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Ein Papst, der nicht will

Als klar war, dass der bekennende Atheist Nanni Moretti einen Film mit dem Titel "Habemus Papam" drehen würde, witterten Vertreter der katholischen Kirche Blasphemie. Herausgekommen ist jedoch eine kluge und zutiefst menschliche Auseinandersetzung mit dem Glauben.

Von Hartwig Tegeler | 07.12.2011
    Ach ja, das Ritual: Der alte tot, es lebe der neue Papst! Kirchenglocken, weißer Rauch und die Ankündigung, dass das Konklave erfolgreich verlaufen ist:

    "Anuntio vobis gaudeo magnum. Habemus Papam."

    "Habemus Papam!" - "Wir haben einen Papst!" Nur ist die Ankündigung in diesem Fall leider nicht einmal die halbe Wahrheit, denn der französische Kardinal Melville, gewählt zum sogenannten Heiligen Vater, hat gewaltige Probleme mit der neuen Rolle.

    "Helft mir bitte, ich schaffe das nicht. Ich schaffe das nicht."

    Ratschläge können die Identitätskrise dieses Papstes nicht lindern:

    "Heiliger Vater, ihr müsst euch keine Sorgen machen. Wenn Gott euch dieses Amt auferlegt, lässt er euch auch die Hilfe zuteilwerden, um es auszuführen."

    Daraus wird nicht werden. Dieser Kardinal Melville, nun Papst in "Habemus Papam", vom deutschen Verleih mit dem unsäglichen Untertitel "Ein Papst büxt aus" versehen, der frisch Gewählte kann das Gewicht der Aufgabe nicht tragen.

    Es ist sehr herrlich anzusehen, wie Nanni Moretti die Komik in die jahrhundertealte Institution quasi hineintreibt, wie er die starren Rituale entlarvt. "Habemus Papam" beginnt mit dieser irrwitzigen Situation im Konklave:

    "Von jetzt an werden die 108 wahlberechtigten Kardinäle von der Außenwelt abgeschnitten sein."

    Wenn die Kamera an den Herren vorbeifährt, die beten, Herr, lasse diesen Kelch an mir vorüberziehen. Niemand will Papst werden! Nanni Moretti zelebriert die Absurdität des Geschehens; und lacht im gleichen Atemzug über den Psychoanalytiker - gespielt von ihm selbst -, der von der Kirche zurate gezogen wird, um das Oberhaupt mit der Identitätskrise ins Amt zu therapieren. In Anwesenheit einer Heerschar von Kardinälen:

    "Nun, ich gehe davon aus, dass ich keine Fragen stellen darf zu ...""Absolut nicht!"

    "War mir schon klar, dass Sex nicht infrage kommt. Ein Hinweis auf die Mama?"

    "Zum jetzigen Zeitpunkt ruft das möglicherweise Erinnerungen in ihm wach und Erlebnisse ... "

    "Ja, eben! Was ist mit Fantasien? Und unerfüllten Wünschen?"

    "Nein!"

    Doch an seinem Papstklienten wird sich dieser Therapeut, im Gegensatz zum Kirchenmann fürchterlich von sich überzeugt, die Zähne ausbeißen. Weiterhin ist der Papst nicht bereit, sich auf dem legendären Balkon der gläubigen Öffentlichkeit zu zeigen:

    ""Hören Sie, haben sie Probleme mit dem Glauben?"

    "Aber nein! Aber Gott sieht in mir Fähigkeiten, die ich nicht habe."

    Und dann, dann verschwindet der Papst, ohne Gewand, sondern in Hose und Jackett, streift durch das ewige Rom, fährt im Bus, schleicht sich in eine Theaterprobe, atmet das normale Leben der Menschen. Den Dämon an der Seite:

    "Ich schaffe es nicht, aber die anderen ... - Die anderen? - ... ja, ja, setzen großes Vertrauen in mich."

    Der inzwischen 86-jährige Michel Piccoli spielt den geflohenen Papst, der an der Last der Verantwortung verzweifelt, mit einer wunderbaren Sanftheit und großer Würde. Dadurch, dass er aus der Rolle fällt, wird er ganz zum Menschen. Sicher, Nanni Moretti hat sich in seinen Filmen über die Linke lustig gemacht, über die Filmwelt, über die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und in "Liebes Tagebuch" sogar über den Krebs, an dem er vor 20 Jahren erkrankt war. Und in "Habemus Papam" macht sich Nanni Moretti über die Institution der katholischen Kirche und die ihrer Ersatzreligion, der Psychoanalyse, lustig. Aber zu keinem Zeitpunkt geht der Filmemacher in diesem Film mit diesem Menschen despektierlich um. Komische Situationen spielen sich um den Hadernden herum ab; aber der Papst auf Abwegen bleibt davon auf magische Weise unberührt.

    "Warum kann ich denn nicht einfach verschwinden. Ich verschwinde!"

    Was natürlich die wunderbare, quasi paradoxe Pointe beinhaltet, dass der ausgewiesene Atheist Moretti dem religiösen Glauben Bedeutung verleiht, indem er den von der Institution weg und zum Menschen zurückführt. Wenn schon, sagt Nanni Moretti unter Strich, dann gehört er da hin. Ist das realistisch? Tja, das ist die Frage.

    Hätte er einen realistischen Film machen wollen, sagt Nanni Moretti, dann hätte er weder die Finanzskandale noch den Umgang der Kirche mit der Pädophilie und andere Skandale ausklammern können. Aber einen realistischen Film, also einen, den die Zuschauer von ihm erwarteten, den wollte er eben gerade nicht machen! Es hat mich nicht interessiert, sagt Moretti, den Zuschauern durch einen schlechten Film das zu erzählen, was sie bereits wissen. - Am Ende ist "Habemus Papam" ein zutiefst humanes Märchen über einen, der zu sich finden darf, indem er alles hinter sich lässt. Amt und Würden, aber keineswegs die Würde.