Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Ein schlimmes Unrechtssystem!"

Der Mauerbau und das Unrecht der SED-Diktatur dürften auch bei der jungen Generation nicht in Vergessenheit geraten, fordert Staatsminister Bernd Neumann (CDU). Andernfalls seien junge Leute besonders in Krisenzeiten anfällig gegen "Rattenfänger von links und rechts".

Bernd Neumann im Gespräch mit Jürgen König | 21.08.2011
    König: Herr Staatsminister, lassen Sie uns zu Beginn noch einmal auf die Gedenkfeierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Mauerbaus eingehen. In Ihrer Rede am 13. August in der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße sagten Sie gleich zu Beginn, es mache Sie "traurig und wütend zugleich, dass heute immer noch Menschen, auch mit politischer Verantwortung, das System der DDR verharmlosen". Und dann fügten Sie hinzu: "Ohne Zweifel war sie ein Unrechtsstaat, der die fundamentalen Bürgerrechte verweigerte, Andersdenkende bespitzelte, verfolgte, inhaftierte". Damit bezogen Sie sich auch auf Äußerungen aus der Linkspartei, wonach der Mauerbau vor allem eine Folge des deutschen Überfalls auf Russland gewesen sei, Gesine Lötzsch, die Parteivorsitzende, hatte sich so geäußert. Aber es gibt ja auch andere und gar nicht so wenige, die den Mauerbau heute immer noch vor allem als friedenssichernde Maßnahme sehen, denen der Begriff vom "Unrechtsstaat DDR" so partout nicht über die Lippen kommen will. Wie kann das sein? Dass trotz historischer und belegter Erkenntnisse, trotz so vieler Bücher, Ausstellungen, Lesungen, Gedenkveranstaltungen es immer noch nicht gelingt, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen in der Bewertung der DDR, die es doch nun seit 21 Jahren schon nicht mehr gibt?

    Neumann: Zum einen gibt es ja, was die Mehrheit in der Bundesrepublik angeht, doch einen Konsens über die Mauer, ihre Bedeutung, das Scheitern der DDR, das Unrecht. Auf der anderen Seite haben wir ja auch bemerkenswerte Erfolge der Linkspartei in Deutschland, insbesondere in den neuen Bundesländern. Und da hat sich eben ein Rest von ehemaligen Funktionsträgern der SED, von Enttäuschten angesammelt, die zum einen sich nostalgisch an die DDR erinnern, und zum anderen dann, wenn die DDR als Gefängnis in Verbindung mit der Mauer gebrandmarkt wird, den natürlichen Reflex der Abwehr zeigen. Ich meinte bei meiner Kritik im Übrigen nicht nur die Vertreter der Linkspartei – da gibt es ja auch Differenzierungen, muss man sagen –, sondern ich finde es unmöglich, dass beispielsweise der mecklenburgische Ministerpräsident den Begriff "Unrechtssystem" infrage stellt, ihn ablehnt. Da fehlt mir jegliches Verständnis.

    König: Ja gut, er hat schon gesagt, es sei dort großes Unrecht geschehen, aber man müsse da auch andere Dinge noch berücksichtigen.

    Neumann: Also ich weiß nicht, was dann ein Unrechtssystem sein soll, da ist doch alles, was die Grundrechte angeht, außer Kraft gesetzt gewesen: Keine unabhängige Justiz, keine Pressefreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine Reisefreiheit – die Leute wurden eingesperrt, sie wurden bespitzelt. Ein schlimmes Unrechtssystem! Der Hintergrund ist klar: Wenn man dann mit Vertretern der Linkspartei – früher PDS – koaliert hat, wenn man das auch für die Zukunft nicht ausschließt, dann ist das natürlich eine Beruhigungspille dieser Gruppierungen. Ich habe bloß kein Verständnis dafür. Erfreulich ist, dass eben doch die große Mehrheit der Bevölkerung die Mauer als das sieht, was sie war: Ein schreckliches Monstrum, ein politischer und auch moralischer Offenbarungseid der DDR; das war der Beginn ihres Endes, leider hat dieses Ende 28 Jahre lang gedauert. Und wichtig ist eben, dass dies nicht vergessen wird, und wichtig ist, dass dies der jungen Generation vermittelt wird. Und das ist ja auch der Grund, weswegen der Bund sich an vielen Stellen, die authentischen Charakter haben im Hinblick auf die Repression und Unterdrückung durch den SED-Staat, beteiligt, zum Beispiel...

