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"Ein Mikrokosmos der deutsch-jüdischen Geschichte"

Der "Opferblick" auf Juden hat bisher verhindert, dass die Mendelssohn wirklich gewürdigt wurde, sagt Thomas Lackmann, Experte und Nachfahre der Künstler- und Bankiersfamilie. Er unterstützt den Entwurf des Bildhauers Micha Ullmnn für ein Mendelssohn-Denkmal in Berlin.

Thomas Lackmann im Gespräch mit Michael Köhler | 22.06.2012
    Michael Köhler: Neben Nicolai und Lessing gehörte Moses Mendelssohn dem sogenannten Montagsclub der Berliner Aufklärung an. Heute würde man vielleicht dazu "überkonfessioneller Expertenclub" sagen, oder Think Tank und Exzellenzcluster für Liberalisierung der Gesellschaft. kurz: Mendelssohn war ein berühmter deutscher Denker im 18. Jahrhundert. Die ganze Familie übrigens hat es in sich, da sind noch Fanny und Felix und einige weitere zu nennen - Denker, Musiker, Bankiers, alles dabei.

    Heute ging in Berlin eine internationale Konferenz zu "250 Jahre Familie Mendelssohn" zu Ende, und mit dem Journalisten, Veranstalter und Mendelssohn-Biografen und Nachfahren aus der Mendelssohn-Familie, mit Thomas Lackmann habe ich darüber gesprochen und ihn gefragt, waren die Mendelssohns eigentlich damals eine integrierte, emanzipierte jüdische Familie im aufgeklärten Absolutismus?

    Thomas Lackmann: Da ist ein Ehepaar, was 1762, also heute vor 250 Jahren, anfängt und er ist ein Autodidakt, der sich mit unglaublichem Engagement zum Intellektuellen und Bestseller-Autor hochgearbeitet hat und nebenbei ein erfolgreicher Seidenkaufmann ist, und sie ist eine literarisch sehr interessierte Kaufmannstochter, und sie haben sich verliebt, also eine Liebesehe - also eine ganz spannende und eigentlich relativ moderne Konstellation. Und daraus entsteht jetzt eine Familie mit bemerkenswerten Kindern und einem bemerkenswerten Haus, wo die Freunde des Mannes ein- und ausgehen, die Leute, die Rat suchen, Christen, Juden, Mönche, Pfarrerstöchter. Das ist ein Haus der Berliner Aufklärung, kann man es nennen, ein Ort des Dialogs. Und die Kinder wachsen auf in dieser Atmosphäre und entwickeln sich in alle verschiedensten Richtungen, kann man sagen - zwei bleiben Juden, zwei werden evangelisch, zwei katholisch -, also das ist die Neuzeit, die da tatsächlich anbricht. Aber ich würde trotzdem nicht sagen, emanzipierte Intellektuellenfamilie, aber ich würde sagen, die sind mitten drin in diesem Prozess Modernisierung und Aufklärung und von den sechs Kindern des Moses geht dann jeder seinen eigenen Weg.

    Köhler: Herr Lackmann, es gibt so große deutsche Familiendynastien. Da fallen einem vielleicht die Industriellenfamilie Krupp ein, da fallen einem die Familie Mann ein, da fallen einem vielleicht auch noch die Familie Bach ein, Mendelssohn vielleicht nicht so direkt. Woran liegt das? Gibt es in Berlin kein richtiges Haus der Aufklärung, kein Zentrum, das man ansteuern kann? Haben Sie eine Erklärung dafür?

