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Ein Meister der Zweideutigkeit

Den Kritikern in der Weimarer Republik war der Name Spitzweg gleichbedeutend mit harmloser Idylle, mit Krähwinkel und Gartenlaube. Genau das schätzten wenig später die Nationalsozialisten. Seit einigen Jahren bemühen sich Museen und Kunsthistoriker um einen unverstellten Blick auf den Maler Carl Spitzweg: Beobachtungsgabe und tiefe Menschenkenntnis kommen in seinen Bildern zum Vorschein.

Von Jochen Stöckmann | 05.02.2008
    Gar so arm sieht der Poet in seiner Dachkammer nicht aus, den Carl Spitzweg 1839 gemalt hat: Zwar ist unterm rissigen Dach ein löchriger Regenschirm aufgespannt, und gegen die Kälte trägt der Dichter im Bett Schlafrock und Zipfelmütze – aber er schmiedet fröhlich pfeifend seine Verse. Im akkurat ausgemalten Kleinformat wird, so scheint es, der stille Winkel verherrlicht, die Dachkammer als sicherer Ort gepriesen. So sieht das "Spitzweg"-Klischee aus.

    Der Maler selbst, am 5. Februar 1808 in München geboren und zeitlebens ein Großstadtbewohner, ist diesem Ruf nicht gerecht geworden: Carl Spitzweg, aus gutem Hause, studiert Pharmazie, legt ein glänzendes Examen hin, wird Apotheker. Und kann seiner Leidenschaft für Musik und Theater frönen, etwa auf einer Reise nach Venedig, Mailand und Rom. Er kommt nicht als armer Poet daher, ist stets à la mode gekleidet – schreibt deshalb 1829 dem Bruder Eduard:

    "Sey so gut und überschicke mir 4 Sommerhosen, davon 2-3 von schönem Muster. Vergiß aber nicht sie mit dem nächsten Bothen aufzugeben, welcher bis Pfingst-Sonntag wieder herkommt, wo alles Sommerhosen tragen will."

    In Rom lernt der Bildungsreisende 1832 einige Maler kennen. Spitzweg beginnt, sich selber an der Staffelei zu versuchen. Inspiriert von den Lustspielen Carlo Goldonis gelingen dem "Sonntagsmaler" formvollendete Szenen, detailliert geschilderte Anekdoten.

    Naturwissenschaftliche Beobachtungsgabe und eine tiefe Menschenkenntnis befähigen den Maler Spitzweg, skurrile Figuren wie den "Schlafenden Wachtposten", einen tollpatschigen Schmetterlingsfänger oder den kurzsichtigen "Sonntagsjäger" nicht einfach nur ins Bild zu setzen, sondern ihnen – wie ein Bühnenregisseur - lebensechte Charakterzüge zu verleihen.

    "Er durchstieß das Idyllenhafte. Diese Täuschungsmanöver: Die Idylle, atmosphärisch Gemütlichkeit zu verbreiten, Wohlgefühl. Und auf der anderen Seite zu sagen: 'So bist Du, als Mensch, das ist der tiefere Hintergrund Deines Wesens.' Und damit wird man ja selbst hochgenommen und erblickt sich auch in diesen Alltagsdarstellungen selbst wieder."

    Herwig Guratzsch, der als Kunsthistoriker unter anderem das Wilhelm-Busch-Museum für kritische Grafik in Hannover leitete, ist fasziniert von Spitzweg als einem Meister der Zweideutigkeit. Und wer genau hinschaut, wird kaum noch gelten lassen, was seit jeher gegen den angeblich so rückwärtsgewandten, gar verstockten Romantiker angeführt wird: Zwar habe Spitzweg um 1850- als bereits erfolgreicher Künstler - auf weiten Reisen mit der Eisenbahn nach Prag, Venedig, Paris oder zur Weltausstellung in London das moderne Leben kennengelernt, am Ende daheim im Atelier dann aber doch weiterhin Postkutschen gemalt.

    "Das verstellt den Blick auf die malerische Raffinesse, mit der er tätig wird. Er ist dabei ein moderner Künstler, weil er eine sprühende Technik sucht, die sich ablöst vom betulich geschilderten Gegenstand."

    Es lohnt sich also, auch einmal hinter jene vordergründigen Motive zu schauen, die Spitzweg seiner Erinnerung an lange Gebirgswanderungen oder auch der Lektüre des verehrten Jean Paul verdankte. Dann werden Einflüsse der Landschaftsbilder eines John Constable sichtbar, auch Anregungen durch ein Malen in freier Natur, die der Atelierkünstler Spitzweg nach einer Begegnung mit den französischen Kollegen der Schule von Barbizon aufgegriffen hatte.

    Diese kleinen Experimente konnte sich ein kaufmännisch versierter Maler leisten, der mit zwei Dutzend Kunstvereinen in ganz Europa geschäftlich verbunden – und auf sein "Markenzeichen" am Ende gar nicht mehr angewiesen war: In einem seiner letzten Briefe schlug Carl Spitzweg, der am 23. September 1885 in München starb, als Grabmal für sich vor:

    "Das Ganze kann die Form einer Hanswurst-Mütze haben. In der Mitte müsste ein Relief angebracht sein, worauf alle Schreiber und auch Türken, Badergesellen und Bürgermeister, Einsiedler in Reichsstädten, Sandwüsten und Alpenregionen, die ich in meinem ganzen Leben gemalt habe, in einem Bild vereint wären, wütend um Rache schreiend über ihren Urheber."