    König: Aber in den Schulen ist es immer noch ein Randthema...

    Neumann: Ja, ich hab das ja auch anlässlich dieser Festveranstaltung gesagt. Die besondere Aufgabe der Aufklärung, der Information über die zweite Diktatur in Deutschland, über die SED-Diktatur und ihre Folgen, diese Aufgabe der Aufklärung kommt den Schulen zu. Und wenn wir da die jüngsten Umfragen nehmen und feststellen, dass sich Unkenntnis ausbreitet, muss man sagen, dass die Schulen und die Länder in diesem wichtigen Auftrag – ja, man muss es hart ausdrücken: versagt haben. Und dass ich erwarte, dass das geändert wird. Der Bund kann diese generelle Aufgabe nicht wahrnehmen, der Bund kann sie flankieren. Und deswegen der erneute Appell: Dies ernst zu nehmen, warum ist das so wichtig? Es ist deshalb so wichtig, weil – wenn keine Aufklärung erfolgt, wenn das Wissen um Diktatur und ihre Folgen nicht präsent ist bei den jungen Leuten, sie anfällig sind, insbesondere in Krisenzeiten, gegen Rattenfänger von links und rechts.

    König: Nicht nur erinnern, sondern ausdrücklich aufklären will Roland Jahn, der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, die zu Ihrem Amtsbereich gehört. Beim Festakt seiner Amtseinführung, da sagte er gleich als allerersten Satz: Die Beschäftigung von früheren Stasi-Mitarbeitern in der Behörde sei unerträglich, sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Vielleicht noch mal kurz zur Erinnerung: In der Stasi-Unterlagen-Behörde arbeiten heute noch 47 ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des früheren Ministeriums der Staatssicherheit. Sie waren nach dem Mauerfall vom damaligen Bundesinnenministerium übernommen worden, kamen dann in die Stasi-Unterlagen-Behörde, man wusste also von Anfang an von ihren Stasi-Tätigkeiten, daher gelten sie als nicht mehr kündbar. Und genau auf diesen arbeitsrechtlichen Aspekt hatten Sie vor Roland Jahns Antrittsrede hingewiesen. Diese Rede muss Sie dann schon überrascht haben, um es vorsichtig zu formulieren...

    Neumann: Ja, überrascht – ja, und insbesondere auch das Engagement und den Mut, den der Roland Jahn damit dokumentiert hat. Ich habe als zuständiger Minister – oder obwohl zuständig als Minister – ja erst zwei Jahre nach Beginn meiner Amtszeit über diesen Sachverhalt erfahren. Das hat mich vom Stuhl gehauen, ich fand das völlig unmöglich, war entsetzt...

    König: Also Sie teilen den moralischen Rigorismus von Roland Jahn...?

    Neumann: ...ich war entsetzt, das kann doch nicht wahr sein. Und dann habe ich mich sofort zusammengesetzt mit der damaligen Chefin Marianne Birthler, die ebenfalls dies überhaupt nicht teilte, die mir zu Recht sagte: "Ich hätte die nie eingestellt – ich habe die nicht eingestellt, es ist ein großes Problem, die sind jetzt nun schon zehn, fünfzehn Jahre oder länger hier beschäftigt, sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen, die kriegt man nicht raus". Dann haben wir vereinbart: Okay, wenn es schwierig ist, die rauszukriegen und sie woanders hinzubekommen, dann werden wir sie mindestens von sensiblen Tätigkeiten entfernen. Und dies hat sie im Einzelnen dann sich angesehen, es sind Leute versetzt worden – aber nicht mehr.

