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Ein Partner, kein Geberland

Mosambik, Angola, die Kapverden, Guinea Bissau und Sao Tomé - fünf Länder Afrikas sprechen die gleiche Sprache wie Brasilien, allesamt waren sie portugiesische Kolonien. 1996 haben sie sich zu einem lockeren Staatenbund zusammengeschlossen, 2002 stieß, nach der Unabhängigkeit von Indonesien, Ost-Timor dazu. Dass Brasiliens Präsident Lula gerade Mosambik und Angola als Ziel seiner ersten Afrikareise wählte, ist kein Zufall.

Von Dirk Asendorpf | 04.02.2006
    Karneval in Beira. Die Straßen dampfen, der Schweiß strömt, die Kostüme leuchten, der Rhythmus geht in die Hüften wenn die Band von Rosalita schwärmt. Doch irgendetwas stimmt hier nicht. Der Sänger, Jorge Mamadé, spricht zwar wie jeder Brasilianer Portugiesisch, wenn er singt, klingt das aber ziemlich afrikanisch.

    Die Sprache heißt Ndhau und wird auf den Straßen von Beira gesprochen. Der Karneval, der hier stattfindet, ist gar nicht brasilianisch. Beira ist die zweitgrößte Stadt von Mosambik, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie am Südostzipfel Afrikas. Jorge Mamadé erklärt, wie es zu dem Missverständnis kommen kann.

    " Als wir begannen zu singen, haben wir uns ein Vorbild an den Brasilianern genommen. Wir älteren Musiker spielen noch immer viel brasilianische Musik. Viele singen in diesem Stil. Irgendwie steckt immer noch sehr viel brasilianischer Einfluss in uns."

    Am Anfang war es umgekehrt. Mehrere Millionen Sklaven, die die europäischen Kolonialmächte zwischen 1550 und 1850 nach Amerika verschleppten, sorgten für einen starken afrikanischen Einfluss in der neuen Welt. Während die Sprachen schnell verloren gingen, sind schwarze Haut, afrikanische Religion und Musik bis heute in vielen Ländern Amerikas präsent - vor allem in den Südstaaten der USA, der Karibik und in Brasilien.

    Sehnsucht schwingt mit, wenn die Perkussionisten von Tupi Nagò aus dem brasilianischen Bundesstaat Bahía ihre Hymne auf Afrika anstimmen. Über Jahrhunderte hatte das größte Land Südamerikas seine afrikanischen Wurzeln nach Kräften verleugnet. Das änderte sich erst mit dem weltweiten Siegeszug brasilianischer Musik, der vor 50 Jahren mit dem Bossa Nova begann. Damals begann das Land zu erkennen, welcher Schatz in seinem afrikanischen Erbe steckt. Inzwischen hat Brasilien mit dem Musiker Gilberto Gil einen schwarzen Kulturminister - und mit Lula da Silva den ersten Präsidenten, der aus einer armen Arbeiterfamilie stammt. Kaum war er gewählt, reiste er nach Afrika.
    " Ich möchte mich aus vollem Herzen für die Zuneigung des ganzen mosambikanischen Volkes bedanken, dieser wunderbaren Menschen. Sie können sicher sein, dass Sie dort auf der anderen Seite des Atlantiks eine Regierung und ein Volk haben, das äußerst solidarisch mit Ihnen ist. Vielen Dank und alles Gute! "(Applaus)

    Mosambik, Angola, die Kapverden, Guinea Bissau und Sao Tomé - fünf Länder Afrikas sprechen die gleiche Sprache wie Brasilien, allesamt waren sie portugiesische Kolonien. 1996 haben sie sich zu einem lockeren Staatenbund zusammengeschlossen, 2002 stieß, nach der Unabhängigkeit von Indonesien, Ost-Timor dazu. Dass Brasiliens Präsident Lula gerade Mosambik und Angola als Ziel seiner ersten Afrikareise wählte, ist kein Zufall. Es sind die mit Abstand größten Mitglieder des Staatenbundes und wirtschaftlich sind sie längst eng mit Brasilien verbunden. Und bei den Verhandlungen um eine neue Weltwirtschaftsordung oder Brasiliens Ambitionen auf einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat haben sie gegenseitige Unterstützung verabredet.

    " Wenn es in der WTO oder auf anderer multilateraler Ebene um die globalen Trends geht, um die chronischen Subventionen in der europäischen und nordamerikanischen Landwirtschaft, dann stehen wir mit Brasilien zusammen. Wenn es um Zucker oder Baumwolle geht. Brasilien ist wirklich auf unserer Seite. Das ist eine Süd-Süd-Gemeinschaft würde ich sagen. Wir fühlen uns als Brüder. Wir teilen die gleiche Art der Kultur, wir sprechen die selbe Sprache und die Probleme, denen wir gegenüberstehen, sind fast die gleichen."

