Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Ein Rundgang durch die Weltliteratur

Wer 1953 erstmals "Die Paris Review" kaufte, ahnte wohl kaum, dass er damals den Beginn eines gewaltigen Gedächtnisses der Weltliteratur in Händen hielt. Eine feine Auswahl von zwölf Interviews mit berühmten Autoren wie Vladimir Nabokov, Heinrich Böll oder Orhan Pamuk ist nun auch in deutscher Übersetzung erhältlich.

Von Michael Schmitt | 26.08.2011
    "An outlet and a safe place for writers by writers" – das ist 1953 die Utopie einiger junger Amerikaner in Paris, darunter Peter Matthiessen, Harold L. Humes und William Styron, als sie die Literaturzeitschrift "Paris Review" gründen. Es dauert mehr als vier Jahrzehnte, bis sich die gewünschte finanzielle Sicherheit einstellt - nämlich erst nach dem Verkauf des Archivs, der dazu dient, eine Stiftung zu gründen. Aber dieses Archiv ist dann tatsächlich Gold wert, denn die Zeitschrift reüssiert ziemlich schnell, auch wenn anfangs nur selten die angekündigten vier Hefte pro Jahr erscheinen können.

    Kurzgeschichten, Gedichte und Auszüge aus längeren Texten, dazu Interviews mit berühmten Kollegen – das ist die Mischung; und mehr als fünfzig Jahre später dokumentieren beispielsweise die Website und viele Sammelbände, was für ein gewaltiges Gedächtnis der Literatur dabei nach und nach gewachsen ist. In einer kleinen feinen Auswahl von zwölf Kostproben, langen Interviews mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, lässt sich das mittlerweile auch in deutscher Übersetzung nachlesen. Alexandra und Judith Steffes und Henning Hoff haben diese Arbeit auf sich genommen und sie bei Edition Weltkiosk unter dem Titel "Die Paris Review Interviews – 01" veröffentlicht: Einen kleinen subjektiven Gang durch die Weltliteratur des 20. Jahrhunderts, gefiltert durch persönliche Erinnerungen, durch Vorlieben und durch Animositäten.

    Das beginnt mit einem Gespräch mit Dorothy Parker aus dem Jahr 1956 und reicht bis zu einem Interview mit David Grossman von 2007. Francoise Sagan, Heinrich Böll oder Orhan Pamuk stehen neben Amerikanern wie Kurt Vonnegut oder Truman Capote, neben Vladimir Nabokov oder Joan Didion. Jedes Gespräch für sich bildet eine geschlossene Einheit, an der lange gefeilt worden ist; durch Querverweise untereinander, durch Bezüge auf Vorgängerinnen und Vorgänger aber vernetzen sich die zwölf Interviews dann jedoch zu einem Zusammenhang von einiger Geschlossenheit.

    Behutsamkeit im Umgang mit dem geschriebenen Wort, genauso wie im Umgang mit den Schriftstellern macht den gemeinsamen Nenner dieser Gespräche aus. Sie verdankt sich wohl vor allem der oft scheint’s unendlichen Geduld, die bei der Entstehung geübt worden ist. Sie wachsen sozusagen schrittweise in mehreren Sitzungen, zwischen denen oft Jahre liegen können; sie werden überarbeitet und gegengelesen und zuletzt durch den Rotstift des Interviewten in ihre endgültige Form gebracht. Sie verdanken sich nicht dem kritischen Zugriff auf ein Buch, sondern fragen nach dem individuellen Leben mit der Sprache, also danach, wie ein einzelner Mensch ein Werk aus sich hervortreibt. Gegenüber dem Rezensionsteil eines Feuilletons, wie man es in deutschsprachigen überregionalen Zeitungen kennt, macht das einen Unterschied ums Ganze. Die "Paris Review" verweigert sich der Theorie und weitgehend auch der Kritik; ihren wesentlichen Impuls erhält sie von Schriftstellern, die am Anfang ihrer erhofften Karriere stehen und anderen Schriftstellern in ähnlicher Lage ein Forum bieten wollen.

    Glückliche Zufälle, etwa ein Interview mit E. M. Forster im ersten Heft, helfen dabei mit, Dispute und Selbstausbeutung gehören zu ihrer Geschichte genauso wie die Rivalität mit anderen Literatengruppen im Paris der Fünfziger Jahre, die ebenfalls Literaturzeitungen für Amerikaner machen wollen. Später dann, ab Mitte der Sechziger Jahre müssen spektakuläre Fundraising-Partys in Manhattan das Geld für den Fortbestand der Zeitschrift sichern – und das gelingt, weil vor allem George Plimpton als über Jahrzehnte verantwortlicher Redakteur mit den besten Kreisen von Manhattan auf Augenhöhe verkehrt. Aber es verstummen auch nie die Gerüchte, der CIA habe durch Peter Matthiessen die Gründung unterstützt, um die jungen Amerikaner im Nachkriegs-Paris beobachten zu können. Dazu hat Matthiessen später einmal erklärt, er habe zwar zwischen 1951 und 1953 für den CIA gearbeitet, jedoch vor allem, um in Paris leben zu können – mit der "Paris Review" habe das nichts zu tun gehabt.

    Der Geschichte der Zeitschrift ist wenig fremd, was im literarischen Gewerbe bis heute immer wieder ausprobiert oder durchlitten wird. Ein winziges Büro im kleinen Pariser Verlag "La table ronde" beherbergt anfangs die Redaktion, obwohl die "Paris Review" im Wesentlichen von Harvard-Jungs betrieben wird, die aus besten weißen Ostküsten-Familien stammen. Man muss es sich leisten können, für die Zeitschrift zu arbeiten – das gilt damals für die "Paris Review" so, wie es heute für viele andere vergleichbare Medien gilt. Der Lohn dafür ist bei der "Paris Review" lange Zeit vor allem die intensive Initiation in ein Biotop gewesen, in dem sich nicht nur Dichterinnen und Dichter, Lektoren und Verleger tummeln, sondern auch die High Society.

    Man darf sich als Teil einer langen Traditionslinie fühlen, die deutlich in die zwanziger Jahre zurückerweist, als Ernest Hemingway, die Fitzgeralds oder Gertrude Stein in Paris an ihren Karrieren arbeiteten oder ihren Ruhm auskosteten. Und es bildet sich Tradition, weil manche dieser Vorgänger, wie etwa Hemingway oder Dorothy Parker dann auch in der "Paris Review" zu Wort kommen. Hemingway darf noch einmal seine robuste Auffassung vom Handwerk des Schreibens darlegen; und Dorothy Parker erzählt pointiert, wie man es von ihr kennt, von den vielen miesen Lohnschreibereien, mit denen sie anfangs als junge Frau ihren Lebensunterhalt hat verdienen müssen. Findigkeit der Einzelnen genauso wie Fortune des ganzen Projekts – das macht die Geschichte dieser Zeitschrift aus, die immer schick und edel gewesen ist. "An outlet and a safe place for writers by writers" mag sich trotzdem oft wie ein schlechter Witz angefühlt haben – das gehört dazu --, auf lange Sicht hat es sich bewährt.

    Besprochen von Michael Schmitt.

    Die Paris Review Interviews 01,
    Herausgegeben und übersetzt von Alexandra und Judith Steffes und Henning Hoff, Edition Weltkiosk im C.W. Leske Verlag, London/ Berlin 2011, 352 Seiten.