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"Ein Lohn muss zum Leben reichen"

Man wolle Passagiere nicht treffen, sagt Andrea Becker von ver.di mit Blick auf den Streik der Sicherheitsdienste für 30 Prozent mehr Lohn. Das Angebot der Arbeitgeber von bis zu 9,2 Prozent bedeutet in diesen Gehaltskategorien ein Plus von 1,14 Euro die Stunde, rechnet sie vor - das sei kein überragendes Angebot.

Das Gespräch führte Silvia Engels | 15.02.2013
    Silvia Engels: Wer fliegen will, der muss zuvor durch die Sicherheitssperre, um sich auf gefährliche Gegenstände hin untersuchen zu lassen – lästig, aber unvermeidlich. Schlimmer ist auf jeden Fall, wenn es diese Kontrollen nicht gibt, denn dann kippt auch der Flug. Diese Erfahrung machen heute Morgen wieder Passagiere an den Flughäfen Hamburg und Köln-Bonn. Dort streikt das Sicherheitspersonal zum wiederholten Mal.
    Die Beschäftigten, die das Handgepäck und die Reisenden an den entsprechenden Schleusen auf gefährliche Gegenstände hin kontrollieren, sie kämpfen um mehr Geld und sind im Ausstand. Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft erklärt, er sei in den Lohnforderungen schon weit entgegengekommen. Verhandlungsführer Gunnar Vielhaack sagte:

    O-Ton Gunnar Vielhaack: "Ich rechne damit, dass die Streiks fortgesetzt werden, denn solange Verdi nicht vernünftig wird und nicht begreift, dass eine Lohnerhöhung von 30 Prozent völlig irreal ist, solange werden wir uns nicht bewegen können, weil das völlig unvernünftig wäre."

    Engels: Soweit die Arbeitgeberseite. – Auch manche Flugpassagiere reagieren mittlerweile etwas genervt. Am Telefon ist die Verhandlungsführerin der Gewerkschaft Verdi für das Sicherheitspersonal in Nordrhein-Westfalen, Andrea Becker. Guten Morgen!

    Andrea Becker: Ja guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Um mit der anderen Seite zu sprechen: Wann werden Sie vernünftig?

    Becker: Ja, das ist immer eine Frage, aus welcher Perspektive die Vernunft gesehen wird oder beurteilt wird. Unsere Brille ist ja die der Beschäftigten, und die Beschäftigten sagen, ein Lohn muss zum Leben reichen, und das ist im Moment nicht der Fall in der Sicherheitsbranche. Ein Beschäftigter am Flughafen verdient 1332 Euro Netto – dafür, dass er alle Menschen vor Terroranschlägen am Flughafen schützen muss -, und von 1332 Euro Netto, glaube ich, wenn man jetzt mal die ganzen Fixkosten abrechnet, kann man sagen, ist das kein üppiges Einkommen. Und ein Beschäftigter im Bewachungsgewerbe – und das sind immerhin 34.000 Beschäftigte in ganz Nordrhein-Westfalen -, also der in diesem üblichen Bewachungsbereich Objektschutz tätig ist, verdient 8,23 Euro pro Stunde, bekommt unter 1000 Euro netto heraus, und ich glaube, da geht es nicht mehr um Vernunft, sondern da geht es darum, dass Beschäftigte von ihrem Lohn das Leben nicht bestreiten können.

    Engels: Das heißt, Sie nehmen die Mitarbeiter am Flughafen, die aber im Schnitt ja besser verdienen als viele andere in der Bewachungsbranche, sozusagen als Anknüpfungspunkt, weil da das meiste Erpressungspotenzial besteht und Sie dort am meisten Nachbesserung erhoffen, denn viele andere Sicherheitsdienst-Mitarbeiter können diese Wirkung, die Sie an den Flughäfen erzielen, ja nicht erreichen?

