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Ein Revolutionär kehrt zurück

Wie Phönix aus der Asche ist Daniel Ortega, Nicaraguas sandinistischer Ex-Präsident, zum aussichtsreichen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen am 5. November aufgestiegen. Von den eigenen Weggefährten der sandinistischen Vergangenheit wird er misstrauisch beäugt.

Von Wolf-Dieter Vogel | 28.10.2006
    Auf den ersten Blick scheint die Welt in Las Torres ganz in Ordnung: Saftig grüne Bananenstauden umzäunen kleine Gärten, Kinder lachen und spielen Fußball. Doch nur wenige Meter abseits der befestigten Straße zeigt das Armenviertel im Norden von Nicaraguas Hauptstadt Managua ein anderes Gesicht: Stinkende Abwasser-Rinnsale fließen über die ungeteerten Wege, unter dem Vordach einer Wellblechhütte kauern Jugendliche. Mit leicht abwesendem Blick begutachen sie jeden, der vorbeigeht. "Drogen bestimmen hier den Alltag” sagt Vicenta Membreno.

    "Früher garantierte der Staat das Notwendigste: Arbeit, Ernährung, Gesundheitsversorgung, Bildung. Bist du heute krank, musst du selbst schauen, wo du bleibst, Beschäftigung und festen Lohn gibt es kaum noch."

    Ihr halbes Leben lang arbeitet die 48-jährige Sozialarbeiterin schon in Las Torres. Anfang der 80er Jahre baute sie die Schule auf, in der bis heute Kinder aus dem Viertel eine Grundausbildung bekommen. Es war die Zeit, in der die Sandinistische Befreiungsbewegung FSLN regierte. Heute wird das Projekt durch internationale Hilfsgelder finanziert. Für Sozialmaßnahmen bleibt kaum Geld, seit die Revolutionäre 1990 von den Liberalen an der Macht abgelöst wurden.

    "Das Gesundheits- und das Bildungssystem wurden privatisiert. Von 75 Projekten aus sandinistischen Zeiten für Kinder von Kleinbäuerinnen existierte nach fünf Monaten keines mehr. Dasselbe gilt für 132 Einrichtungen für Arbeiterkinder."

    Wenige Meter von der Schule entfernt lebt Pablo Gomez: drei dunkle Zimmer, Erdboden, ein Blechdach, das den tropischen Regengüssen kaum standhält. Mit Nachbarn kämpft er gegen Missstände in Las Torres: für Abwasserleitungen, asphaltierte Straßen, Trinkwasser. Geholfen haben ihm die Sandinisten.

    "Von den Parteien war es immer die FSLN, die sich für eine bessere wirtschaftliche Situation aller Nicaraguaner eingesetzt hat."

    "Schluss mit Analphabetismus, Hunger und Arbeitslosigkeit!” An jeder Straßenecke verspricht die FSLN auf großen Plakaten derzeit einen Wandel im Land. Der soll mit den Präsidentschaftswahlen vom 5. November eingeleitet werden. Ihr Kandidat: Daniel Ortega. Bereits bei den letzten drei Wahlen war der ehemalige Guerillero angetreten, unterlag aber immer. Nun liegt er knapp vor seinem Konkurrenten. Aufwändige Veranstaltungen sollen den Sieg sichern.

    Beispielsweise am 19. Juli, dem Jahrestag der sandinistischen Revolution von 1979: Vor seinen Anhängern spricht Ortega über die vier Millionen Armen Nicaraguas, über die zerrissenen Familien, deren Söhne auf Arbeitssuche in die USA auswandern mussten, über die "Gefahren des wilden Kapitalismus".

    Die Kirche, die Unternehmer, die Liberalen – Ortega lässt keinen der alten Gegner aus. Mit allen habe man Frieden geschlossen, gemeinsam werde man Nicaragua voranbringen. Vom konservativen Kardinal Miguel Obando y Bravo ließ er sich publikumswirksam trauen, und selbst für die USA hat er beschwichtigende Worte übrig. Das hat seinen Grund: Niemand hat den Bürgerkrieg der 80er Jahre vergessen. 30.000 Menschen starben damals im Krieg mit den Contra-Banden, mit denen die US-Regierung die Sandinisten in die Knie zwingen wollte.

    Viele denken deshalb wie der Polizist Juan Cabrera:

    "Wir wollen Daniel Ortega nicht. Hier in Nicaragua haben wir genug gelitten, das viele Blut, die verlorenen Söhne. Wir wollen Frieden."

    Auch viele alte Kämpfer haben sich von der FSLN verabschiedet, etwa Carlos Mejia Godoy. Noch heute spielt der wohl bekannteste Musiker des Landes in Managuas Konzertsälen die alten Revolutionslieder. Seinem ehemaligen Gefährten Ortega wirft er vor, ein autoritärer Caudillo und Populist zu sein.

    "Ortega hat dafür gesorgt, dass nur er als Präsidentschaftsanwärter aufgestellt wird. Er hat innerhalb der Partei keine demokratische Wahl zugelassen."

    Mejia kandidiert als Vizepräsidentschaftskandidat für die Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus, der MRS. Die Partei liegt jedoch deutliche zehn Prozent hinter der FSLN. Die Dissidenten kritisieren, dass Ortega ein Bündnis mit dem liberalen Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán eingegangen ist. Alemán wurde wegen Korruption zu 20 Jahren Haft verurteilt. Dank der Allianz mit Ortega befindet er sich praktisch auf freiem Fuß. Schwere Vorwürfe erheben auch Feministinnen, weil Ortega sich gegen Abtreibung stark macht. Zudem soll er seine Stieftochter mehrmals sexuell misshandelt haben. Ex-Guerillera Monica Baltodano:

    "Er ist nie den juristischen Weg gegangen, um seine Unschuld zu beweisen. Erst hat er sich auf die parlamentarische Immunität zurückgezogen, später war das Delikt verjährt. Nach diesem ungeklärten Vorwurf hätte er nie wieder kandidieren dürfen."

    Ortswechsel. Eine knappe Autostunde von Managua entfernt liegt die Kleinstadt Masaya. Vor 24 Jahren entstand hier mit Hilfe deutscher Solidaritätsaktivisten die Möbelkooperative Tonio Pflaum. Heute arbeiten 28 Menschen in dem Betrieb. Rafael López ist seit der ersten Stunde dabei.

    "Mein Vater starb im Krieg gegen die Contras für ein Ideal, und auch ich bin immer Sandinist gewesen. Ich werde wohl auch jetzt sandinistisch wählen."

    Dennoch traut er den Genossen nicht. Kleinunternehmen wie die Kooperative zählen zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Landes. Dringend brauche es beispielsweise Mikrokredite, sagt López.

    "Jetzt im Wahlkampf versprechen alle Parteien, dass sie Kleinbetrieben helfen werden, auch die Sandinisten, aber dann bedienen sie sich doch alle nur am Eigentum des Volkes und des Landes."

    Mit seiner Skepsis steht López nicht allein. Nur die wenigsten verlassen sich auf die alten Revolutionäre. Korruption, Selbstherrlichkeit und Caudillismus haben ihren guten Ruf längst zerstört. Nun liege es an der FSLN, das Gegenteil zu beweisen, meint Sozialarbeiterin Membreno:

    "Wenn die FSLN gewinnt, dann nur, weil ihr die Bevölkerung eine letzte Chance gibt, offene Rechungen zu begleichen."