    Und bei Roland Jahn muss man sehen: Der ist Stasi-Opfer. Der ist ja inhaftiert gewesen! Und ich kann das voll nachvollziehen: Wenn man dann in der Behörde am Abend das Büro abschließt und dann jemand einem entgegenkommt, der schon früher dort, bei Mielke!, gearbeitet hat, also diese Entrüstung ist völlig nachvollziehbar. Und deswegen wird die Bundesregierung, soweit das geht und möglich ist und auch rechtlich geht, Roland Jahn dabei unterstützen, diese Mitarbeiter möglichst freiwillig in andere Behörden zu versetzen. Sie müssen ja sehen, dass von diesen 47 27 Mitarbeiter im Haussicherungsdienst tätig sind. Das muss ja auch woanders gehen, das muss ja nicht gerade in dieser sensiblen Behörde sein.

    Und das heißt, was die Bundesregierung angeht, wird sie in der Lage sein, Positionen anzubieten. Man kann die Leute, das ist richtig, aus rechtlichen Gründen nicht mehr aus dem öffentlichen Dienst entlassen, und Roland Jahn hat sich vorgenommen, mit jedem Einzelnen zu sprechen, dafür zu werben, das freiwillig zu machen, das heißt, bereit zu sein, freiwillig unter Garantie der erworbenen Rechte... die Mitarbeiter zu bewegen, Versetzungen zu akzeptieren. In einem Gutachten hat er sich dann bestätigen lassen, dass es auch rechtliche Voraussetzungen gibt, dies gegen den Willen des Arbeitnehmers zu machen. Gut, das ist nicht so einfach, Sie haben da Personalrat und Ähnliches, aber wir werden, soweit es unsere Möglichkeiten zulassen, ihn bei dieser Zielsetzung unterstützen.

    König: Verstehe ich Sie richtig, dass es schon in Ihrem Hause oder in anderen vergleichbaren Dienststellen Überlegungen gibt, einige dieser Mitarbeiter zu übernehmen?

    Neumann: Ja, ich habe in meinem Bereich schon etwa – also in meinem Verwendungsbereich, ist ja nicht nur mein Ministerium, ich bin ja zuständig finanziell voll oder teilweise für mehr als 60 Einrichtungen. Ich habe die ganzen Museen, wo es auch um Sicherungsdienste und Ähnliches geht, also wir wären in der Lage, auf Anhieb 19 Stellen zu markieren, wo die Bereitschaft auch wäre bei den Einrichtungen zur Übernahme. So.

    Der andere Schritt muss von Jahn geleistet werden, Jahn muss mit den Leuten reden und gegebenenfalls auch den Akt dann versuchen der Versetzung – möglichst freiwillig, weil Unfreiwilligkeit immer zu Implikationen führt. Hilfreich wird auch sein, dass der Deutsche Bundestag in Verbindung mit der erneuten Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes auch die Forderung nach Versetzung dieser Mitarbeiter in andere Dienststellen erheben wird, sie fordern wird, sie verankern wird. Das ist eine zusätzliche Unterstützung. Und dieser Weg wird jetzt zu beschreiten sein.

    König: Kommen wir noch mal aufs Erinnern. Roland Jahn hat auch vorgeschlagen: ein zentrales Denkmal für die Opfer der DDR-Diktatur nahe des Reichstags in Berlin. Was halten Sie von der Idee?

    Neumann: Ich bin ja mittlerweile Denkmalspezialist, weil mein Bereich zuständig ist für die Aufarbeitung von Diktatur und Erinnerung und so weiter, und das ist auch gut so. Bei all diesen Denkmälern haben wir als Bundesregierung Wert darauf gelegt, dass Beschlussfassungen des Parlamentes vorliegen. Richtig ist, dass wir speziell für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft so direkt kein Denkmal haben, und deswegen ist die Idee lobenswert. Ich weise allerdings darauf hin, dass es an unterschiedlichen authentischen Orten, die wir fördern, diese Thematik gibt.

    Also wenn ich jetzt mal Hohenschönhausen nehme, diesen ehemaligen Stasi-Knast, dann widmet er sich ja den Opfern auch in dieser ganzen Ausstellung der kommunistischen Gewaltherrschaft – Mauergedenkstätte, Gedenkstätte Bautzen, Gedenkstätte Geschlossener Jugendhof Torgau, ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße in Potsdam – alles Einrichtungen, die wir fördern, das heißt, die Thematik als solche und auch der Hinweis und die Erinnerung an die Opfer erfolgt in unterschiedlichen Einrichtungen.

