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Ein Loblied auf die deutsche Sprache

In unserer Reihe zum Jahresanfang haben wir heute Edda Moser Zeit geschenkt. Als Sängerin wurde sie weltberühmt. Vor sechs Jahren hat sie sich dann aber ein neues Ziel gesetzt. Sie gründete das Festspiel der deutschen Sprache, das nun jedes Jahr in Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt stattfindet. Eingeladen sind Schauspieler und Autoren, und durch ihre Lesungen will Edda Moser die Menschen wieder für die deutsche Sprache begeistern und gegen den Verfall der Sprache ankämpfen.

Edda Moser im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 04.01.2012
    Doris Schäfer-Noske: Als Erstes habe ich Edda Moser gefragt, ob ihr das schon immer ein Anliegen war, oder wie sie auf die Festspielidee gekommen ist.

    Edda Moser: Auf die Idee gekommen bin ich eigentlich, als ich aus Amerika zurückgekehrt bin. Ich habe ja sehr viel in Amerika gearbeitet und habe dort sehr bewundert, wie die Juden, die 50 Jahre in New York lebten, ein perfektes Deutsch sprachen - mit allen Dialekten, ob es Mainzerisch oder Dresdnerisch war oder so. Das war so bewundernswert, dass ich immer fragte, warum ist das möglich, ihr sprecht alle so phänomenal deutsch, und die jungen Leute, die nach Amerika kommen, sprechen fast schlecht, insofern: Wenn sie nach drei Jahren ununterbrochen in Amerika waren, hatten sie schon einen amerikanischen Akzent. Und da sagten mir dann die Leute, die 50 Jahre dort lebten und vor den Entsetzlichkeiten der deutschen Politik eben geflohen waren: Die deutsche Sprache ist unser portatives Heimatland. Und das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich hatte damals aber noch gar keine Idee, dass mich das so beeindruckt hat. Und dann hatte ich eine Möglichkeit, wie es mit dem Singen nun vorbei war, und um mich nicht umzubringen, habe ich gedacht, irgendwie muss ich meine brachliegenden Kräfte aktivieren. Und da dachte ich, die deutsche Sprache anhand dieser schwachsinnigen Anglizismen, die man heute selbst bis in höchste Kreise hört, auch Leute, die sich mit der Sprache beschäftigen, die dann so unsinnigen Quatsch reden und wo man ein deutsches Wort benutzen könnte, dass ich gesagt habe, dagegen muss ich also jetzt wirklich zu Felde ziehen. In den Zeitungen kamen dann Worte wie "Boris fightete", oder "der hat sich geoutet". Da habe ich gesagt, das gibt es nicht, das kommt nicht infrage. Ich habe einfach die zornige Auffassung, dass wir unsere Sprache retten müssen, und unsere Sprache ist ein Teil der Individualität. Jeder möchte gerne Individualist sein. Das kriegt er durch Anglizismen nicht hin, sondern nur durch eine Sprache, in der er sich dann ... Zum Beispiel würde man sagen, er hat sich geoutet. Warum sagt man nicht, ich offenbare mich? Das ist eine Gnade, diese Sprache zu sprechen, und das ist meine Hauptaufgabe jetzt.

    Schäfer-Noske: Nun entwickelt sich die deutsche Sprache ja auch weiter durch die Globalisierung und auch durch technische Entwicklungen wie das Internet oder das Handy. Es werden ständig Mails geschrieben, SMS geschrieben. Wird denn Ihrer Meinung nach zu viel kommuniziert und dabei geht die Qualität der deutschen Sprache verloren?

    Moser: Nein, nein. Es war jetzt gerade neulich im Fernsehen irgend so eine Sendung, dass man sich also nur noch mit Anfangsbuchstaben eben austauscht, und das finde ich einfach lächerlich. Das ist eine reine Faulheit. Selbstverständlich braucht man die englischen Begriffe für, sagen wir, das technische Zeitalter. Ich habe da überhaupt nichts dagegen, zu Computer oder ... Handy gibt es überhaupt nicht, ist gar ein Unwort. Handy gibt es nicht, es ist "cellulare" in Italienisch und "telephone mobile", "mobile telephone" oder was sagt man in Amerika. Also es ist einfach nicht nötig. Gut: Die Deutschen haben sich nun Handy ausgedacht, na gut. Aber ansonsten ist es eben kein Fortschritt. Man sagt, unsere Sprache entwickelt sich - bin ich gar nicht dagegen -, aber ich will einfach, dass das Deutsche deutsch bleibt und dass man sich absentiert und, sagen wir mal, unterscheidet vor allen Dingen von anderen Leuten. Und dieses Amerikanische, wie man es eben in Frankreich einfach verboten hat, und Strafe musste man zahlen. So finde ich aber, die Deutschen sind in dieser Hinsicht einfach lasch. Diese nach wie vor Minderwertigkeitskomplexe, die die Deutschen haben und, sagen wir mal, in das andere Extrem umkehren, anstatt in einer Gelassenheit zu sagen, wir sind deutsch, das finde ich hervorragend.

    Schäfer-Noske: Wen konnten Sie denn mit dem Festspiel der deutschen Sprache erreichen? Sind das die Lehrer, die Eltern, die da kommen?

