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"Ein Schritt in einen faireren Sozialstaat"

Die vom Bundestag beschlossene Hartz-IV-Reform bedeute einen "Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik", sagt Johannes Vogel, FDP-Sozialpolitiker und Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestags. Die Regelsätze für Hartz-IV-Bezieher würden transparenter berechnet, Kinder werde mehr Teilhabe ermöglicht.

Johannes Vogel im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.12.2010
    Christoph Heinemann:Der Bundestag hat also mit den Stimmen der Koalition jetzt die Hartz-IV-Reform beschlossen, und diesem Beschluss ging eine lebhafte Sitzung voraus. Am Telefon ist Johannes Vogel, Sozialpolitiker der FDP. Guten Tag!

    Johannes Vogel: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Vogel, Sie haben es gerade gehört: Die erste Hürde ist zwar genommen, aber voraussichtlich wird Hartz IV in christlich-liberaler Spielart jedenfalls den Bundesrat nicht überstehen. An welcher Stelle wird nachgebessert?

    Vogel: Ob nachgebessert wird und falls ja, an welcher Stelle, müssen Sie natürlich die Opposition fragen, wo sie Veränderungen will. Wir haben jetzt als Koalition hier ein Paket beschlossen, eine Hartz IV-Reform, die in unseren Augen eine sehr, sehr gute ist. Erstens sorgt sie dafür, dass die Hartz IV-Regelsätze endlich transparent berechnet werden. Ausgangspunkt dieser Debatte ist ja letztlich ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, was die damalige Regelsatzberechnung der heutigen Opposition, also von SPD und Grünen, eben als verfassungswidrig anerkannt hat.

    Heinemann: Das mussten Sie jetzt noch mal sagen.

    Vogel: Genau, musste ich noch mal sagen, weil das ist in der Debatte ja schon wichtig. Hier macht ja nicht die Regierung irgendetwas, weil sie sozusagen das alleine nur wollte, sondern hier wird etwas korrigiert, was verfassungswidrig war, von SPD und Grünen, und das ist deshalb wichtig, weil ich finde, dann sollte die Opposition auch konstruktiv mitwirken daran, das jetzt zu korrigieren. Wir müssen diese Reform machen, wir halten sie auch völlig für richtig, und jetzt ist die Frage, wie verhält sich die Opposition im Bundesrat. Wichtig ist aber ein zweiter Punkt noch. Neben den Regelsätzen - das wurde ja gerade schon gesagt - ist eben auch erstmalig das Bildungspaket für Kinder aus Hartz IV-Familien, damit diese teilhaben können, damit sie dabei sein können, eben beim Nachhilfeunterricht in der Schule, im Ganztagsangebot, im Sportverein. Das ist, glaube ich, was, was wirklich ein ganz neuer Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik ist und wo ich die Opposition nur aufrufen kann, das nicht zu blockieren, dass das kommt, sondern mitzuwirken, dass wir es umsetzen können.

    Heinemann: Schließen Sie mehr Geld für Hartz IV-Bezieher aus?

    Vogel: Ich schließe gar nichts aus. Der Ball liegt jetzt bei der Opposition. Was wir wollen, unser Angebot als Koalition, das haben wir heute im Bundestag beschlossen, gerade eben, Sie haben es ja selber berichtet, und wenn die Opposition hier etwas verändern will, muss sie sagen wo und sich dann konkret erklären, was sie wirklich will, und dann sind wir gesprächsbereit. Das hat die Ministerin heute noch mal ganz klar gesagt: Die Tür der Regierung, die Tür der Koalition steht offen, die Opposition muss nur durchgehen.

    Heinemann: Also tatsächlich auch mehr Geld oder eine stärkere Erhöhung als die jetzt beschlossenen fünf Euro für reguläre Hartz IV-Bezieher?

    Vogel: Nein. Bei den Regelsätzen ist es ja so, dass das Verfassungsgericht ja uns klare Leitplanken vorgegeben hat, wie das ganze funktionieren soll, und da nehmen wir Bezug auf die sogenannte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Was ist das? Das ist die Aufstellung der Ausgaben, die deutsche Familien, deutsche Haushalte tätigen über das Jahr. Das wird transparent vom Statistischen Bundesamt ermittelt. Und hier nimmt man eben die kleineren Einkommen, also diejenigen, die nicht auf Unterstützung angewiesen sind der Solidargemeinschaft, aber nicht so viel zum leben haben, die Verkäuferin etc. Das soll der Bezugspunkt sein für die Berechnung des Existenzminimums. Und dann wurde früher dort willkürlich teilweise auf- und abgerechnet, das haben wir gestoppt. Sondern wir haben diese Ausgaben genommen und dann entschieden, was gehört zum Existenzminimum, was gehört nicht dazu. Natürlich gehört dazu Ausgaben für Lebensmittel, Ausgaben dafür, dass man mit dem ÖPNV fahren kann, Bus fahren kann etc. Wir haben auch Entscheidungen getroffen, was nicht dazu gehört, zum Beispiel Ausgaben für Alkohol und Tabak. Und wenn die Opposition da etwas verändern wollte, müsste sie klar sagen - und das sind sie uns bisher schuldig geblieben, und die Debatte geht ja jetzt schon einige Monate -, wo angeblich hier getrickst worden sei. Das kann sie nicht, weil eben transparent gerechnet worden ist. Aber was nicht geht ist, einfach zu sagen, wir wollen zwei Euro mehr, oder wir wollen noch sechs Euro mehr, weil das wäre genau die willkürliche Festsetzung der Regelsätze, die das Verfassungsgericht uns eben verboten hat.

