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Ein Park als Therapie

Eingebettet in den Rahmen eines klassischen englischen Landschaftsparks, bietet der Yorkshire Sculpture Park Kunst besonderer Art. Die Werke, unter ihnen Exponate von Henry Moore und Andy Goldsworthy, verschaffen dem Betrachter nicht nur ein ästhetisches Wohlgefallen: Auf eine spezielle Art scheinen sie auch eine therapeutische Wirkung zu haben.

Von Ruth Rach | 26.08.2007
    Ein paar Schafe grasen friedlich im Schatten einer Bronze von Henry Moore. Am weiten Himmel luftige Schäfchenwolken. Und bis zum fernen Horizont anmutige Hügelwellen, Schlängelpfade, majestätische Bäume. In der Talmulde glitzert ein See. Fast zufällig, erst auf den zweiten Blick, weitere Skulpturen: eine Gruppe regloser und doch rastlos wirkender Figuren, von einer streng gestutzten Hecke eingefasst. Auf dem Rasen ein behäbiges, baumhohes Marmorei, aus dem Wasser fließt. In einer Lichtung eine labyrinthische Installation, in der Kinder Verstecken spielen.

    Hier kann, ist die Kunst und die Natur für jeden da - frei und ohne Einschränkungen. Die Werke stehen nicht irgendwo im sterilen Raum. Man kann sie anfassen, daran riechen, mit ihnen spielen. Es gibt niemanden, der einem über die Schulter guckt und sagt: berühren verboten.

    Jan Wells organisiert Workshops und Besuche von Schulen. Zusammen mit Anna Nevil, ihrer Assistentin:

    "Wir haben fast keine ständigen Exponate. Alles ist im Wandel, die Kunstwerke, die Jahreszeiten. Manche Leute kommen nur wegen der Skulpturen. Dann stehen sie plötzlich vor einem Baumstumpf und fragen sich, ist das nun ein Kunstwerk oder Natur? Andere kommen zum Wandern oder Picknicken und haben überhaupt nichts mit Kunst am Hut. Und plötzlich finden sie - zur eigenen Überraschung - Gefallen an einer Installation."

    Der Yorkshire Sculpture Park besitzt die klassischen Ingredienzien des englischen Landschaftsparks: Herrenhaus, Wintergarten, und selbstverständlich ein ‚Haha’: einen diskreten Graben zwischen dem auf Natur gestylten Park und der natürlichen Landschaft. Normalerweise sorgt der HaHa dafür, dass Schafe und Kühe den erwünschten pastoralen Hintergrund abgeben, aber gleichzeitig auf der anderen Seite bleiben. Im Yorkshire Scuplture Park wird mit diesen Ingredienzien gespielt. Henry Moore wünschte sich nachdrücklich, dass bestimmte Werke auf einer Wiese mit Schafen ausgestellt werden sollten.

    Andere Skulpturen schaffen Blickachsen, die traditionelle Gebäude miteinschliessen, gleichzeitig aber unerwartete Perspektiven auftun. Skyspace zum Beispiel, von James Turrell. Früher ein Unterstand für Rehe - jetzt eine weisse Höhle, die scheinbar in der Erde verschwindet, und plötzlich den Blick freigibt, direkt in den Himmel. Zur Überraschung großer und kleiner Besucher:

    "Ich mag es, wie du von hier aus die Wolken sehen kannst",

    sagt Erin, sie feiert hier mit ihren Großeltern ihren siebten Geburtstag.

    "Meine Mutter und mein Vater sind bei der Arbeit. Aber ich wollte unbedingt in den Park, weil man hier so schön spielen kann."

    Quer über dem See, fast zwei Kilometer weiter, auf einer Anhöhe, der direkte Gegenpol zum Herrenhaus: die ‚lange’ Gallerie, ein ehemaliger Reitstall. Es riecht intensiv nach Landwirtschaft. Über die riesige Fensterfront schlängelt sich ein Band aus Dung und Mist. Der Blick fällt auf Hügel, Weiden, viel Himmel - ein atemberaubendes Bild des Yorkshire Hinterlandes. Das Schlängelband ist ein Werk von Andy Goldsworthy.

    Die Schlange aus Mist ist keine billige Masche, um die Leute zu schocken. Vielmehr will uns der Künstler daran erinnern, dass diese Landschaft von den Bauern und dem Vieh gestaltet wird. Die Tiere grasen sie ab und düngen sie - sonst würde sie ganz anders aussehen.

