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Ein Meister des wirkungsvollen Ekels

Der US-Künstler Paul McCarthy provoziert und fasziniert seit 40 Jahren das internationale Publikum mit Performances, Videos und Skulpturen. Die New Yorker Park Avenue Armory zeigt sein bisher ambitioniertestes Werk: die Installation "WS". Das Set bietet ein Bild der Verwüstung, Besuchern unter 17 Jahren ist der Zutritt untersagt.

Von Sacha Verna | 27.06.2013
    Es beginnt ganz harmlos: Schneewittchen spaziert durch einen Wald, kommt an ein Haus und klopft an ...

    "Klopf, klopf."

    Keine Reaktion.

    "Hello? Hello-o?"

    Die Frau im Schneewittchen-Kostüm öffnet die Tür und dann - nun dann folgt eine Filmversion des Märchens, die zu Paul McCarthys Installation "WS" in der New Yorker Park Avenue Armory gehört. Besuchern unter siebzehn Jahren ist der Zutritt untersagt.

    "McCarthy setzt eine Welt in die Welt."

    Das ist Hans-Ulrich Obrist. Der Kurator hat Paul McCarthys bisher ambitioniertestes Werk mitorganisiert. McCarthy ist der Meister des wirkungsvollen Ekels und der pervertierten Unschuld unter den zeitgenössischen amerikanischen Künstlern. Seit vierzig Jahren provoziert und fasziniert der 67-Jährige das internationale Publikum mit Performances, Videos und Skulpturen. Sex und Sekrete bilden seine Requisiten und Symbole aus Kindheit, Kitsch und Konsum seine Hauptdarsteller. Er kombiniert Pinocchio mit Schokoladesoße und schickt Heidi ins Heu, wie im berüchtigten Film, den McCarthy 1992 mit seinem kalifornischen Kollegen Mike Kelley inszenierte.

    "Er hat ja ursprünglich an Heidi weiterarbeiten wollen. Und dann dachte er, vielleicht ist ja der White Snow, diese Disney Geschichte, "WS" ist ja eine Umkehrung von Snow White, ist er vielleicht näher dran an seinem Zuhause als mit Heidi, das in den Schweizer Bergen spielt."

    "WS" nimmt beinahe die gesamten 5000 Quadratmeter der Exerzierhalle in der Armory ein. Es besteht aus dichter künstlicher Flora und Fauna sowie einer Kopie des Hauses, in dem der 67-jährige Künstler aufwuchs.

    "Seine ganze frühe Erfahrung als Bühnendesigner mit Stage Sets - er hat ja an Star Trek mitgearbeitet damals - fliesst da auch mit rein. Also es gab immer schon, in seinen ganz frühen Installationen diese Stage Set Dimension. Es sind eben Stage Sets mit Figuren, mit Skulpturen, mit skulpturalen Elementen."

    Das Set von "WS" ist begehbar und bietet ein Bild er Verwüstung: Durchs Fenster des Hauses sieht man im Wohnzimmer zwei nackte Körper, die ebenso von Blut und Fäkalien verschmiert sind wie die geblümten Sessel, das Harmonium und der schiefe Weihnachtsbaum. In die Küche scheint ein Riese gekotzt zu haben, und im Hobbykeller hängt ein Mann über einem Waschzuber mit einem Besen im Mund, der ihm aus dem After herausschaut.

    Die Orgie, dem das Spießertum in diesem trauten Heim offenbar zum Opfer gefallen ist, dokumentieren die Filme auf den zwei gigantischen Leinwänden hoch über der Kulisse: Schneewittchen, die sieben Zwerge und Paul McCarthy als Walt Disney im Frack fressen und ficken da bei steigendem Geräuschpegel bis zur Erschöpfung.

    "Es gibt unglaublich viele Ingredienzien, wenn man so will, die er alle in sein Werk reinbringt. Nicht als Zitate, nein, er verbindet die in dieses Gesamtkunstwerk. In diesem Sinne ist es, glaub ich, wirklich die Synthese, die in diesem Sinne neu ist, die einzigartig ist, und die eben all das zusammenbringt: Performance, Installation, Architektur, Bühnenbild, Film, Licht, Ton und sogar Küchenrezepte."

    Paul McCarthys Rezept heisst Weitermachen:

    "Er beschreibt das also als eine Traummaschine, ein Auslöser auch für neue Projekte. Und das wird auf jeden Fall nach dieser Ausstellung hier wieder aktiviert werden. Und der zweite Teil wird beginnen. Also diese Grossinstallation hier ist nicht jetzt ein Werk, das damit zum Ende kommt. Sondern der Prozess wird auch nach New York weitergehen"

    Das kann man auch als Drohung verstehen.

    Park Avenue Armory, New York:<le_96472>Paul McCarthy "WS"</le_96472>