    Sergio Macamo ist als hoher Beamter im mosambikanischen Industrie- und Handelsministerium für die Wirtschaftsbeziehungen mit Brasilien zuständig. Gerne demonstriert er im Gespräch mit dem ausländischen Journalisten sein konferenzerfahrenes Englisch.

    " Jetzt sind wir gerade dabei, ein Freihandelsabkommen zu schaffen. Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen, um die Handelsbeziehungen zwischen Brasilien und Mosambik zu stärken. Besonders vielversprechend ist derzeit eine gewaltige Investition des Bergbauunternehmens Valle do Rio Doce aus Rio de Janeiro. Sie wollen sich bei der Ausbeutung unserer Kohlevorräte engagieren. Diese Kohlebergwerke waren durch den Bürgerkrieg, den wir hier hatten, über viele Jahre stillgelegt. Jetzt werden sie die ganze Region beleben. Die Brasilianer wollen nicht nur in die Kohleförderung investieren, sondern auch eine Rohstahlfabrik, ein Zementwerk und ein Kohlekraftwerk bauen. Ich finde, das ist eine wunderbare Kombination, denn es ist ein riesiger Konzern, der hier investieren will. Und er kommt aus einem Bruderland."

    Einen besonders sichtbaren Ausdruck soll die Verbindung im Aufbau einer Pharmafabrik für billige Aids-Medikamente finden. Über drei Millionen Mosambikaner sind mit dem HI-Virus infiziert, doch bisher haben erst einige tausend Zugang zu vorbeugenden Medikamenten. Dagegen hat Brasilien die Aids-Gefahr mit Aufklärung und medizinischer Versorgung recht gut in den Griff bekommen. Als wesentliches Element gehört dazu der Einsatz so genannter Generika, Nachahmer-Medikamente, die preisgünstig in Brasilien hergestellt werden. Bei seinem Staatsbesuch richtete Präsident Lula sich an die Belegschaft des Zentralkrankenhauses in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo:

    " Wir werden uns der Herausforderung gemeinsam stellen. (...) Die Fabrik soll ungefähr 23 Millionen Dollar kosten. Das ist ja keine absurde Summe, die unserer Länder nicht aufbringen könnten. Deshalb bin ich sehr optimistisch, und habe auch Ihrem Präsidenten gesagt, dass ich sehr sicher bin, dass in Kürze jemand aus Brasilien hierher kommen wird, um dabei zu helfen, diese Fabrik einzuweihen und mit der Produktion der Medikamente zu beginnen, die Mosambik so sehr braucht, die so viele Kinder, Frauen und Männer in diesem Land und auf dieser Welt benötigen. " (Applaus)

    Das war im November 2003. Doch der Ankündigung folgten keine Taten. Über zwei Jahre nach der Rede ist nichts passiert. Regierungsberater Macamo zeigt Verständnis dafür.

    " Sie bringen das Konzept und das Know-how. Aber um die Finanzierung müssen wir uns natürlich selber kümmern. Wir sind dafür verantwortlich, die nötigen Mittel für den Bau der Fabrik aufzutreiben. Brasilien zeigt uns nur, wie es geht. Brasilien ist ja kein Geberland. Es ist ein Partner. Brasilien hat Interesse, in unserem Land zu investieren, aber nicht im Sinne eines Gebers."

    Während die reichen Länder Europas und Nordamerikas 700 Millionen Dollar Entwicklungshilfe pro Jahr an Mosambik zahlen und mit Hunderten Entwicklungshelfern im Land präsent sind, beschränkt sich Brasilien auf Wirtschaftsbeziehungen zum gegenseitigen Vorteil. Unter dem Motto "Süd-Süd-Austausch" wird so etwas schon seit einigen Jahren auf den Konferenzen der blockfreien Länder als Alternative zur paternalistischen Hilfe aus dem Norden propagiert und vor allem von China in die Praxis umgesetzt. In den vergangenen fünf Jahren hat das rohstoffhungrige Riesenreich seine Importe aus Afrika verdreifacht - und dabei auch keine Scheu gezeigt, mit den despotischsten Regierungen des Kontinents ins Geschäft zu kommen. Auf gute Geschäfte ist auch Brasilien aus, gleichzeitig sieht der mosambikanische Regierungsberater Macamo in dem Bruderland aber auch ein gutes Vorbild.

