Donnerstag, 28. März 2024

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"Ein nahöstliches Friedenstheater"

Bei den aktuellen Friedensverhandlungen sei insbesondere die israelische Regierung nicht an substanziellen Ergebnissen interessiert, meint Christian Sterzing, ehemaliger Leiter des Büros der Böll-Stiftung in Ramallah. Die neuen israelischen Siedlungspläne in den Palästinensergebieten bezeichnet er als völkerrechtswidrig.

Christian Sterzing im Gespräch mit Mario Dobovisek | 12.08.2013
    Mario Dobovisek: Es kommt wieder Leben in die Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern. Seit Jahren schweigen beide Seiten, am Mittwoch nun sollen die Gespräche wieder aufgenommen werden. Erste Vorverhandlungen gab es bereits. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle will vermitteln, gestern besuchte er Jerusalem, heute wird er in Ramallah erwartet. Die Palästinenser wollen im Westjordanland und im Gazastreifen einen eigenen Staat errichten, Israel beansprucht dagegen die Gebiete im Westjordanland für sich. Dort befinden sich große jüdische Siedlungen, rund 500-000 israelische Siedler leben dort und es erscheint für die Verhandlungen wenig hilfreich, wenn Israel kurz zuvor den Bau Hunderter neuer Wohnungen verkündet.

    Am Telefon begrüße ich Christian Sterzing, für die Grünen saß er im Bundestag, anschließend leitete er das Büro der Böll-Stiftung in Ramallah im Westjordanland und er ist ein ausgewiesener Kenner des Nahost-Friedensprozesses. Guten Morgen, Herr Sterzing!

    Christian Sterzing: Schönen guten Morgen, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Drei Tage vor der Wiederaufnahme der Friedensgespräche verkündet Israel den Bau weiterer Siedlungen im Westjordanland. Kein Land der Erde lasse sich von anderen Staaten vorschreiben, wo es bauen und wo es nicht bauen darf, sagt Bauminister Uri Ariel. Wie klingt das für Sie, Herr Sterzing?

    Sterzing: Ja das ist schon eine ziemliche Dreistigkeit, eine solche Argumentation anzuführen. Man muss daran erinnern, dass diese Besatzung von palästinensischem Gebiet nach allgemeiner Ansicht in der ganzen Welt eigentlich völkerrechtswidrig ist, und kein Land leistet es sich so wie Israel seit 40 Jahren, gegen das Völkerrecht zu verstoßen und mit diesem Siedlungsbau einem fremden Volk die nationale Selbstbestimmung zu verweigern.

    Dobovisek: Ist die gestrige Ankündigung aus Ihrer Sicht eine Provokation?

    Sterzing: Ja, es ist schon eine deutliche Provokation. Wenn man vereinbart hat, dass man in Gespräche eintreten will über eine Friedensregelung oder eine Endstatus-Regelung, wie man ja im Allgemeinen sagt, und gleichzeitig verkündet, dass man etwas tun wird mit dem Bau der Siedlungen, was eigentlich genau die angestrebte Friedenslösung verhindern oder zumindest erheblich erschweren wird, dann muss das für alle Beteiligten eigentlich eine Provokation sein.

    Dobovisek: Andererseits reicht Israel den Palästinensern deutlich die Hand und gibt die Freilassung von über 100 palästinensischen Häftlingen frei. Was will Israel mit diesem, könnte man sagen, Doppelkurs erreichen?

    Sterzing: Zum einen muss man natürlich sehen, spielen Hintergründe aus der Innenpolitik eine erhebliche Rolle. Das heißt, in Israel stößt die Freilassung von palästinensischen Gefangenen auf erheblichen Widerstand, auch gerade in der Regierungskoalition, und man versucht, da sozusagen den rechtsnationalen Koalitionspartner zu beruhigen, indem man gleichzeitig von einer Verstärkung der Siedlungspolitik spricht. Auf der anderen Seite: Außenpolitisch ist Israel natürlich in den letzten Jahren zunehmend isoliert worden aufgrund dieser völkerrechtswidrigen Politik, und der Beginn von Gesprächen, die ja von allen irgendwie erhofft werden, seit Jahren, damit versucht Israel ein bisschen, die internationale Reputation wieder aufzupolieren, gerade auch vor dem Hintergrund – das wurde in dem Beitrag ja gerade auch angesprochen – der EU-Politik, die ja nun erstmals sehr deutlich gesagt hat, dass die Verurteilung dieser völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik eben auch politische Konsequenzen haben soll vonseiten der EU.

    Dobovisek: Die EU ist das eine, die USA das andere, der größte und stärkste Partner Israels schon seit vielen, vielen Jahren. Sagen wir, der Druck der USA fällt eher moderat aus derzeit. Warum also gerade jetzt der Anlauf zu neuen Gesprächen?

