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"Ein notwendiger Schritt zu mehr Schutz des Einzelnen"

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat sich zufrieden über die Einigung der Großen Koalition beim Gendiagnostikgesetz gezeigt. Es sei nach langen Diskussionen endlich gelungen, eine breite Zustimmung für den notwendigen Schutz des Einzelnen zu finden, sagte die SPD-Politikerin. Dafür habe man schwierige Abwägungen treffen müssen, etwa in der Frage, welches Recht Eltern auf Wissen und welches Recht Kinder auf Nicht-Wissen hätten.

Ulla Schmidt im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.04.2009
    Friedbert Meurer: Der Fortschritt in der Medizin lindert Leiden, aber er schafft auch ethische Probleme. Mit dem Gen-Diagnostikgesetz soll sichergestellt werden, dass Arbeitgeber oder Versicherungen keine Gentests von Mitarbeitern oder Versicherten in die Finger bekommen. Und Gentests bei ungeborenem Leben sollen enge Grenzen gesetzt werden.

    Mitgehört hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD. Guten Morgen, Frau Schmidt.

    Ulla Schmidt: Guten Morgen!

    Meurer: Um das aufzugreifen, was wir gerade gehört haben: Wird das Gen-Diagnostikgesetz schon sehr schnell wieder überholt sein durch den Fortschritt von Technik und Medizin?

    Schmidt: Das glaube ich zunächst mal nicht, denn wir haben erstmals hier jetzt eine Grundlage geschaffen, die auch ein notwendiger Schritt ist zu mehr Schutz des Einzelnen. Immerhin auch nach fast zehnjähriger Diskussion im Deutschen Bundestag ist es jetzt gelungen, eine breite Mehrheit auch für die Zustimmung zu diesem Gesetz zu finden. Es ist ein schwieriges Thema, wie Sie eben schon gehört haben in dem Bericht. Es geht um ganz sensible Daten, es geht darum, Recht auf Wissen, aber auch Recht auf Nichtwissen, und es geht im Grunde genommen darum, wie können alle verantwortungsvoll umgehen und wie kann ich mich selber schützen, dass ich nicht aufgrund meiner genetischen Daten diskriminiert bin, und deswegen brauchen wir strenge Regeln in Bezug auf die Arbeitgeber, strenge Regeln in Bezug auf die Versicherungswirtschaft. Und wir haben eine schwierige Diskussion gehabt in der Abwägung, welches Recht auf Wissen haben denn die Eltern und welches Recht auf Nichtwissen das ungeborene Kind.

    Meurer: Um kurz innezuhalten beim Schutz vor Informationen, die preisgegeben werden. Es hat ja vor Jahren mal den Fall gegeben, dass eine Beamtenanwärterin abgelehnt wurde, weil sie einen Gentest für Chorea Huntington abgelehnt hat. Wird so was unmöglich werden, verboten sein?

    Schmidt: Ja. Es ist verboten, eindeutig verboten. Der Arbeitgeber darf keine genetischen Untersuchungen fordern und die Informationen nicht annehmen. Im Bereich des Arbeitsschutzes bleibt es nur bei dem, was heute schon möglich ist: Bei freiwilliger Untersuchung zum Beispiel in der chemischen Industrie, wenn es erbliche Vorbelastungen gibt, die zu einer Gesundheitsschädigung führen. Aber der Arbeitgeber darf nicht eine genetische Untersuchung fordern und die Daten dürfen auch nicht verwertet werden. Das gilt genauso gut für die Versicherungswirtschaft, dass sie das nicht darf.

    Meurer: Bei den Versicherungen gibt es einen Passus im Gen-Diagnostikgesetz, Frau Schmidt, dass Versicherungen die Ergebnisse bereits vorhandener Gentests einsehen dürfen, wenn der Versicherte eine Police von mindestens 300.000 Euro abschließen will. Warum hat man hier diese Lücke hergestellt?

    Schmidt: Sehen Sie einmal, sie haben ja immer eine Abwägung zu treffen, dass sie auch die Versicherten, alle insgesamt schützen müssen. Heute muss man bei einer Versicherung angeben, wenn man eine hohe Versicherung oder Lebensversicherung abschließt, ob es Vorerkrankungen gibt. Hier ist gesagt worden, wenn man ein Wissen hat aufgrund einer genetischen Untersuchung und weiß, dass ich zum Beispiel an Chorea Huntington sage ich einmal erkranke, dann ist ab einer bestimmten Versicherungssumme auch zum Schutz der anderen Versicherten nötig, dass man sagt, wenn du es weißt, musst du das genauso angeben wie Vorerkrankungen.

    Meurer: Ist dazu der Gentest erforderlich? Kann man es nicht dabei belassen?

    Schmidt: Nein, ich brauche ihn ja nicht zu machen. Niemand darf mich zwingen, einen Gentest zu machen, auch keine Versicherungswirtschaft. Eine Versicherungswirtschaft darf auch nicht nach Abschluss eines Vertrages sagen, mach einen Gentest und du bekommst günstigere Prämien, sondern wenn ich eine genetische Untersuchung gemacht habe und weiß zum Beispiel bestimmte Veranlagungen in Bezug auf die Erkrankung, wenn in meiner Familie jemand an Chorea Huntington erkrankt ist, muss ich das heute schon angeben. Da geht es darum, Wissen was ich schon habe bei einer hohen Versicherungssumme angeben zu müssen, weil man auch sehen muss, dass man die anderen Versicherten davor schützen muss, dass ich mit dem Wissen, ich werde nicht mehr lange leben, ganz hohe Versicherungen abschließe für meine Angehörigen, was vielleicht verständlich ist, aber hier sagt man, du musst es angeben.