    Becker: Das kann man so nicht sagen. Richtig ist aber natürlich, Sinn und Zweck eines Streiks ist es, weil die Arbeitnehmer keine andere Möglichkeit haben als über diesen Weg die berechtigten Interessen und Forderungen durchzusetzen und Druck auszuüben. Natürlich gucken wir, wie können wir am besten Druck ausüben, und der Flughafenbereich ist eine sensible Stelle. Für die weitere Auseinandersetzung ist aber überhaupt nicht auszuschließen, dass auch Beschäftigte aus anderen Bereichen in den Streik gerufen werden. Aber der Flughafen ist eine sensible Stelle und ich verhehle nicht, dass wir natürlich in unserer Streikplanung wussten, das hat Druckpotenzial, und wir wissen sehr wohl, dass wir da auch eine hohe Verantwortung haben. Wir wollen Passagiere nicht treffen. Deshalb ärgert mich ein bisschen, dass die andere Seite das signalisiert, auch das wird uns nicht an den Verhandlungstisch zurückbringen.

    Engels: Nun wäre es aber so, wenn Sie sich mit Ihren Forderungen durchsetzen würden, dass dann an den Flughäfen für das Sicherheitspersonal Steigerungen auf bis zu 16 Euro brutto pro Stunde fällig werden. Das würde mancher, der fliegt, auch gerne verdienen.

    Becker: Ja, das stimmt. Wir haben ja in Deutschland – das ist mittlerweile von allen Instituten bekannt -, wir haben ja in den letzten Jahren erlebt, dass es eine breite Ausweitung des Niedriglohnsektors gegeben hat. Das ist ein Problem. Das heißt, die Arbeitsplätze, die in Deutschland entstanden sind, sind befristet, sind Teilzeit, sind prekär, sind im Niedriglohn-Bereich, und deshalb gibt es in der Tat in vielen Branchen diese Situation. Das sollte uns aber nicht davon abhalten zu sagen, deshalb darf man nicht mehr fordern, sondern im Gegenteil. Auch Volkswirte bemängeln ja, dass die Menschen gerade hier in Deutschland zu wenig verdienen und wir damit ein Binnennachfrageproblem haben. Ich habe gerade heute Morgen auch gelesen, die Allensbach-Studie sagt, die Menschen sagen hier, von einem Lohn muss man leben. Also unsere Forderung wird bestätigt: Wir müssen überall dort, nicht nur jetzt in dieser Branche, überall dort, wo die Menschen von ihrem Einkommen nicht mehr auskommen, überall dort müssen wir anheben.

    Engels: Aber verstehen Sie den Frust mancher Reisender, die jetzt warten müssen für Forderungen, die sie selber in ihrem Alltagsleben gar nicht durchsetzen könnten?

    Becker: Ich verstehe absolut den Frust und aus Frust kann ja eine positive Energie werden, indem man sich sagt, ich will was daran ändern. Das haben die Beschäftigten im Bewachungsgewerbe in Nordrhein-Westfalen gemacht. Es war ein langer Prozess auch. Die haben sich auf den Weg gemacht und haben gesagt, wir wollen an unserer Situation was ändern, wir organisieren uns gewerkschaftlich und wir gehen aktiv in eine Tarifrunde. Die Vorgeschichte zu dieser ganzen Tarifauseinandersetzung ist ja, die Bereiche, in denen die Beschäftigten hier tätig sind, wurden früher von Firmen selbst betrieben. Dann wurden diese outgesourct mit der Hoffnung, das wird alles billiger. Das war dann auch so. Die Löhne gingen runter, weil das dann an private Dienstleister übertragen wurde. Und jetzt nach vielen Jahren wehren sich die Beschäftigten und sagen, ist zwar schön und nett, dass hier die privaten Dienstleister ihre Dienste so billig anbieten, aber bitte nicht auf unserem Rücken.

    Engels: 30 Prozent mehr, das sei völlig irreal und würde auch möglicherweise zu Arbeitsplatzverlusten führen. So argumentieren die Arbeitgeber. Sie hätten immerhin schon zwischen 4,9 und 9,2 Prozent mehr angeboten. Können Sie sich nicht von diesen 30 Prozent weg bewegen?