    Sterzing: Ich denke, dass das nur vor dem Hintergrund der Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten der letzten Jahre zu verstehen ist. Wir beobachten ja einen ganz bedeutsamen Bedeutungsverlust der USA im Nahen und Mittleren Osten. Die Gestaltungsmacht dieser Großmacht, dieser Supermacht USA ist ja gewaltig geschwunden, denken wir nur an den Irak, an das, was im Augenblick in Syrien, in Libyen, Tunesien, Ägypten passiert. Das hat eine Instabilität in der Region geschaffen, die natürlich den USA erheblich zu schaffen macht. Und ich sehe den Versuch der USA, die Gespräche wieder in Gang zu bringen, auch als einen Versuch, sozusagen als Akteur im Nahen Osten wieder ein wenig ein Bein an Deck zu kriegen, also wieder eine Rolle zu spielen, abgesehen natürlich von innenpolitischen Gründen, dass es eben für Kerry wichtig war, nun nach Wochen so intensiver Diplomatie auch zumindest einen kleinen Erfolg vorweisen zu können.

    Dobovisek: Auch Deutschland versucht, eine Rolle zu spielen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle, wir haben es gehört, ist gerade dieser Tage im Nahen Osten unterwegs und verspricht, den Friedensprozess zu unterstützen. Wie sollte diese Unterstützung aussehen?

    Sterzing: Dieses Versprechen ist natürlich nicht neu. Es ist, glaube ich, neu in Europa, insbesondere generell, dass man einsieht, dass man mit der Politik gegenüber Israel während der letzten Jahre dem Friedensprozess letztendlich nicht geholfen hat, indem man nämlich sozusagen alles folgenlos hingenommen hat, was Israel an völkerrechtswidriger Politik betreibt. Das geht von dem Bau der Siedlungen bis zu den täglichen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten und auch von Problemen in der Handelspolitik, indem Israel versucht, sozusagen Europa Produkte aus den israelischen Siedlungen als israelische Produkte unterzujubeln. Hier ist deutlich geworden in der europäischen Politik mit dem Beschluss aus dem Juli, eine völkerrechtswidrige Siedlungspolitik hat einen Preis, und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, dass man Israel endlich deutlich macht, dass sich Europa nicht nur mit Erklärungen erschöpft, in denen es diese Siedlungspolitik verurteilt und kritisiert, sondern dass es endlich auch sagt, eine solche Politik hat Konsequenzen, denn nur wenn Israel spürt, dass eine solche Politik einen Preis kostet, dann wird es auch bereit sein, seine Politik zu verändern.

    Dobovisek: Wie deutlich kann ein deutscher Politiker, ein deutscher Außenminister da sein, wenn er seine Freunde, historisch belastet, in Israel besucht?

    Sterzing: Ich denke, dass gerade ein Freund da deutlich sein muss. Europa hat in dieser Nahost-Politik natürlich keine so große Einflusskraft wie die Vereinigten Staaten, aber dennoch spielt Europa eine Rolle und die ja doch sehr irritierten Reaktionen in Israels auf diesen Beschluss der Europäischen Union zeigen, dass europäische Politik vielleicht doch mehr Einfluss hat, als man sich zutraut. Deutschland wird sicherlich nie ein Vorreiter sein können in der Kritik an israelischer Politik, aber man muss einsehen, dass diese Politik der letzten Jahre gescheitert ist, dass sie diesem Friedensprozess eben nicht gedient hat. Insofern ist es höchste Zeit, dass Deutschland sich auch hier einer Veränderung europäischer Nahost-Politik nicht verweigert, sondern auch Israel in einem freundschaftlichen Verhältnis an seine Völkerrechtsbindungen und Verpflichtungen erinnert.

    Dobovisek: Ist es aus Ihrer Sicht den Palästinensern und Israelis im Moment ernst mit den Friedensgesprächen?

    Sterzing: Ich glaube nicht, dass es der israelischen Regierung ernst ist. Es wird viel Prozess geben in den nächsten Wochen, aber wenig Frieden. Es gibt ein Interesse daran – das klingt etwas zynisch, aber ich glaube, es ist schon richtig -, es gibt ein Interesse daran, diesen Friedensprozess als ein nahöstliches Friedenstheater aufzuführen, um deutlich zu machen, wir wollen Frieden, wer will den nicht, und wir reden darüber. Aber an substanziellen Ergebnissen ist insbesondere die israelische Regierung nicht interessiert und bei den Palästinensern – das darf man natürlich auch nicht verschweigen – haben wir es ja mit einer gespaltenen politischen Situation zu tun. Hamas und Fatah versuchen seit Jahren vergebens, sich irgendwie wieder zu versöhnen und zu einer gemeinsamen politischen Linie zu finden, und ohne eine Versöhnung oder Fortschritte in diesem Prozess macht es natürlich auch nur begrenzt Sinn, mit den Palästinensern zu verhandeln. Also auch hier gibt es Hausaufgaben auf der palästinensischen Seite zu erledigen.

    Dobovisek: Der frühere Grünen-Politiker und Nahost-Kenner Christian Sterzing über den neuen Anlauf von Nahost-Friedensgesprächen, begleitet vom Besuch des deutschen Außenministers. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Sterzing.

    Sterzing: Ich danke auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Christian Sterzing, ehemaliger Leiter der Heinrich Böll Stiftung in Ramallah
    Christian Sterzing, ehemaliger Leiter der Heinrich Böll Stiftung in Ramallah (Deutscher Bundestag)