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"Ein politisch ausgesprochen unangenehmes Klima" in Ägypten

Ägypten trete gesellschaftlich und wirtschaftlich auf der Stelle, sagt der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo, Ronald Meinardus. Daraus entstünden die Frustration und das große Gewaltpotenzial, das sich jetzt erneut in Krawallen entlade.

Ronald Meinardus im Gespräch mit Silvia Engels | 26.01.2013
    Silvia Engels: Gestern begingen die Ägypter den zweiten Jahrestag ihrer Revolution. Sie erinnerten an den Tag, an dem Zehntausende ihren Unmut über soziale Ungerechtigkeit, fehlende Demokratie und den Machthaber Mubarak auf die Straße trugen. Mubarak trat schließlich zurück, doch das Land hat seitdem den Weg zu Demokratie und innerem Frieden noch nicht gefunden. Die Nacht war erneut von gewaltsamen Protesten gegen die jetzige Führung geprägt, und seit dem Vormittag erhitzt ein Urteil im Zusammenhang mit einem Massaker im Fußballstadion von Port Said vor knapp einem Jahr mit über 70 Toten die Gemüter erneut. Mittlerweile melden Nachrichtenagenturen, dass bei den erneuten Unruhen in Port Said mindestens acht Menschen ums Leben gekommen seien.

    Am Telefon ist nun Ronald Meinardus, er leitet das Regionalbüro Ägypten der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Guten Tag, Herr Meinardus!

    Ronald Meinardus: Schönen guten Tag, Frau Engels!

    Engels: Beginnen wir zunächst mit dem Blick auf das Urteil, das ja derzeit in Port Said offenbar zu erneuten Unruhen und Toten führt. Es geht um 64 Todesopfer nach einem Fußballspiel in Port Said im vergangenen Februar. Im Stadion starben damals Anhänger des Kairoer Klubs El Ahly, sie galten damals als Oppositionsanhänger, als Mubarak-Gegner. Und deshalb standen Polizisten und Mubarak-Anhänger direkt im Verdacht, das Massaker gezielt geplant und ausgeführt zu haben. Heute die Todesurteile, ist das ein unabhängig zustande gekommenes Urteil?

    Meinardus: Ja, das ist die große Frage. Und das ist auch sicherlich ein Grund für die Spannung und die extreme Polarisierung. Das ist eine Polarisierung, die sich jetzt auch deutlich macht zwischen Kairo einerseits und der Provinzstadt Port Said. Es gibt eine aktuelle Umfrage von einem Institut, was sind die Prioritäten der Menschen in Ägypten, und dort wird Gerechtigkeit, ein gerechtes Rechtssystem als erste Priorität genannt. Und viele Menschen sagen, das ist kein gerechtes Urteil, wenn wir sehen, dass die Schergen von Mubarak und Mubarak selber nur eine lebenslange Strafe gekriegt hat für die vielen Untaten, für die er verantwortlich ist, und nun diese Fußballfans zu Tode verurteilt worden sind. Denn insgesamt waren über 60 Menschen angeklagt, und die jetzt zum Tode verurteilt worden sind, das sind die kleinen Fische, kann man gewissermaßen sagen. Die Menschen, die dahinter vermutet werden - und das ist alles eine Vermutung -, werden jetzt im März erst beurteilt, und da gibt es noch einigen Unmut.

    Engels: Port Said, Sie haben es angesprochen, liegt nördlich von Kairo, direkt an der Mittelmeerküste. Ist das eine Region, in der bis heute Unterstützer des alten Regimes den Ton angeben, oder macht sich die von Ihnen beschriebene Unruhe und die Unzufriedenheit mit dem Rechtssystem dort breit?

    Meinardus: Nein, zu sagen, dass dort Anhänger des alten Regimes sich zurückgezogen haben, ist, glaube ich, eine falsche Darstellung. Insgesamt stellen wir fest in den letzten Tagen, letzten Stunden, muss man sagen, dass sich die Gewalt gewissermaßen dezentralisiert. Während es hier in Kairo gestern auf dem Tahrir-Platz, im Umfeld des Tahrir-Platzes gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben hat, sind die wirklich schlimmen Auseinandersetzungen, die tödliche Eskalation, gemeldet worden aus Suez und aus Port Said jetzt heute Morgen. Und insofern deutet sich doch an, dass dort die sogenannten Sicherheitskräfte - man muss wirklich von sogenannten Sicherheitskräften sagen - dort nicht so kontrolliert vorgegangen sind wie hier in Kairo. Hier in Kairo hat es auch schlimme, schlimme Auseinandersetzungen gegeben, aber die Polizei, die Sicherheitskräfte haben nicht scharf geschossen. Und das war eben in diesen anderen Städten anders. Und daher also dieser Blutzoll.