    Hart an der Grenze des Parks: der Grenzgraben – und gleich daneben Andy Goldsworthys Version des ‚Haha’: Hanging Trees - Hängende Bäume. Drei tiefe Gruben, von Natursteinen eingefasst, die kunstvoll aufeinandergeschichtet sind. In jedem Graben, quer aufgehängt, ja eingezwängt: nackte Bäume, ohne Rinde, ohne Wurzeln, ohne Blätter. Zwei Damen flanieren zur Brüstung und starren fasziniert in die Tiefe:

    "Das bringt mich zum Lachen. Goldsworthy hat einen fantastischen Sinn für Humor."

    "”Mich erinnern die Äste an verrenkte Gliedmassen, das Gefühl in der Falle zu sitzen und nicht mehr rauszukommen.""

    "”Goldsworthy schafft es wie kein anderer Künstler, die Leute direkt anzusprechen, jeder findet in diesen Werken seine ureigene Situation wieder.""

    Mehr Besucher. In kürzester Zeit ist ein reges Gespräch im Gange. Alle sind sich einig: Goldsworthy ist ein Künstler, der die unterschiedlichsten Leute anspricht. Kunst muss keine einsame Erfahrung sein, sagt Jan: Es geschehe recht häufig, dass wildfremde Menschen vor einer Skulptur stehen und ganz unbritisch anfangen, sich auszutauschen:

    "Irgendwie schafft es Goldsworthy, die Besucher direkt zu berühren. Die Ausstellung hat eine ungeheure Resonanz. Wir hatten noch nie so viele Besucher."

    Ein besonderer Anziehungspunkt ist die Steinschatten-Schafshürde. Ein Gehege, das Goldsworthy für den lokalen Schäfer baute. Der benutzt es, wenn er Schafe scheren will. Gleichzeitig sieht es aus wie ein Ort für magische Rituale. In seinem Herzen eine mächtige Steinplatte, wo Besucher ihren Körperabdruck als Schattenbild hinterlassen können. Entweder, indem sie sich hinauflegen, kurz bevor es regnet. Oder nach einem Frost: Wenn ihre Körperwärme das Eis schmilzt. Golfsworthy betrachtet den ganzen Ort als Kunstwerk. Für ihn ist Kunst ein Ritual, ein Ausdruck der Vergänglichkeit. Eine Geduldsübung.. Und oft auch eine Meditation.

    In einer riesigen unterirdischen Gallerie hängt ein großer, unendlich zarter Vorhang aus Stengeln, der wie durch ein Wunder zusammengehalten wird und im Raum zu schweben scheint. Goldsworthy bat hunderte von Freiwilligen, Kastanienstengel zu sammeln, die er über einen langen Zeitraum hinweg mit Dornen zusammensteckte. Im Raum daneben ein dichtes dunkles spiralförmiges Gewölbe aus dicken Ästen gewoben und ohne künstliche Hilfsmittel zusammengehalten. Halb Nest, halb Kathedrale. Unendlich kühn und elegant. Ein Besucher:

    "Sowas macht mich total sprachlos. Ich möchte nur wissen, wie er das geschafft hat. Diese Struktur ist die reine Perfektion."

    Keine dieser Arbeiten kann transportiert oder aufbewahrt werden. Wenn die Ausstellung im kommenden Januar endet, gibt Goldsworthy seine Werke der Natur zurück. Die Äste wird er wahrscheinlich behalten, um etwas Neues zu gestalten.

    Der vielleicht inspirierendste Anblick in einer lauschigen Lichtung im Park. Dutzende von Jungs, die an ihren eigenen vergänglichen Werken basteln. Zelte aus Ästen und Zweigen, mit Blättern und Blüten verziert. Die Teenager sind mit Leib und Seele dabei, sind so intensiv, so freudig bei der Arbeit, dass man nie auf den Gedanken käme, es handelt sich um eine Klasse schwer erziehbarer Kinder aus einem Problemviertel von Bradford.

    "”Ich will am liebsten hier übernachten"",

    sagt ein Junge. Mit liebevoller Geduld zupft er Blätter, um das Wort "Willkommen" auszulegen.

    "”Niemand streitet, jeder verträgt sich"", sagt eine Lehrerin. Am liebsten würde sie auch mitbasteln. "Der Park ist für diese Jungs die beste Therapie. Normalerweise bin ich kein Kunstmensch, aber was hier hier so gesehen habe, ist einfach fantastisch."