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"Ein ökologischer Irrwitz"

Die Schiefergasförderung mit Wasser und umweltgefährdenden Chemikalien habe wenig mit gesundem Menschenverstand zu tun, sagt Ulrich Kelber, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Die Technologie sei noch zu unausgereift. Außerdem habe Deutschland kein Gasversorgungsproblem.

Ulrich Kelber im Gespräch mit Dirk Müller | 27.02.2013
    Dirk Müller: Die Amerikaner verzeichnen riesengroße Erfolge damit, die Russen und die Chinesen und die Inder ahmen dem nach. Und die Deutschen? – Sie fallen vor allem mal wieder auf als Bedenkenträger. So jedenfalls zahlreiche internationale Delegierte auf der Münchener Sicherheitskonferenz wenige Wochen zuvor. Dabei geht es nicht um Waffensysteme, nicht um Kernenergie, nicht um Transrapids. Es geht um Fracking, um jene Methode, mit der Gas aus tiefen Gesteinsschichten gefördert werden soll. Seit Jahren hierzulande kontrovers diskutiert, hat sich die schwarz-gelbe Koalition nun geeinigt. Die umstrittene Gasgewinnung soll bei uns möglich werden, wenn auch unter strengen Auflagen. Die Opposition sieht schon Land oder besser Gestein unter. Fracking, Chancen und Risiken – darüber sprechen wir nun mit dem stellvertretenden SPD-Fraktionschef Ulrich Kelber. Guten Morgen!

    Ulrich Kelber: Guten Morgen!

    Müller: Herr Kelber, müssen Sie als Oppositioneller dagegen sein?

    Kelber: Nein. Wir haben uns mit dem Thema natürlich schon lange vor dieser Regierung beschäftigt, die ja viele Monate, sogar insgesamt zwei Jahre sich zu keiner Entscheidung durchgerungen hat. Wir haben bestimmte Kriterien festgelegt, gesagt, was getan werden muss, und das widerspricht nach wie vor dem, auf was sich diese Regierung jetzt für einen reinen Show-Effekt kurz vor der Wahl geeinigt hat.

    Müller: Warum widerspricht das denn? Schließlich soll es ja hohe Auflagen geben.

    Kelber: Na ja, es sind nicht die Auflagen, auf die man sich eigentlich sogar mal im Gespräch mit Herrn Altmaier geeinigt hat. Das hat wenig mit dem zu tun, was der gesunde Menschenverstand einem eigentlich rät. Ich nehme mal ein Beispiel: Im November hatte Herr Altmaier noch zugestimmt auf der Umweltministerkonferenz, dass es so lange nicht zum Einsatz von Fracking in Deutschland kommen kann, solange noch Wasser und umweltgefährdende Chemikalien eingesetzt werden. Das finden Sie in seinem Entwurf jetzt aber nicht wieder.

    Müller: Also hier haben Sie einen Punkt, wo Altmaier Kompromisse signalisiert hat, und jetzt ist er eingeknickt?

    Kelber: Es ist ja nicht nur ein Kompromiss, es ist wirklich eine Frage des gesunden Menschenverstandes. Wenn man so eine Technologie einsetzt, die Gas zusätzlich gewinnen soll, unter der Ingefahrnahme, Wasser und umweltgefährdende Chemikalien in den Boden einzubringen, übrigens wie in den USA, wenn man es dann herausgenommen hat, zwar kurz zu behandeln, aber danach dauerhaft in den Boden zu verpressen – dann verbleibt ja dieses Fluid im Untergrund -, das mitzumachen, obwohl wir im Augenblick ein Überangebot an Gas haben, ist nicht nur ein ökologischer Irrwitz, sondern natürlich auch ökonomisch unsinnig. Deswegen war ja eine der ganz entscheidenden Forderungen: Es gibt so lange ein Moratorium, solange noch Chemie dabei eingesetzt werden muss. Die Explorationsfirmen versprechen, dass sie diese Technologie in den nächsten Jahren weiterentwickeln; das müssen sie dann zeigen.

    Müller: Herr Kelber, aber demnach sind ja die Amerikaner, die seit Jahren damit arbeiten, die schon große wirtschaftliche Erfolge erzielt haben, auf jeden Fall bar jedes gesunden Menschenverstandes?

    Kelber: In dieser Frage gibt es natürlich auch einen massiven Widerstand in den Vereinigten Staaten. Wir wissen, dass in den USA in einigen Gebieten, bei Weitem nicht in allen, mit deutlich weniger Rücksicht auf ökologische Langzeitschäden gearbeitet wird. Aber wer auch in den Fördergebieten unterwegs war, dort Zerstörungen auch oberirdisch gesehen hat, und eben weiß, dass es völlig unklar ist, wie die unterirdische Situation aussieht, der möchte das in Europa nicht wiederholen. Es gibt natürlich zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Gasmarkt auch einen Unterschied. Die Amerikaner waren auf einen Import per Flüssiggas und andere Dinge angewiesen, die teuer waren, und haben durch die massive Förderung heute einen sehr billigen Markt. In Europa herrscht durch die Pipelines heute bereits ein Gasüberangebot zu einem Preis, den wahrscheinlich auch Frackinggas mit entsprechenden Umweltauflagen – auch Herr Rösler sagt ja, wir wollen das nicht wie in den USA machen -, der nicht unterboten werden kann. Also ökonomisch, volkswirtschaftlich wäre natürlich nicht das Gleiche passiert wie in den USA. Deswegen macht es umso mehr Sinn, auch auf die möglichen Folgeschäden zu achten, und vor allem, solange eine bessere Technologie in Zukunft zur Verfügung stehen könnte, nicht heute schon mit Wasser und Umwelt gefährdenden Chemikalien im Untergrund zu arbeiten.