    Becker: Tarifverhandlungen sind Kompromisse. Die 30 Prozent beziehen sich auf die Forderung, die wir aufgestellt haben, und natürlich wissen wir, dass wir unsere Forderung nicht zu hundert Prozent durchsetzen werden. Aber ich will das noch mal relativieren mit den 4,9 Prozent und 9,2 Prozent. Das hört sich super an. Das wäre auch ein ganz gutes Tarifergebnis, wenn wir über Einkommen reden, die da bei 2500, 3000 Euro liegen. Aber in Cent und Euro umgerechnet sind die 4,9 Prozent 40 Cent für diese Menschen, die 8,23 Euro pro Stunde verdienen, 40 Cent, und für die Beschäftigten an den Flughäfen machen diese neun Prozent 1,14 Euro. Das heißt, wenn man das jetzt mal so umrechnet, glaube ich, kann man nicht sagen, dass das völlig überzogen ist, oder im Gegenteil, dass das Angebot überragend gut ist, wenn es um 40 Cent Erhöhung geht.

    Engels: Frau Becker, schauen wir noch auf einen anderen Aspekt. Die Flughäfen scheinen, sich ja auf die Ausstände zunehmend besser einzustellen. In Düsseldorf gelang es gestern, mehr Sicherheitsschleusen offen zu halten als bei der ersten Streikaktion. Verlieren Sie langsam Ihr Druckmittel?

    Becker: Nein! Das Gegenteil ist der Fall. Ich finde es gut, dass die Flughäfen reagieren. Wir haben auch reagiert oder unsere Ankündigungsfristen vorgezogen und haben gemerkt, dass das für beide Seiten besser ist. Wir haben bei dem ersten Warnstreik die Ankündigung in der Nacht gemacht und dann ist es sehr schwierig für die Flughäfen, sich darauf einzustellen. Jetzt kündigen wir das einen Tag vorher an und die Flughäfen können sich darauf einstellen und reagieren mit Annullierung der Flüge und geben rechtzeitig auf den Internet-Seiten bekannt, dass die Flüge gestrichen werden, sodass viele Passagiere dann umbuchen oder sich ein anderes Beförderungsmittel suchen. Das ist im Grunde genommen für alle Beteiligten gut. Die Streikbeteiligung unserer Mitglieder ist nach wie vor sehr hoch und die Wirkung ist da, und die Passagiere müssen nicht den ganzen Tag in einer Schlange stehen. Das finde ich sehr gut, weil das will ich hier übrigens noch mal betonen: Ich habe sehr großes Verständnis für die Passagiere. Niemand hat Interesse daran, wenn er in Urlaub fliegen will, da in einer Schlange zu stehen, die aufgrund eines Streiks verursacht wird. Absolutes Verständnis!

    Engels: Ganz kurz zum Schluss. Wie lang geht das noch?

    Becker: Ja wenn es nach mir geht, können wir morgen am Verhandlungstisch sitzen und darüber reden, wie wir einen Kompromiss in diesem Tarifkonflikt finden. Sie haben ja Herrn Vielhaack eben interviewt, das hört sich nicht so an, dass die andere Seite bereit ist dazu. Ich bin der Meinung, dass die Tarifvertragsparteien – das schließt mich ausdrücklich ein – hier eine Verantwortung haben. Deshalb würde ich sofort, wenn das Signal von der anderen Seite kommt, die Streiks aussetzen, wenn wir zurückkehren an den Verhandlungstisch.

    Engels: Andrea Becker von Verdi zum Flughafenstreik, und das zur kleinen Einordnung: Gunnar Vielhaack, den Verhandlungsführer der Arbeitgeber, haben wir nicht im Interview gehabt, aber wir haben einen kurzen O-Ton gespielt. Vielen Dank für das Gespräch.

    Becker: Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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