    " Ihre Unternehmenskultur ist hoch entwickelt, auch im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen. Wir glauben, dass wir eine Menge von ihnen lernen können. Die Finanzierung kleiner und mittelständischer Betriebe, das adäquate Finanzsystem für diesen Wirtschaftssektor und andere Dinge mehr könnten ein Vorbild für uns sein. Und wir könnten von den Brasilianern lernen, wie man Fußball spielt."

    Im Alltag stößt der wachsende wirtschaftliche Einfluss des großen Bruders inzwischen nicht nur auf Gegenliebe. Zwar freuen sich die Konsumenten über eine Invasion billiger Tiefkühlhähnchen aus Brasilien. Doch die einheimischen Bauern klagen, dass sie bei der Aufzucht ihrer kräftigen, frei auf den Höfen herumlaufenden Hähnchen nicht mit den Dumpingpreisen der brasilianischen Massentierhaltung konkurrieren können.
    Nicht alle Brasilianer kommen als Geschäftsleute nach Mosambik. Zum Beispiel Plácio José Bohn. Mit nacktem Oberkörper steht der vollbärtige Mönch mit einem Besen auf dem Hof der Oberschule von Manga, einem Dorf im Zentrum Mosambiks. Nach einer kurzen Dusche erklärt er im kargen Lehrerzimmer, dass die körperliche Arbeit zum pädagogischen Konzept gehört, das die Mönche aus Brasilien mitgebracht haben.

    " Ob der brasilianische Einfluss sehr stark ist? Aber ja! Diese Schule wurde ja 1992 von unserer brasilianischen Bruderschaft gegründet. Und seitdem kommen alle Mönche aus Brasilien. Es ist also kein Wunder, dass es von Anfang an hieß, diese Schule, "Johannes der 23ste", hätte brasilianische Eigenschaften. Die mosambikanischen Lerninhalte wurden auf Grundlage brasilianischer Schulbücher entworfen. Zahlreiche Lehrer, die hier arbeiten, wurden von uns Mönchen ausgebildet. Selbst unsere Schuluniformen sehen so ähnlich aus wie in Brasilien. Alle mit Hemd und einer kleinen Krawatte. Oder die Mädchen in Rock und Bluse. Und wir Lehrer tragen ein buntes Hemd. Das macht einen ungezwungenen Eindruck und den Schülern gefällt das."

    Überall in Afrika haben Missionsschulen einen guten Ruf. Anders als in den staatlichen Einrichtungen gibt es hier genug Personal und Material für den Unterricht. Und es wird auf Disziplin geachtet. Das gilt in den von Europäern geführten Missionsschulen ebenso wie in Manga, wo Brasilianer den Ton angeben. Trotz der gefühlten Nähe zwischen den ehemaligen portugiesischen Kolonien, überwiegen die Unterschiede. Denn die Kultur, die die Mönche aus Brasilien mitbringen, ist nicht die der Favelas und des armen Nordostens, wo afrikanische Wurzeln dominieren. Brasilien gehört schließlich zu den zehn stärksten Industrienationen der Welt. Der wirtschaftlich hoch entwickelte Süden ist die Heimat von Plácio José Bohn und seinen Mitbrüdern.

    " Die Mehrheit von uns Brasilianern, die hier arbeiten, ist weiß. Und deshalb werden wir auch stark mit Weißen identifiziert, mit weißen Ausländern, Europäern oder Nordamerikanern. Wir kommen natürlich aus verschiedenen Kulturen. Bei uns gibt die Wirtschaft das Tempo an, hier ist es mehr das Leben. Wir haben eine Lebenserwartung von 70 bis 80 Jahren, hier liegt sie kaum bei 37 bis 39 Jahren. Wir schauen immer in die Zukunft, wollen Dinge ansammeln, etwas von unserem Gehalt sparen und für Notfälle und Zukunftsprojekte, für unsere Träume zurücklegen. Hier in Mosambik gibt es das noch nicht. Das Leben spielt sich im Heute ab. Wenn ich gerade einen Kasten Bier habe, dann trinken wir in jetzt aus. Wir trinken nicht zwei Flaschen heute, zwei morgen und die anderen noch später. Nein, nein. Alles sofort und Schluss."

    Unterscheidet sich Brasiliens Einfluss auf Afrika am Ende vielleicht gar nicht so sehr vom Europäisch-Nordamerikanischen?

