. Die eigene Würde wie die Würde des Anderen ist ihm immer unantastbar. Kein Zweifel: Humor ist der emphatische Träger, Diener und Bewahrer des ersten Paragrafen unseres Grundgesetzes!

    Humor und Macht freilich mögen einander nicht. Was der eine verlacht, kann dem anderen gefährlich werden, aber auch der Lachende kann umgekehrt sich verdächtig machen und in Gefahr bringen. Humor kann zur Waffe werden und das Lächeln zur Macht, er kann durch scheinbare Zustimmung entwaffnen, oder auch die falschen Mächte, Spießermächte, durch Verhöhnung, Karikierung entlarven, im besten Fall sogar entthronen. In allem, was sich eitel, pathetisch, scheinheilig, gar auch guruhaft bläht, entdeckt der Humorvolle respektlos-widerspenstig wie das Kind des Kaisers Nacktheit, erkennt in den Masken und Gewändern des Diktatorischen die fadenscheinigen Stellen, durch die er, und seien sie nur örebreit, den alten Schelm mit all seinem Spott und Witz durchschlüpfen lässt und das Gefüge ins Wanken bringt. In allen Diktaturen, die kirchlichen Regime eingeschlossen, blüht der Humor.

    Der ungarische Schriftsteller György Dalos beklagte folglich den Niedergang des Ostblock-Witzes nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen und hielt das Vergehende in einer wohlgeordnet-nostalgischen Blütenlese fest, in der das damals so gefährliche Lachen nun ungefährlich-heiter nachhallt. Seine aus Rumänien stammende Kollegin, die Nobelpreisträgerin Herta Müller, erzählt wiederum von den Schwierigkeiten, die ihr bei der Begegnung mit westlichem Humor, sprich deutscher Humorlosigkeit, entstehen und fragt sich keineswegs bloß rhetorisch, ob Humor in einem Land der Menschenrechte entbehrlich geworden sei:

    "Ist Humor, der die Selbstachtung aus spielendem Selbstzweifel baut, wie ich ihn mitbringe aus einer entfernten, an Repressalien, Armut und offiziellen Lügen gewöhnten Gegend, nicht transportabel, weil man, abgesichert im Gelände der Menschenrechte, nicht lernen musste, auf seinen eigenen Wert zu pochen durch den Knick des Zweifelns? Wieso hat man gerade hier Angst vor dem Alltagsspiel des Infragestellens?"

    Ernst zunehmende Fragen. Hat Humor doch immer mit der wenigstens imaginierten Lösung eines Konflikts zu tun, sprießt daher umso kräftiger, umso trick- und erfindungsreicher, je mehr er, wie damals im Ostblock, zur puren geistigen oder physischen Überlebensübung wird. Insofern ist blühender Humor immer Zeichen einer Krise, einer Katastrophe, einer Verzweiflung.

    Zugleich aber verbündet er sich sehr wohl mit den Überzeugungen westlicher Aufklärung, die sich gerade selber in einem Vorgang von Emanzipation und Befreiung aus "selbst verschuldeter Unmündigkeit" im Sinne Immanuel Kants vollzog - die auch ihrerseits einmal getragen war von jenen starken Impulsen der Rebellion und Subversion, die noch das Lachen eines Montaigne, eines Voltaire, eines Lichtenberg nährten. Nichts Geringeres als das "Selbstverständnis", die "kulturelle Identität" des West-Europäers steht heute zur Debatte und mit den Errungenschaften von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit überall in der Welt, auch die Freiheit des unkontrollierten, unzensierten Lachens.

    Hitler, so bemerkte Adorno in einer Betrachtung über die Frage "Was ist deutsch?", wäre in einem anderen Land dem Lachen verfallen. Der "heilige Ernst" der Deutschen, fähig auch in den "tierischen" überzugehen, habe dem entgegengestanden. Was heißt: Aufklärung, eine aufgeklärte Skepsis und die Fähigkeit zu lachen, sind eng miteinander verwandt. Mehr noch: Die Würde des Menschen, das Recht eines jeden Menschen auf diese Würde ist geradezu das Credo des Humors, umso mehr dort, wo man - auch ihm selbst - dieses Recht, diese Würde streitig macht oder gar mit Füßen tritt. Fundamentalismus, gleich welcher Couleur, bleibt immer sein Gegner. Humor wird so zu einem unverzichtbaren Wert menschlicher Kultur.