    Aber es ist richtig, es gibt in dem Sinne kein spezielles Denkmal. Und ich finde, da muss eine Diskussion im Parlament erfolgen, da wird es möglicherweise auch "Pro" geben genau so wie "Kontra", und dann wird es eine Entscheidung geben, und dann ist das der für mich repräsentative Wille des Parlamentes und damit auch des Volkes. Das wird abzuwarten sein.

    König: Über das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma wird schon seit 20 Jahren diskutiert. Monika Grütters, Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, sagte jetzt in einem dpa-Gespräch, der Bund müsse die Verantwortung für das Projekt übernehmen, denn das Verhältnis zwischen dem Künstler Dani Karavan und dem Land Berlin, die bisher miteinander zu tun hatten, sei – wie sie sagte – "so zerrüttet, dass wir fürchten, das Projekt könnte nach so vielen Jahren noch scheitern". Werden Sie die Verantwortung für diesen Bau übernehmen?

    Neumann: Es gibt in der Tat Verzögerungen durch Diskussionen mit Dani Karavan, mit dem Künstler und Berlin, Berlin hat die Bauausführung. Dieses Verhältnis hat sich sehr verschlechtert. Ich will hier auch keine Schuldzuweisung öffentlich vornehmen. Und im Augenblick sind wir dabei, mithilfe des Bauministeriums und der verantwortlichen Leute uns zusätzlich darum zu kümmern und überlegen, ob wir, um die ganze Sache zu entkrampfen, gegebenenfalls – allerdings in Absprache mit Berlin – auch diese bauliche Verantwortung übernehmen. Sie sagten, das ist schon lange beschlossen. Ja...

    König: Seit Langem wird darüber geredet. Man will, dass das ...

    Neumann: Ja, das ist schon... 1994 das erste Mal. Und als ich ins Amt kam – aber da ging es nicht um die Ausführung, da ging es um die Texte. Da ging es um die Bereitschaft aller Gruppierungen von Sinti und Roma und derjenigen, die sich Zigeuner nennen, die Bereitschaft zu haben, da mitzumachen. Da gibt es ja unterschiedliche Gruppen. Und daran sind auch meine Vorgänger alle gescheitert.

    Und ich habe mir zum Ziel gesetzt, das hinzukriegen. Was diesen Teil betrifft, ist das auch gelungen, es war ein schwieriger Prozess in der letzten Legislaturperiode. Wir haben ja auch die Grundsteinlegung schon vorgenommen, und Voraussetzung für diese war, dass wir uns inhaltlich über den Text einig waren, dass alle Gruppierungen, Sinti und Roma und die Sinti-Allianz und die verschiedenen anderen Gruppen Ja sagen dazu, das haben wir; und ich dachte dann, selbst der nächste Schritt wäre relativ unkompliziert.

    Aber das war es eben nicht, weil der Künstler hohe Ansprüche an sein Werk hat, und weil dann eben der Vollzug mit dem Land Berlin und der Bauverwaltung nicht so lief, wie man sich das vorgestellt hat. Und das ist eigentlich der Grund der bisherigen Verzögerung. Aber ich möchte trotzdem, dass das in absehbarer Zeit endgültig auch eingeweiht wird. Und warum ich guter Hoffnung bin, kann ich eigentlich im Einzelnen gar nicht sagen, aber ich bin es.

    König: Ein Denkmal müssen wir erwähnen, das Freiheits- und Einheitsdenkmal. Der Entwurf von Milla und Partner und Sasha Waltz wurde beschlossen und wird gebaut, der große Bogen, der sich bewegen kann, je nachdem, auf welcher Seite mehr Menschen stehen. Das Feuilleton hat diese Entwürfe – ich weiß nicht, ob durch die Bank, aber jedenfalls sehr stark – kritisiert: "Salatschüssel der Einheit", "Schaukel der Demokratie" konnte man da lesen - hat Sie das geärgert?