    Lackmann: Sie stellen jetzt die Frage, "Die Story ist gut, es fehlt das Marketing". Das ist jetzt ja Ihre Frage. Ich bin da vorsichtig. Ich glaube nicht so doll ans Marketing, obwohl wir als Mendelssohn-Gesellschaft oder ich als Autor natürlich versuchen, diese Geschichte zu verbreiten. Ich würde einfach zunächst mal sagen, der Unterschied zu den anderen Familiendynastien, die Sie nennen, ist eben: hier haben wir über fünf Generationen, einen sehr, sehr langen Zeitraum, in jeder Generation sehr bemerkenswerte Leute der A- und auf jeden Fall B-Liga, und wir haben ein ganz breites Spektrum in der Gesellschaft, also Bankiers, Künstler und Gelehrte, insofern wirklich ein Mikrokosmos der deutsch-jüdischen Geschichte, und das macht die Sache sehr spannend. Hier wird Geschichte in einer Breite und Lebendigkeit personalisiert und konkretisiert und insofern würde ich sagen, es ist absolut eine Geschichte, die für alle spannend sein kann. Es ist übrigens auch ein Stoff für einen großartigen Film oder eine großartige Serie, wenn man das gut machen würde.

    Warum ist das nicht passiert bisher? - Also ich glaube, in der Nachkriegszeit gab es gegenüber den Mendelssohns vielleicht eine Hemmschwelle: sie waren reich und wohlhabend gewesen, glückliche Juden, obwohl sie natürlich genauso viel Unglück hatten wie andere Familien auch, aber auf jeden Fall vom Schicksal in mehrfacher Hinsicht begünstigt, dass diesen Opferblick auf die Juden und Juden auf jeden Fall so wahrzunehmen, dass das vielleicht verhindert hat, eine Familie, die so reich und auch zum Teil mächtig war, wirklich zu würdigen. Vielleicht ist das heute wieder besser möglich, aber wie gesagt, das Spektrum ist sehr groß. Es gibt da auch schwarze Schafe und Revolutionäre in der Familie.

    Köhler: Im Rahmen Ihrer Konferenz wollen Sie ja auch einen Denkmal-Entwurf zumindest vorstellen für ein Haus der Aufklärung. Das heißt, Sie wollen schon die breitere Öffentlichkeit anstreben?

    Lackmann: Ja wir knüpfen natürlich an, dass das ein Zeichen sein soll für ein Haus, was es wirklich gegeben hat, und hier sind wir an einem ganz zentralen Ort in Berlin, Spandauer Straße Ecke Karl-Liebknecht-Straße, das war das Marienviertel, da stand das Haus Spandauer Straße 68, wo die Mendelssohn-Familie gelebt hat, aber vorher auch Lessing und Nicolai und Christlob Mylius, ein Neffe von Lessing, auch ein Publizist, und das ist das Haus nicht nur der Berliner Aufklärung. Ich nenne es auch das Haus der deutschen Hoffnungen, denn diese großartige Freundschaft zwischen Lessing und Mendelssohn ist in diesem Umfeld vonstatten gegangen und hat sich entwickelt und ich hätte beinahe gesagt, so schön ist es nie wieder geworden. Das ist jetzt nicht verklären, aber es war eine großartige Freundschaft, Lessing, Nicolai und Mendelssohn, und diese Berliner Aufklärung - und auch das haben wir auf diesem Kongress gehört - hat eben eine ganz besondere Qualität gehabt, vielleicht auch gerade deswegen, weil sie institutionell nicht so gefördert wurde, und dann standen wirklich diese drei Freunde, junge Männer, im Mittelpunkt. Daran zu erinnern und zu sagen, Moment, was heißt das denn für heute, das ist genau dieses Denkmal-Projekt, und Micha Ullman, der Bildhauer, der hat eine großartige Idee, die heute Abend vorgestellt wird, die beim Alexanderplatz in diesem Marienviertel ist, die funktioniert, egal wie in Zukunft die Bebauung dort sein wird, und die einfach zeigt, da war was und darüber kann man nachdenken - also Denkmal.

    Köhler: Da war was, da ist was - Thomas Lackmann zu "250 Jahre Mendelssohns in Berlin" war das.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Link auf dradio.de:

    Eine Familie steigt auf - Julius H. Schoeps: "Das Erbe der Mendelssohns", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 496 Seiten (Deutschlandradio Kultur, Kritik)