    Moser: Es sollte so sein. Es ist mein Ziel, wer mich hört. Ich bin kein Rufer in der Wüste, denn ich habe die größten Schauspieler deutscher Sprache eben in meinem Festspiel engagieren können, weil ich eben phänomenale Sponsoren habe, die wirklich auch dasselbe Interesse haben. Und mit den großen Schauspielern: Wenn also die Frau Meyer eben mal sagt, Josef, hol mal den Schiller wieder aus dem Schrank, dann liegt das an Axel Milberg oder an Udo Samel oder Ulrich Matthes. Das ist toll, dass man die hat.

    Schäfer-Noske: Wie sind Sie auf den Ort Bad Lauchstädt gekommen?

    Moser: Ja, das ist Hans-Dietrich Genscher, mit dem ich befreundet bin. Der hatte mir, weil ich war an sich erst in Thüringen und dann hatte ich mich da eben nicht mehr so wohl gefühlt und dann habe ich mit Genscher gesprochen und der sagte, gehen sie nach Bad Lauchstädt. Ich wusste natürlich von Lauchstädt, und so viele wissen von Lauchstädt nichts, aber ich wusste es aus den Biografien von Goethe und von Christiane, und da hat Genscher gesagt, gehen sie da hin, da haben sie alles, was sie brauchen. Und genau das war's: ein Goethe-Theater, was von Goethe selbst gebaut worden ist.

    Schäfer-Noske: Denken Sie denn in Bad Lauchstädt auch über Veranstaltungen für Jugendliche, auch für Kinder möglicherweise nach, so wie man jetzt in der Kinderoper ja auch Kinder für Opern begeistert?

    Moser: Nein, nein, weil ich eben denke, die Kinderoper muss zu Hause stattfinden, oder das Kinderdeutsch oder die Kindersprache muss zu Hause stattfinden. Und wenn man eben dann Lust hat, sich mit dieser Sprache eben zu identifizieren, wieder, dann soll man nach Lauchstädt kommen. Aber ich mache nicht, dass ich auf Kinder sozusagen zugehe, hört euch mal den Faust an oder so, sondern die sollen eben erst einmal ihre Bildung haben und dann sollen sie nach Lauchstädt kommen.

    Schäfer-Noske: Auch die Oper muss ja bei jungen Menschen um Aufmerksamkeit werben. Woran liegt das?

    Moser: Nein, das ist ja immer so gewesen. Das ist auch eine gute Idee, das Theater der Schulen. Aber dann waren immer: Ich habe oftmals Vorstellungen singen müssen, wo eben nur Theater der Schulen waren, und das war ein absoluter Albtraum, weil die Kinder gar nicht mehr die Disziplin und die Lust hatten. Die kannten auch in dem Sinne nicht Oper. Man kann einem jungen Menschen nicht sagen: Also, hör dir mal das Rheingold an oder so. Das geht eben halt nicht. Aber dafür ist die Schule da, die Leute vorzubereiten, und wer ein Interesse hat, dann kann man sagen, also wir gehen mal in die Oper. Aber die Oper ist eben etwas, das ist am Ende eines Weges der Entwicklung. Aber man muss in den Schulen und im Elternhaus vorbereiten, vor allem vorbereitet werden. Aber ob die Leute dann wirklich auch die Lust haben? Heute interessiert sich auch nicht jeder für Oper und so, und die neuen modernen Inszenierungen zeigen ja mitunter auch nicht die Handlung, dass man gar nicht mehr weiß, um was es sich handelt, und die modernen Inszenierungen sind allergrößtenteils eben langweilig.

    Schäfer-Noske: Sie haben selbst an der Hochschule für Musik, wenn ich das richtig gelesen habe, Ihren Studenten gesagt, wenn sie das Wort "cool" oder "okay" verwendet haben, mussten sie einen Euro zahlen.

    Moser: Das ist richtig.

    Schäfer-Noske: Hatten Sie damit Erfolg?

    Moser: Ja. Insofern war das für mich eine ganz traurige Sache, denn ich hatte gesagt, einen Euro bei jedem "okay", und die haben so schnell aufgehört zu zahlen. Plötzlich konnten sie sich unterhalten ohne das Wort, und ich habe gedacht, wir machen ein Klassenfest davon, dass wir viele, viele Euro einnehmen für "okay". Aber es war ein Riesenreinfall, sie haben nicht mehr "okay" gesagt, ich habe kein Geld eingenommen.

    Schäfer-Noske: Was sind Ihre nächsten Pläne oder was machen Sie zurzeit?

    Moser: Mein Neffe, Johannes Moser, spielt am 8., 9. und 10. in der Kölner Philharmonie die Rokoko-Variationen von Tschaikowski und jetzt ist er gestern aus New York gekommen und er ist jetzt gerade bei mir zu Hause. Es ist ja nun eben mein Neffe und ich helfe ihm dabei, den großen Zeitunterschied zu überwinden. - Ein großer Künstler und ich bin sehr stolz auf ein so wunderbares Kind, was jetzt schon ein großer Mann ist.

    Weitere Teile der Serie: "Wir schenken Ihnen Zeit"

    Teil I - Der Soziologe Hartmut Rosa über Kunst und die Beschleunigungskultur
    Teil II - Der neue Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, Gedanken über die Fotografie und die Zeit
    Teil III - Gesine Schwan über Demokratie und Gemeinsinn
    Teil V - Kulturpolitikerin Monika Grütters über die Rolle der Kultur in multi-ethnischen Gesellschaften
    Teil VI - Der Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski über die Chancen des Philosophierens
    Teil VII - Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu im Gespräch über das Ruhrgebiet
    Teil VIII - Die Schriftstellerin Juli Zeh über Krisenhysterie und Schwangersein