    Neumann: Ja. Das hat mich geärgert, weil ich auch gerade dachte, es war nicht durchgehend aber mehrheitlich, die Feuilletonisten, das heißt, die an sich kulturbeflissenen Journalisten, würden es begrüßen, dass wir nicht ein statisches, klassisches Denkmal haben, eine Statue, ja? Am Ende noch mit Helmut Kohl oben als "Kanzler der Einheit" dargestellt, sondern ganz etwas anderes machen. Etwas Spielerisches machen. Ich dachte, gerade von denen würde es begrüßt und gesagt "Gott sei Dank, nicht so ein staatstragendes Monument, sondern etwas anderes". So.

    Deswegen verstehe ich das nicht, ich bin der Auffassung, das ist gelungen, das ist eine große Schale, die wunderbar auch ästhetisch dort hinpasst auf die Schlossfreiheit, diese Leichtigkeit der friedlichen Revolution durch die Darstellung dieser Schale, die ja leicht sich abzuheben scheint, dass das dokumentiert wird und dass Leute dieses Denkmal begehen können, und wenn mehrere zusammenstehen, bewegt sich eben etwas nach dem Motto: Wenn wir einig sind, sind wir stark, und wir können etwas bewegen.

    Und da werden junge Leute ihren Spaß und ihre Freude haben, ja, ist das denn so schlimm? Dass man mit dem Thema – das war ja ein fröhliches Ereignis! Wir haben ja genug Denkmäler, fast nur solche in Berlin, wo Sie nur mit Würde und Trauer an sich sie dort besuchen können, weil es eben alles traurige Anlässe sind. Und deswegen, glaube ich, ist das eine gute Entscheidung, und wir werden das umsetzen. Ich glaube auch, dass es zu einer Attraktion - das wäre doch nicht schlecht – in Berlin zusätzlich werden wird. Es wird eher da stehen als das Schloss, da bin ich sicher. Aber es passt gut dazu.. man geht einfach halt dort hinein. Und etwas wird sich bewegen, und das ist doch schön!

    König: Apropos Schloss, es gibt ja immer noch Menschen, die nicht sicher sind, ob es nun gebaut wird oder nicht.

    Neumann: Ja, es wird gebaut. Der Haushaltsausschuss, aus dem die meiste Kritik früher kam, hat ausdrücklich sich zu dem Wiederaufbau des Stadtschlosses und der Einrichtung des Humboldtforums dort bekannt, indem er nämlich den Kostenrahmen kürzlich um 38 Millionen erhöht hat. Ich will noch mal abschließend sagen, warum das so wichtig ist, denn man kann ja in der Tat die Frage stellen, können wir uns in den Zeiten, wo wir so sparen müssen, den Wiederaufbau eines solchen Schlosses leisten?

    Zum einen muss ich sagen, ich habe ja, als es um diese Entscheidung ging, Wiederaufbau des Schlosses, beim damaligen Bundesfinanzminister Steinbrück herausgehandelt: Zusätzlich 400 Millionen, die ich dann bekomme für den Erhalt kulturellen Erbes, weil ich sage, ich kann nicht Sanssouci verfallen lassen und ein neues Schloss bauen. Diese Argumentation hat gezogen. Ich habe ja 400 Millionen extra bekommen, die ich jetzt größtenteils in den Erhalt kulturellen Erbes bei bestehenden Einrichtungen hineinstecke. Das ist wichtig, also es ist hier nicht alternativ gehandelt worden.

    Zweitens, natürlich, das ist eine halbe Milliarde, sind mehr als 500 Millionen. Wenn ich aber sehe, dass für den Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin 700, 800 oder mehr Millionen Euro ausgegeben werden, finde ich, steht es der Kulturnation Deutschland gut an, in ihrer Hauptstadt, im Zentrum, dort, wo wir eine Brache haben, zum einen aus architektonischen Gründen die Mitte Berlins zu vollenden – das wird ja ein wunderbares Panorama, nicht nur für die Berliner, sondern international bewundert – und dies dann nicht nur als klassische Fassade, sondern diesen Schloss-Wiederaufbau zu nutzen, ein tolles Projekt zu machen, nämlich das Humboldtforum. Mit den außereuropäischen musealen Sammlungen, die wir jetzt in Dahlem haben. Da müssten wir sowieso bauen. Das heißt, das verbinden wir. Wir wollen ein internationales Forum machen. Das wird attraktiv. Und dies zu verbinden, modernen Dialog mit den Kulturen der Welt und - aus architektonischen Gründen - mit der klassischen Schlossfassade: Das ist doch ein faszinierendes Projekt. Und ich finde, gerade als jemand, der für die Kultur in der Fläche und für die Kultur vieler kleiner Einrichtungen eintritt: auch das müssen wir uns leisten können, und das leisten wir uns und das steht der Kulturnation Deutschland auch gut an.