    Müller: Das müssen Sie uns noch mal erklären, Herr Kelber, wenn ich hier jetzt unterbrechen darf. Sie reden von Überschüssen in der Gasproduktion. Wir haben vor Jahren die Gaskrise gehabt in Europa. Dann hat Moskau einigen Ländern indirekt - auch uns - den Gashahn abgedreht, uns politisch erpresst, so wurde das jedenfalls interpretiert. Die Energiepreise, die Strompreise wachsen ins Astronomische. Warum dann keine eigene Autonomie bei der Gasversorgung?

    Kelber: Sie müssen schon aufpassen, dass die Dinge nicht miteinander verwechselt werden. Die Energiepreise oder die Strompreise haben natürlich nicht sofort was mit dem Gaspreis-Angebot zu tun. Wer zum Beispiel eine Heizung hat, hat gemerkt, dass sich Gaspreise und Ölpreise entkoppelt haben. Der Gaspreis ist nicht mehr mitgestiegen mit dem Ölpreis. Das hat damit zu tun, dass im Augenblick schon mehr Gas in Europa angeboten wird als abgenommen wird. Es ist in diesem Jahr billiger noch als vor zwei Jahren.

    Müller: Aber das muss ja nicht so bleiben!

    Kelber: Ja es gibt natürlich irgendwann Grenzpreise. Der Grenzpreis ist ein ganz einfacher: Er ist ungefähr der Preis, wie Gas in den USA plus Transportkosten, weil das wäre die Alternative, die wir dann bekommen. Das Gasangebot ist so groß – und das ist vielleicht ein objektives Messkriterium -, dass neun Pipeline-Strukturen, die mal überlegt wurden, South Stream, Nabuco, sich nicht rechnen, weil man nicht weiß, ob man überhaupt alles Gas noch abgesetzt bekommt. Das ist auch unabhängig davon zu sehen, falls an bestimmten Stellen es dann mal einen Mangel gibt, weil dort die Infrastruktur nicht unbedingt ausgebaut wurde. Sie bekommen jede Gasmenge, die Sie wollen, in Europa auf Jahre hinaus unter Vertrag.

    Müller: Also Sie sagen jetzt hier im Deutschlandfunk, wir haben über Jahre hinaus kein Gasproblem?

    Kelber: Wir haben kein Gasversorgungsproblem, wir haben auch kein Gaspreisproblem derzeit, und deswegen ist es unsinnig, jetzt mit einer noch nicht ausgereiften Technologie im Untergrund nach zusätzlichem Gas zu bohren. Wir würden natürlich sowieso überhaupt nicht die Mengen bekommen wie in den USA. Das heißt, es wäre ein kleinerer Anteil der Gesamtversorgung über einige Jahrzehnte.

    Müller: Aber das wissen Sie alles, bevor es richtig losgegangen ist. Warum unterstützen Sie nicht weiterhin die Forschung?

    Kelber: Das hat keiner gesagt. Die Forschung findet übrigens seit Jahren statt. Es gibt eine Bundesanstalt dafür und Ähnliches. Worum es jetzt geht, ist die Frage: Glauben die privaten Firmen, durch tiefe Grundwasserschichten durchzustoßen unter Einsatz von Umwelt und Wasser gefährdenden Chemikalien. Das lehnen wir ab, das lehnt übrigens auch das Gutachten des Umweltbundesamtes als Idee ab. Die sagen, es sind viele Dinge noch nicht geklärt. Und die Frage ist: Nehme ich Risiken in Kauf, sogar ohne einen überzeugenden ökonomischen Vorteil, oder wende ich dann das Vorsorgeprinzip an und sage mir, diese Ressourcen sind auch noch in einigen Jahren da, wenn es dann eine weniger gefährliche Technologie gibt, kann man neu entscheiden. Jede Generation, jeder neue Deutsche Bundestag hat natürlich das Recht, Risiko und Nutzen neu miteinander abzuwägen.

    Müller: Herr Kelber, ich hoffe, Sie bleiben uns noch erhalten in der Leitung. Das ist ein bisschen schwierig. Dennoch noch einmal die Frage: In Niedersachsen wird ja gebohrt, da wird experimentiert. Sollen die jetzt weiter machen, sollen die aufhören?

    Kelber: Auch jede Probebohrung wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung haben. Es geht darum, die Exploration, die wirkliche Ausbeutung von Gasfeldern zu unterlassen, und die neue niedersächsische Landesregierung hat wie die nordrhein-westfälische gesagt, wir wollen ein Moratorium, und dieses Moratorium beinhaltet, solange es den Einsatz von Wasser und Umwelt gefährdenden Chemikalien gibt. Ich glaube, das ist der Dreh- und Angelpunkt, und den wird auch Herr Rösler und Herr Altmaier nicht wegdiskutieren können. Die Aussage mit den Trinkwasser-Schutzgebieten ist natürlich eigentlich eine Farce.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der stellvertretende SPD-Fraktionschef Ulrich Kelber. Danke für das Gespräch.

    Kelber: Vielen Dank!


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