    Engels: Wie würden Sie generell die Lage in Suez beschreiben? Wenn Sie sagen, der Konflikt regionalisiert sich, was ist da in Zukunft zu erwarten?

    Meinardus: Ja, Suez hat insofern eine ganz große historische Bedeutung auch für die Ägypter, denn hier begann vor ziemlich genau zwei Jahren die ägyptische Revolution. Auch in Suez wurden die ersten Todesopfer beklagt. Und insofern ist das gewissermaßen ein Déjà-vu, eine Wiederkehr zu den Wurzeln und gewissermaßen kehrt sich hier auch die Situation wieder zu ihrem Anfang. Viele Menschen wollen nicht verstehen, dass zwei Jahre vergangen sind, dass viele Menschen ihr Leben gelassen haben und Ägypten gewissermaßen gesellschaftlich und wirtschaftlich auf der Stelle tritt. Und daher die große Frustration, daher auch das Gewaltpotenzial.

    Engels: Wie würden Sie die Situation generell einordnen, wie wirken diese Unruhen auf den ja seit Monaten schwelenden Konflikt zwischen Präsident Mursi und seinen Gegnern?

    Meinardus: Das ist eine extreme Polarisierung. Diese Polarisierung hat sich zum ersten Mal deutlich gezeigt im vergangenen Herbst im Zusammenhang mit der Diskussion um die neue ägyptische Verfassung. Und die Polarisierung hat zugenommen. Die Opposition, die dort im Verfassungsreferendum ja durchaus gezeigt hat, dass sie viele Menschen mobilisieren kann, ist nicht bereit zu einem Kompromiss, ist nicht bereit zu einem Dialog mit der Regierung. Sie hat gestern Abend hier in Kairo bekannt gegeben, dass sie den Rücktritt der Regierung verlangt, dass sie die Verfassung ausgesetzt sehen will. Sie verlangen nicht den Rücktritt von Mursi, sie sind aber gleichzeitig auch nicht bereit, mit Mursi jetzt sich an einen Tisch zu setzen. Insofern ist das ein politisch ausgesprochen unangenehmes Klima hier. Es gibt keine Perspektive, dass es hier zu einem wie auch immer gearteten politischen Kompromiss kommt. Die Regierung wird in den nächsten Wochen einen neuen Wahltermin für die Parlamentswahlen ankündigen. In der Opposition wird darüber diskutiert, ob man diese Wahl nicht gar boykottiert. Insofern ist die politische Handlungsebene gewissermaßen gelähmt.

    Engels: Sie sprechen von einem sehr politisch unangenehmen Klima, Herr Meinardus. Sie leiten ja nun das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung und die deutschen Stiftungen hatten ja seit Beginn der Revolution streckenweise große Schwierigkeiten mit den ägyptischen Behörden. In Erinnerung ist die Klage gegen die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Wie können Sie denn generell derzeit arbeiten mit Ihrer Stiftung?

    Meinardus: Ja, vielleicht zu Ihrer Information: Der Prozess gegen die Kollegen von der Adenauer-Stiftung läuft noch und der wurde vertagt. Das Urteil wurde vertagt auf Anfang März, auch das eine Situation, die für die Kollegen sehr unangenehm ist. Wir hatten im vergangenen Jahr auch das eine oder andere Problem. Nun hat sich das für uns ein bisschen entspannt dadurch, dass ich als Leiter dieses Büros vor wenigen Wochen ein staatliches Abkommen, gewissermaßen ein Abkommen mit einer staatlichen Agentur, dem hiesigen Jugendministerium, unterschrieben habe. Und der Minister dort ist ein führendes Mitglied der Muslimbruderschaft. Und das deutet auf eine gewisse Entspannung auch gegenüber den ausländischen Institutionen, auch gegenüber den deutschen Stiftungen. In diesem Kontext muss man sagen, dass der ägyptische Staatspräsident Herr Mohammed Mursi in der nächsten Woche nach Berlin fährt und dort auch ein Gespräch mit der Kanzlerin führen wird. Und man muss auch sagen, dass das Thema der politischen Stiftungen für die deutsche Bundesregierung immer ein wichtiges Thema war und es im Vorfeld dieses Besuches doch gezielte Bemühungen gegeben hat unserer Regierung, hier zu einem wie auch immer gearteten Modus Vivendi zu kommen. Und ich bin optimistisch, dass sich diese Gespräche, die nicht in der Öffentlichkeit geführt wurden, jetzt im Kontext auch mit dem hochrangigen Besuch des ägyptischen Präsidenten zu einem guten Ergebnis für die Stiftung insgesamt führen werden.

    Engels: Ronald Meinardus, er leitet das Regionalbüro Ägypten der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag!

    Meinardus: Wiedersehen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.