    König: Was ja sehr kritisiert wird, ist die programmatische Unschärfe, sagen wir mal, des Humboldtforums, dass man sagt:, da sind die völkerkundlichen Museen, das Museum für asiatische Kunst, die Landeszentralbibliothek Berlins kommt hinzu, die Sammlung der Humboldt-Universität – wie soll aus dem Ganzen ein großes Ganzes werden? Wenn man mal sich die Pläne, die Konzepte, die zum Beispiel Hermann Parzinger hier als Stiftungspräsident Preußischer Kulturbesitz geschrieben hat, dann liest sich das wirklich ganz wunderbar: Ort der Kulturen, Ort der Begegnung, in Zeiten der Globalisierung muss ein Forum für die Probleme des Kolonialismus, des heutigen Miteinanders, Integration und so weiter geschaffen werden. Dennoch bleibt immer der Eindruck, dass man selber noch nicht so richtig weiß, was genau man dort will, wie sich das konkretisieren soll, wie auch diese drei Einrichtungen letztlich wirklich zusammenfinden sollen, sodass ein Ganzes daraus wird. Haben Sie den Eindruck, dass das konzeptionell schon auf der Höhe seiner Möglichkeiten ist?

    Neumann: Nein. Deswegen arbeiten wir daran. Dass nun drei Beteiligte da mitwirken, auch die Landeszentralbibliothek, hat ja auch Gründe, die mit der Finanzierung zu tun haben, weil man natürlich die Hauptstadt mit in die Verantwortung einbinden wollte und dann auch Ansprüche gestellt werden. Der Hauptplayer später ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das ist Parzinger, weil er natürlich mit den Sammlungen, die dort rein kommen werden und die ganz anders gestaltet werden, als sie jetzt in Dahlem zu sehen sind, natürlich den formalen Hintergrund überhaupt dieser zentralen Einrichtung, die ja ein Ort auch des interkulturellen Dialoges sein soll, bildet. Weil eben auch noch mehr Schärfe her muss, weil eben auch über diese allgemeine Forderung "Dialog der Kulturen" konkretisiert werden muss, wie geht das eigentlich, was heißt das eigentlich...

    König: Was ist damit gemeint?

    Neumann: ...habe ich ja vor einem Jahr eine wirklich hochkarätige Kommission eingesetzt, die geleitet wird von Martin Heller und weitere acht Persönlichkeiten, die sich hier mit Kultur befassen, aus dem wissenschaftlichen Bereich, aus dem konkreten Bereich, internationale Leute, diese Gruppe, dieses Beratungsteam hat den Auftrag – und das wird dann irgendwann mal, das wird gar nicht mehr so lange dauern – Martin Heller präsentieren, zu sagen, wie kann man so etwas nun inhaltlich machen. Denn Sie haben recht, es muss ja mehr sein als die Addition der drei Einrichtungen, sondern es soll ja auch ein intellektueller Nukleus da sein, es soll etwas stattfinden. Die Agora hat ja dann nur ihre Bedeutung, wenn da etwas passiert. Und dem widmen die sich, und ich bin sicher, dass es da ein Ergebnis geben wird, das am Ende dann dazu führt, dass wir ein lebendiges Humboldtforum haben.

    König: Kia Vahland hat das in der "Süddeutschen Zeitung", wie ich fand, sehr schön beschrieben. Zitat: "Sie wissen, was in ihr Schloss hinein darf und was nicht, aber sie wissen nicht, was genau das bedeuten könnte und wie es gehen mag."