    " Wenn wir nicht aufpassen, kann sich Brasilien durchaus zu einer neuen Kolonialmacht entwickeln. Denn Brasilien ist ja auch nach Portugal das Land, das am meisten in Mosambik investiert. Wie viele Bücher kommen aus Brasilien - schon wegen der Sprache. Wie viele Platten, wie viele Fernsehprogramme. Die Serien stammen alle aus Brasilien. Und Radio Miramar ist praktisch zu 100 Prozent brasilianisch."

    Radio Miramar strahlt sein Hörfunk- und Fernsehprogramm im gesamten portugiesischsprachigen Afrika aus - brasilianische Musik und bunte Shows im lockeren Wechsel mit Nachrichten und der Liveübertragung von Massengottesdiensten. Der Sender gehört der brasilianischen Pfingstkirche Assamblea de Deus. Und die ist mit ihrem missionarischen Eifer nicht nur in Brasilien, sondern auch in Mosambik auf dem besten Weg, die traditionelle katholische Kirche zu verdrängen.

    " Ich glaube auch, dass der Einfluss dieser Pfingstkirche hier zum Teil sehr negativ ausfällt. Es gibt diese hohe Erwartung, dass nicht der Staat, also nicht die Politiker verantwortlich gemacht werden sollen für die Situation, für die Lage, sondern einfach diese außerirdischen Faktoren, die beeinflusst werden können durch Beten. Und diese Kirche ist sehr stark, sie ist wirtschaftlich stark, und deshalb hat sie einen großen Einfluss auf viele Menschen hier."

    Ähnlich scharf kritisiert Elisio Macamo, ein mosambikanischer Soziologe, der auch an der Universität Bayreuth lehrt, die Herz-und-Schmerz-Serien im staatlichen Fernsehen seines Heimatlandes. Wie die Programme der Pfingstkirche stammen auch die so genannten Telenovelas ausschließlich aus Brasilien.

    " Ich sehe diese brasilianischen Soap Operas mit großem Misstrauen, weil das schon eine Art von Kolonisierung ist. Wir sind in einer Situation, wo wir noch nicht wissen, welches Portugiesisch wir sprechen sollten. Vielleicht entwickelt sich hier ein mosambikanisches Portugiesisch, und das wird dann im Keim erstickt durch den Einfluss Brasiliens. Wir suchen nach Werten, wir suchen nach Normen und wir werden jetzt bombardiert von Dingen, die von jungen Menschen als Ideal gesehen werden, die aber nicht unbedingt gut für uns sind. Das ist eben die Kehrseite der Beziehungen mit Brasilien."

    Ist Brasilien also dabei, seine afrikanischen Bruderländer mit einem neuen Kulturimperialismus zu überziehen? Alice Aguiare Fontes weist den Verdacht weit von sich. Sie ist die Leiterin des brasilianischen Kulturinstituts, das sich über eine herrschaftliche Villa in der Altstadt von Maputo ausbreitet.

    " Es handelt sich bei den viel diskutierten Telenovelas doch um Fiktion, um ein Programm für die Freizeit. Im brasilianischen Volk sind Telenovelas äußerst beliebt. Und hier geschieht jetzt das Gleiche. Den Leuten gefällt es, Seifenopern zu gucken, sie haben Spaß daran. Telenovelas verfolgen ja kein pädagogisches Ziel, es geht dabei um ein Freizeitvergnügen."

    Zurück nach Beira. Sieben Musiker drängen sich um das Mischpult im Tonstudio der Casa da Cultura, dem Künstlertreffpunkt der zweitgrößten Stadt Mosambiks. Gerade haben sie einen Titel eingespielt, mit dem ihre Band Djaaka nun auch außerhalb des Landes bekannt werden soll. Nicht Europa oder die USA haben die Musiker dafür im Auge, sondern Brasilien. Neben einigen Konzerten stehen auch Workshops auf dem Programm, in denen die mosambikanischen Musiker brasilianischen Kollegen die Rhythmen ihrer Heimat zeigen wollen.

    Vielleicht ist der Optimismus die größte Gemeinsamkeit, die Brasilien und Afrika heute verbindet. Während viele reiche Industriestaaten unter Krisenstimmung und Zukunftsangst leiden, glauben die Menschen im Süden an ein besseres Leben. Kulturell sind sich die ehemaligen portugiesischen Kolonien sehr nah. Auch ohne Jugendaustauschprogramme und Tourismus ist der trennende Südatlantik kein Hindernis für das Gefühl, zur gleichen Familie zu gehören. Dass ihre Wurzeln in Afrika lagen und die amerikanischen Triebe sich erst spät dafür interessierten, spielt heute kaum noch eine Rolle. Wie in jeder Familie üben die Eltern Einfluss auf ihre Kinder aus, mindestens genau so sehr aber auch die Kinder auf die Eltern.