    Indes, auch Dalos' Erfahrung eines Verlustes der Humor- und Lachfähigkeit resümiert sich in einem authentischen Erlebnis. In ihm erzählt sich die triadisch gebaute Dialektik des schelmischen Weltgeists so:

    "Im Juli l990 war ich zu einer Tagung im Schloss Ettersberg bei Weimar eingeladen. Ich stieg in Weimar aus dem Zug und entdeckte auf dem Bahnhofsplatz einen Kiosk mit dem großen Aushängeschild Information . Als ich näherkam, bemerkte ich ein kleines Pappschild mit der Aufschrift Keine Auskunft . Trotzdem saß hinter dem Fensterchen eine alte Dame, und ich sprach sie an: 'Sagen Sie mir bitte, wie komme ich zum Schloss Ettersberg?' Die Dame antwortete, höflich lächelnd: 'Ich bin nicht von hier.'"

    "Ich bin nicht von hier!" Dies also nicht nur Wanderwitz und übliche Touristenauskunft, sondern buchstäblich die "Dialektik einer Aufklärung", der wir unentwegt bei unseren Fragen nach dem Woher und Wohin begegnen. Kein treffenderes, lach- und humorfesteres Motto ließe sich für das sich erweiternde Europa vorstellen.

    Sind Humanität und innere geistige Freiheit Wesenszüge des Humors, so vermag auch nur ein innerlich freier, humaner Mensch humorvoll zu sein. So war es Jean Paul, der einst seinen Landsleuten zurief:

    "Da dem Deutschen zum Witze nichts fehlet als die Freiheit, so geb' er sich doch diese!"

    Ein Jahrhundert später hat dann Thomas Mann den Humor als die "Humanisierung der Wahrheit" begriffen. Und ganz im Geiste dieser Wendung hat er in seinem großen Roman Joseph und seine Brüder auch den biblischen Knaben Josef, den Lieblingssohn des alten Jakob, den seine missgünstigen Brüder nach Ägypten verkauften, als merkurisch gewitzten Wirtschaftsminister im Dienste des Pharao, ja explizit als Schelm dargestellt.

    Hellsichtig hatte Joseph diesem seinen Traum gedeutet und die sieben fetten und mageren Jahre vorhergesagt. Um die Zeit der Not abzusichern, wendete nun Joseph - in Thomas Manns Fortschreibung der biblischen Erzählung - die Eigentumsverhältnisse so, dass der Begriff des Eigentums selber, die ihm innewohnende Logik, die Logik von Besitz und Haben selbst, in ein eigentümliches Zwielicht geriet. Thomas Mann hat diesen Vorgang mit dem modernen Begriff der "Lombardierung", also einem speziellen Kredit- und Pfändungswesen, erhellt:

    "Wenn man nie von dem wirtschaftlichen Vorgang der 'Lombardierung'gehört hat, so kann man freilich einer Geschichte wie dieser nicht folgen. Das Vieh wurde beliehen oder verpfändet, - welchen Ausdruck man nun wählen will. Es blieb größtenteils auf den Höfen und Gütern, aber es hörte auf, den Inhabern im alten Sinne des Wortes zu eigen zu sein. Das heißt, es war ihr Eigentum und war es auch wieder nicht mehr, war es nur noch bedingt und belasteterweise, und wenn die erste Nacherzählung es an irgendetwas fehlen lässt, so ist es dies, den Eindruck zu erzeugen, an dem so vieles gelegen ist, dass Josephs Verfahren durchweg darauf abzielte, den Eigentumsbegriff zu verzaubern und ihn in einen Schwebezustand von Besitz und Nicht-Besitz, von eingeschränktem und lehenhaftem Besitz zu überführen."

