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Ein Schuss ohne Folgen

Nur den wenigsten Heroinabhängigen gelingt es, dauerhaft von der Droge loszukommen. Schon lange versuchen Forscher deshalb, ihre Wirkung im Körper zu blockieren. An schwer abhängigen Ratten haben US-Wissenschaftler nun einen neuen Impfstoff getestet. Die Behandlung führte zu einer reduzierten Aktivität der Droge.

Von Marieke Degen | 07.05.2013
    Es ist nicht schwer, eine Laborratte anzufixen. Die Tiere begreifen schnell, dass sie nur einen kleinen Hebel drücken müssen und ihnen sofort das Heroin in die Blutbahn schießt, über einen Katheter in ihrer Halsvene.

    "Die Ratten entscheiden selbst, wie viel Heroin sie nehmen. Typischerweise ist es aber so: Wenn sie über einen längeren Zeitraum Zugang zu Heroin haben, nehmen sie freiwillig immer mehr davon – bis sie körperlich abhängig von der Droge sind."

    Der Neurowissenschaftler Joel Schlosburg forscht am Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla. Das Rückfallrisiko der Ratten ist hoch. Nach wochenlanger Abstinenz reicht ein einziger Schuss aus, und sofort fangen die Ratten wieder an, zwanghaft den Hebel zu betätigen. Doch diesmal war alles anders.

    "Nachdem wir die Ratten geimpft hatten, wurden sie nicht mehr rückfällig – selbst wenn sie vorher stark heroinabhängig waren. Der Stoff ist nicht mehr in ihr Gehirn gelangt. Sie hatten dann nicht mehr das Verlangen nach Heroin."

    Der Impfstoff gegen Heroin, den die Forscher in La Jolla entwickelt haben, funktioniert im Prinzip wie jede andere Impfung auch. Er bringt die Immunabwehr dazu, Antikörper gegen Heroin zu bilden. Sobald die Droge in die Blutbahn gerät, wird sie von den Antikörpern gebunden – und gelangt nicht mehr ins Gehirn. Der Rausch bleibt aus.

    "Unser Ziel ist es, die Wirkung von Heroin langfristig zu unterbinden. Wenn jemand abstinent ist und rückfällig zu werden droht, sich also Heroin spritzt, wird er nicht mehr high. Die Impfung könnte herkömmliche Behandlungen wie Psychotherapien oder Substitutionstherapien unterstützen. "

    Das Prinzip ist nicht neu. Seit den 70er-Jahren haben sich Forscher immer wieder an Impfstoffen gegen Heroin versucht. Das Problem war nur: die Antikörper waren nicht spezifisch genug, sie konnten das Heroin im Blut nicht zuverlässig in Schach halten, und erst recht nicht die Abbauprodukte von Heroin, die den Rausch wahrscheinlich erst auslösen. Die Versuchstiere konnten sich trotz Impfung berauschen – sie mussten einfach nur doppelt so viel Heroin nehmen wie sonst. Der neue Impfstoff aus dem Scripps Research Institute ist da ganz anders.

    "Der Impfstoff bringt den Körper dazu, nicht nur Antikörper gegen Heroin herzustellen, sondern auch gegen alle Heroin-Abbauprodukte. Der Körper kann also viel koordinierter gegen die Droge vorgehen."

    Bei den Ratten war die Impfung sehr effektiv, sagt Joel Schlosburg.

    "Unsere Impfung hält das Heroin zuverlässig in Schach – bis hin zu Dosen, die so hoch waren, dass sie noch nicht einmal unsere Ratten freiwillig genommen hätten. Es ist fast unmöglich, die Impfung zu umgehen."

    Die Impfung kann den Rausch verhindern, sie kann aber nicht die Sucht, das Verlangen nach Heroin abschalten. Trotzdem könnte sie abhängigen Menschen helfen, von der Droge loszukommen.

    "Im Idealfall könnte die Impfung mit Substitutionsmitteln wie Methadon oder Buprenorphin kombiniert werden. Die Medikamente drosseln das Verlangen nach Heroin, und die Impfung würde verhindern, dass die Patienten rückfällig werden."

    Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Wenn alles gut geht, könnte die Impfung in ein paar Jahren an Menschen getestet werden. So weit ist noch keiner der potenziellen Impfstoffe gegen Heroin gekommen.