    Heinemann: Herr Vogel, ich will Ihnen auch mal was vorrechnen. Der Vorstandschef der HSH-Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher heißt er noch, soll nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" bei seinem voraussichtlichen Ausscheiden zwei Millionen Euro erhalten. Wir haben mal nachgerechnet. Die fünf Euro Erhöhung, die Sie jetzt bewilligt haben, passen genau 400.000 Mal in dieses Gehalt herein. Können Sie verstehen, dass Menschen an diesem System zweifeln, dieses System ablehnen?

    Vogel: Ich kann gut verstehen, wenn Menschen angesichts teilweise exorbitanter Gehälter in unserer Gesellschaft natürlich sich fragen, wo ist das gerechtfertigt und wo nicht. Und ich glaube, zum Beispiel viele Menschen sagen, bei exzellent millionenfach bezahlten Profifußballern ist das gerechtfertigt. Da stellt ja niemand hier eine Gerechtigkeitsfrage. Aber man kann sich in der Tat fragen, ich tue das auch, war das bei einigen Managern von Banken, die diese Banken dann auch ruiniert haben und damit eine Wirtschaftskrise ausgelöst haben, gerechtfertigt. Da muss man auch rangehen, aber das ist eine Frage der Haftung, der Verantwortung, die hier Manager übernehmen müssen. Hier geht es, und das hat uns das Gericht - und deshalb, glaube ich, müssen wir die Ernsthaftigkeit in der Debatte auch haben - eben auch klar definiert: Es muss eine Grundlage geben für die Berechnung des Existenzminimums. Und die fairste Grundlage, die ich mir vorstellen kann, ist zu schauen, diejenigen in der Gesellschaft, die hart arbeiten, nicht so viel Geld haben, aber die hart arbeiten und selber finanziell auf eigenen Beinen stehen, die nicht Unterstützung der Solidargemeinschaft kriegen und auch nicht brauchen, dass wir deren Ausgabeverhalten zur Grundlage machen, um festzulegen - das muss man ja anhand von objektiven Kriterien machen; ich will das nicht willkürlich Pi mal Daumen die Politik machen lassen -, was ist das Existenzminimum. Das ist, glaube ich, die fairste und sachgerechteste Lösung und eben auch genau das, was das höchste deutsche Gericht uns aufgegeben hat.

    Heinemann: Aber unterm Strich, Herr Vogel, bleibt, auch wenn es etwas polemisch klingt, Nonnenmacher plus zwei Millionen, Hartz IV plus fünf Euro?

    Vogel: Das klingt nicht nur etwas polemisch, sondern das ist eben auch eine Vermischung von Debatten, die nicht zusammengehören. Ich bin sofort dabei zu sagen, mehr Haftung von Bankmanagern. Es kann nicht sein, dass Leute da sehr gut bezahlt werden, die einen schlechten Job machen. Aber das müssen wir schon trennen hier von der Hartz IV-Debatte. Was wichtig ist, dass wir bei all dem nicht vergessen dürfen: Hartz IV soll ja keine Dauerlösung sein, sondern es geht ja darum, dass dies das Existenzminimum ist, was jemand bekommt, wenn er in Not geraten ist, wenn er nicht zum Beispiel eine Arbeitsstelle hat. Und wir müssen uns doch vor allem auch fragen: Wie bringen wir Menschen schnellstmöglich da wieder heraus - das ist ja die Politik, die wir gleichzeitig machen -, und eben auch, wie sorgen wir dafür, dass Kinder, deren Eltern zum Beispiel durch Langzeitarbeitslosigkeit in einer schwierigen Lage sind, dass die nicht gegenüber ihren Spielkameraden, ihren Freunden benachteiligt werden, deren Eltern nicht in dieser Situation sind, und genau das machen wir mit dem Bildungspaket für Hartz IV-Kinder. Also ich glaube, das ist eindeutig ein Schritt in einen faireren Sozialstaat.

    Heinemann: Johannes Vogel, Sozialpolitiker der FDP. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Vogel: Danke Ihnen! Tschüss!