    Neumann: Ja, okay. Das ist so. Das hätte ich auch selbst formulieren können. So. Aber wir müssen ja immer wissen, dass wir bis vor Kurzem noch in einem Stadium waren, wo wir diskutiert haben, ob das Schloss überhaupt entsteht. Jetzt ist das klar. Jetzt wird zum einen über die bauliche Gestaltung diskutiert, da wirken wir mit, aber das ist unter Federführung des Bauministers, und es wird zunehmend jetzt zu diskutieren sein – wir haben ja noch ein bisschen Zeit – und es wird alsbald auch aufgrund einer Vorlage aus diesem Team Martin Heller diskutiert werden: Wie gestalten wir den Inhalt? Was machen wir dort?, sodass die "Süddeutsche" dann es demnächst hoffentlich anders formuliert als bisher.

    König: Es gibt immer mal wieder die Idee eines Gründungsintendanten, so der Ruf nach der einen Persönlichkeit, der sozusagen die ganzen disparaten Interessen und auch Einrichtungen bündelt und das Ganze schmiedet. Halten Sie von der Idee etwas?

    Neumann: Das ist zu früh. Also, stellen Sie sich mal vor, wir würden im Jahr 2011 schon einen Intendanten mit entsprechendem Gehalt installieren, der dann ja nicht nur gedacht ist für den Aufbau dieser Einrichtung, sondern der anschließend auch noch amtieren soll als praktizierender Intendant. Das haben wir diskutiert und haben gesagt: nein. Wir nehmen jetzt erst mal ein Team unter Leitung von Heller, das das Inhaltliche, ohne sich jetzt personell schon festzulegen, erarbeitet.

    König: Gut, aber die Baulichkeiten zum Beispiel werden ja jetzt schon nach inhaltlichen Kriterien verändert.

    Neumann: Ja, und das wird verzahnt. Aber wir wollten nicht den Dauerintendanten schon vorweg für acht Jahre haben, zumal Verträge immer nur für fünf Jahre geschlossen werden. Verstehen Sie, das hängt ja alles miteinander zusammen... sondern haben gesagt, inhaltlich machen wir was: Dieses Team Heller und acht Leute ist stärker, als jeder Intendant sein kann, und da muss man überlegen: Wie muss der Intendant sein, wofür ist er verantwortlich? Für den musealen Bereich der Stiftung Preußischer Kulturbesitz brauchen wir keinen zusätzlichen Intendanten, das können die am besten selbst! Sondern hier ist ja gemeint – also so sehe ich das – jemand, der für das Ganze verantwortlich ist, der für die Bespielung verantwortlich ist. Ich brauche keinen zusätzlichen Intendanten, der uns sagt, wie wir nun die...

    König: Ja gut, aber wenn Sie drei Faktoren haben, die Sie zusammen bringen wollen, dann brauchen Sie schon einen. Da ist vielleicht sogar ein starker Museumsdirektor eher der Sache des großen Ganzen abträglich, weil der vorrangig seine Belange im Blick hat, aber eben nicht das Ganze.

    Neumann: Ja. Aber machen wir es mal so. Ich will das auch noch nicht abschließend beantworten. Wichtig ist erst mal die Ausschreibung. Wir müssen ja erst mal wissen, wie es inhaltlich sein soll, wie gearbeitet werden soll, wie alles zusammenhängt, wie die Agora, wie das Humboldtforum bespielt wird. Und der nächste Schritt ist dann, zu überlegen, wer könnte das denn machen? So. Da haben wir uns eben für dieses Team entschlossen und nicht schon für einen Intendanten, dessen Vertrag ja erst mal ohnehin nur wahrscheinlich fünf Jahre dauerte, der das am Ende gar nicht überlebt. Und ich glaube, dass das die richtige Lösung ist. Aber ich kann nicht ausschließen, dass wir dann in der nächsten Stufe eine entsprechende Entscheidung treffen. Aber das muss man dann noch mal in Ruhe diskutieren.

    König: Herr Staatsminister, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der Blick von der Aussichtsterrasse der Humboldt-Box zeigt die Ausgrabungsfläche am Schlossplatz in Berlin, auf der das Humboldt-Forum entstehen soll.
    Der Blick von der Aussichtsterrasse der Humboldt-Box zeigt die Ausgrabungsfläche am Schlossplatz in Berlin, auf der das Humboldt-Forum entstehen soll. (picture alliance / dpa, Stephanie Pilick)