    Meurer: Wir haben in der letzten Zeit erlebt, Frau Schmidt, wie skrupellos manche Unternehmen sein können und welches Interesse sie daran haben, die Gesundheit oder die Krankheit ihrer Mitarbeiter auszuforschen. Wird es da die entsprechende Energie geben, das Gesetz doch zu umgehen?

    Schmidt: Sie sind nie davor gefeit, dass es Menschen gibt, die Gesetze umgehen. Sonst hätten wir überhaupt keine Kriminalität hier in Deutschland und sonst würden Dinge, die gegen Gesetze verstoßen, gar nicht passieren. Hier wird aber erstmals gesetzlich der Schutz festgelegt. Das was heute immer in der Schwebe war, darf man es, oder darf man es nicht, dieses wird eindeutig geregelt und es besteht ein Verbot, nicht nur einen Gentest anzufordern, sondern genetische Daten zu verwenden, und es besteht bei der Versicherungswirtschaft sogar das Verbot, dass man nach Abschluss eines Vertrages eine genetische Untersuchung anfordert, weil wir auch den einzelnen, der vielleicht geneigt ist, diese Daten weiterzugeben, weil er sagt, dann bekomme ich günstigere Prämien, ein Stück schützen wollen, dass die nicht unter Druck gesetzt werden.

    Wir haben jetzt alles gemacht nach unserer Meinung, was eine Umgehung dieser Regelungen verhindert und was dem einzelnen das Recht gibt, nein zu sagen, und es kann deswegen keine Einschränkungen geben, keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen, und es kann auch keine Verschlechterung der Versicherungsbedingungen geben. Das ist, glaube ich, das Entscheidende, was wir hier regeln können.

    Meurer: Ein Punkt im Gesetz war umstritten und da hat am Ende die SPD nachgegeben. Warum hätten Sie gerne in dem Gesetz die Möglichkeit, dass Gentests von ungeborenem Leben stärker erlaubt werden, als das jetzt der Fall ist?

    Schmidt: Nein. Die Frage ist: Kann man eine bestimmte Form der genetischen Untersuchung ausnehmen? Wir haben sehr klar geregelt, dass die genetische Untersuchung an den Arztvorbehalt gebunden wird, dass eine hohe Beratungspflicht dort eingeführt wird, wenn Menschen vielleicht auch Dinge erfahren, die sie zunächst einmal völlig in Unruhe versetzen, und wir haben auch geregelt, dass es natürlich vorgeburtliche genetische Untersuchungen gibt, die es ja auch heute schon gibt. Die Frage, ob man einen Teil der genetischen Untersuchungen ausschließen kann, dass man sagt, das was erst im Erwachsenenalter an Krankheiten auftritt, das dürfen Eltern nicht untersuchen, das ist eben eine heikle Frage, weil es immer die Frage des Rechts auf Wissen oder des Rechts auf Nichtwissen berührt.

    Meurer: Wieso wird Eltern das Recht auf Wissen hier in diesem Fall nicht zugebilligt, ob ihr Kind das Gen für Chorea Huntington in sich trägt?

    Schmidt: Es gab eine breite Bewegung auch im Deutschen Bundestag, die gesagt haben, hier hat für uns der Schutz des Kindes, nämlich das Recht auf Nichtwissen, unbelastet aufzuwachsen, ohne das Wissen vielleicht um eine genetische Disposition, Vorrang. Und da das eine sehr sensible und schwierige Frage ist und für uns auch in der Sozialdemokratie es wichtig war, dass wir Regeln zum Schutz vor gendiagnostischen Untersuchungen und auch zum Schutz des einzelnen umsetzen wollen und endlich ein Gesetz auf dem Weg haben, hat man hier nachgegeben, weil es handelt sich um Erkrankungen, die erst im Erwachsenenalter auftreten, und es ist auch eine Frage, dass man dies mittragen kann.

    Meurer: Aber die Eltern würden das vielleicht gerne wissen, und diese Möglichkeit wird ihnen genommen.

    Schmidt: Ja, aber wissen Sie, wenn wir gar keine Regeln gehabt hätten, wie das jede Legislaturperiode gegangen ist, dass man wegen einer einzelnen solchen Frage es nicht zu einem Gesetz bringt, und damit vielleicht genetische Daten abgefragt werden und Menschen auch in ihrer Persönlichkeit dadurch eingeschränkt werden, muss man irgendwo Kompromisse machen und wir haben diesen Kompromiss gemacht, weil man durchaus auch sagen kann, das Recht des Kindes auf Nichtwissen ist auch ein hohes Gut und der medizinische Fortschritt, von dem wir eben geredet haben, der vielleicht auch in den 18 oder 20 Jahren, wo das Kind aufwächst, eine Möglichkeit gibt, Krankheiten zu heilen, hat vielleicht auch vieles damit zu tun, dass man nicht sein Leben belasten muss. Ich kann dem zustimmen, ich habe das Gesetz anders auf den Weg gebracht, weil ich fand, dass hier diese Einschränkungen nicht unbedingt notwendig gewesen wären, auch nicht sachgerecht, aber es ist ein guter Kompromiss, den wir jetzt gefunden haben, und ich glaube, es kommt darauf an, ein Gesetz endlich auf den Weg zu bringen, das den Menschen, den einzelnen schützt in seiner Persönlichkeit und auch in dem, was er durch die Eltern über seine Geburt mit an Dispositionen bringt. Ansonsten gehen wir in einen Weg, der Menschen diskriminiert wegen ihrer genetischen Disposition.

    Meurer: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt bei uns im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören.

    Schmidt: Auf Wiederhören.