    Eine, wie er weiter schreibt,

    "überraschende Verbindung von Vergesellschaftung und Inhaberfreiheit des einzelnen, eine Mischung, die durchaus als schelmisch und als Manifestation einer verschlagenen Mittlergottheit empfunden wurde."

    Alles in allem also Maßnahmen, mit denen Joseph ebenso diplomatisch wie listig zwischen "Volksfürsorge" und "Kronpolitik" zu lavieren verstand - Maßnahmen, die indessen in ihrer Gewitztheit noch einen ideellen Mehrwert erzeugten. Nämlich "Lachen und Bewunderung", so Thomas Mann, erregte Joseph, den die Bibel auch den "Ernährer" nennt, der sich mit derselben Fürsorge für das fremde ägyptische Land auch um seinen greisen Vater Jakob kümmerte - Lachen und Bewunderung erregte er mit seinem ebenso gewieften wie humanen Tun. Und was kann, so schließt der Romancier diese Episode ab:

    "was kann der Mensch unter Menschen Besseres gewinnen, als die Bewunderung, die, indem sie die Seelen, bindet, sie zugleich zur Heiterkeit befreit!"

    Fraglos: Ohne Humor, ohne Entdeckung des göttlichen Schelms in uns, ohne das Aufbrechen einer unmenschlich gewordenen Logik des Habens, des gierigen Noch-mehr-haben-wollens wären solches Werk und Wirken nicht möglich. Treffend stellte der große Politiker und weltläufige Übersetzer Carlo Schmid seinerzeit in seinem Geleitwort zu Salcia Landmanns Buch über den jüdischen Witz fest,

    "dass gerade in einer am eindringlichsten mit dem Handwerkszeug der Logik begriffenen Welt die Gleichungen, die ohne Rest aufgehen, nicht stimmen können". Und er erzählte von der Paradoxie, "dass von einer bestimmten Größenordnung ab ein Sachverhalt in sein Gegenteil umschlägt, gar nicht metaphorisch, sondern recht irdisch verstanden: dass wenn einer einem Bankier eine Million schuldet, dieser seinen Schuldner in der Hand hat; dass dagegen, wenn die Schuld zwanzig Millionen beträgt, der Schuldner den Bankier in der Hand hat ... Daran hat mir in den Zwanziger Jahren in Berlin ein großer Bankier den eigentlichen politischen Kern des Reparationsproblems deutlich gemacht, das der Versailler Vertrag geschaffen hatte."

    Woraus erhellt, dass auch heute nicht nur hierzulande, nicht nur in Europa oder Amerika, dass vielmehr weltweit ein Joseph, ein Schelm, oder anders, eine ingeniöse Wirtschaftspolitik vonnöten wäre, die im Zeichen von Humor und Humanität für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen sorgen könnte. Denn auch diese ist ein Menschenrecht!
    Im Humor - dies, was Thomas Manns Wendung zugleich besagt - tut sich immer ein Abgrund auf. Sein wahrer Fonds ist die Melancholie: jener schwarzgallige Saft, der durch seinen Wortstamm fließt, und den der Humor mit all seiner Schelmen-List ins Helle und Bunte aufmischt. Dies tut kraft und dank der illusionslosen, tief menschenfreundlichen Einsicht in unser aller Unzulänglichkeit und Begrenztheit, in die Endlichkeit und Zerbrechlichkeit aller menschlichen Verhältnisse.

    "Je mehr ein Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen."

    Nicht schöner und humaner konnte ein angeblicher Misanthrop, der Philosoph Arthur Schopenhauer, diese Einsicht formulieren. Oder, wie der melancholische Witzbold Woody Allen einmal tief aufseufzend konstatiert:

    "Es mag ja sein, dass es kein Leben nach dem Tod gibt. Aber versuchen Sie erstmal, am Wochenende einen Klempner zu kriegen!"