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Ein Schriftsteller kreist um sich selbst

Wahrscheinlich glaubt Günter Grass, dass seine in bemühte Poesie verpackte Meinungsbekundung zur israelischen Atomwaffenpolitik Gewicht hat. Dabei hat sie es nicht, meint Knut Cordsen. Was Grass antreibe, sei vielmehr um sich selbst kreisende Rechthaberei.

Von Knut Cordsen | 07.04.2012
    Man möchte angesichts des Trubels, der um den leitartikelnden Lyriker Günter Grass ausgebrochen ist, doch dazu raten, auf dem Teppich zu bleiben - und sei es auch, dem Streitgegenstande angemessen, ein Perserteppich. Grass ist das, was Robert Musil im "Mann ohne Eigenschaften" sehr treffend als "Großschriftsteller" beschrieben hat. In dessen Repertoire gehören von Zeit zu Zeit gepfefferte politische Publikationen, die, wie Musil schreibt, "den Chefs der öffentlichen Meinung den Eindruck machen, dass er eine nicht zu unterschätzende Gewissensmacht darstelle; er ist chargé d'affaires des Geistes der Nation, wenn es gilt, im Ausland Humanität zu beweisen". Mit anderen Worten: Der Großschriftsteller begreift sich als sonderbeauftragtes, selbstermächtigtes Weltgewissen.

    Mangelndes Weltwissen hat Grass bekanntlich noch nie davon abgehalten, diese Rolle einzunehmen. So richtig wohl, um noch einmal Musil zu zitieren, fühlt sich der Großschriftsteller nur in der "Zeit des Großkampftages", und so eine durchlebt Grass gerade mal wieder: "Letzte Tänze" hieß sein nur vermeintlich letzter Gedichtband. Die Richtung gab der nachfolgende vor, "Dummer August" hieß er. Nun lieferte er in gewohnt pathetischer Pose letzte Tinte nach. Und alle, alle reden wieder über ihn, kritisieren ihn, unterstützen ihn, befragen ihn.

    Gravitätisch ließ der Nobelpreisträger am Gründonnerstag sein Lübecker Sekretariat verbreiten, er "empfange" in seinem Atelier Fernsehteams von ARD und ZDF. Ein in Rechtfertigungsnöte geratener Bundespräsident mag aus dem Schloss Bellevue ins Hauptstadtstudio eilen müssen - ein sich als "Praeceptor Germaniae" gerierender Autor aber empfängt noch gnädig zu Hause in Behlendorf. Und rudert, heute im Gespräch in der "Süddeutschen Zeitung", halb zurück: Er habe nicht pauschal Israel, sondern dessen Premier Benjamin Netanjahu etwas vorwerfen wollen.

    Wahrscheinlich glaubt Grass selbst, dass seine in bemühte Poesie verpackte Meinungsbekundung zur israelischen Atomwaffenpolitik, dass seine Dichtung über den als "Maulhelden" verniedlichten iranischen Diktator Mahmud Ahmadinedschad Relevanz besitzt, Gewicht hat. Sie hat es nicht. Allein die Reflexe, ja ritualartigen Reaktionen auf seine Äußerungen hin suggerieren es: Ralph Giordano ist sofort zur Stelle, um empört gegen ihn anzupoltern, Rolf Hochhuth schämt sich öffentlich für Grassens "anmaßende Albernheit", Klaus Staeck und Johanno Strasser geben die wackeren Verteidiger seiner Positionen, auch Jakob Augstein sagt, Grass habe recht und Henryk M. Broder tritt in Springers Stiefeln nach und zeiht Grass in der "Welt", "der Prototyp eines gebildeten Antisemiten" zu sein.

    Diese durchaus divergenten Stellungnahmen wiederum nennt Grass jetzt eine "Kampagne", er fühlt sich - wörtlich - "an den Pranger gestellt", ja er beklagt ernsthaft eine "Gleichschaltung der Meinung" in eben jener Presse, die sein Gedicht erst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat und es nun heftig diskutiert. Es ist aberwitzig: Wie ungezählte Male zuvor schon stellt sich Grass als tief verletztes, gekränktes Opfer sinistrer Medienmachenschaften dar.

    Es ist die deutscheste aller Debatten, so vorhersehbar wie ermüdend. Nur in ihr lebt ein Greis wie Grass noch mal auf. Es sind solche Feuilletonscheingefechte, die er liebt - er, der einst gegen die deutsche Einheit war mit dem absurden Argument, Auschwitz habe diese Wiedervereinigung auf alle Zeiten unmöglich gemacht. Woran man sieht: Grass' Terrain ist schon seit langem nicht mehr die Realität, es ist die um sich selbst kreisende Rechthaberei. Und sein angebliches Moralaposteltum ist nichts weiter als das, was er jüngeren Generationen in seiner Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" vorgeworfen hat: "Egokult".