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Ein schwarzer Bürgermeister für Dessau

2005 verbrannte der Flüchtling Oury Jalloh aus Sierra Leone in Dessau in seiner Zelle. Verarbeitet ist das wohl noch nicht. Denn eine ironische Plakatwerbung für ein Theaterstück, bei dem ein Afrikaner für das Bürgermeisteramt kandidiert, sorgt für unschönen Protest.

Von Christoph Richter | 21.03.2013
    Echt lustig: Bekleidet mit rosa Hemd und rosa Krawatte kandidiert der herzlich lächelnde Afrikaner Jamal Nujoma für das Bürgermeisteramt in Dessau. Als Kandidat der VfD, der Vereinigung "Vielfalt für Dessau". Zu sehen auf Plakaten, die in der anhaltinischen Kleinstadt Dessau hängen. Ein augenzwinkernder Scherz, eine Idee der Regisseurin Nina Gühlstorff. Als Werbung für ihr Dokumentartheaterstück "Die verdammten dieser Erde", dass das unaufgearbeitete kolonialistische Erbe Deutschlands thematisiert und am Freitag im Alten Theater uraufgeführt werden soll. Kommt in Dessau aber gar nicht gut an.

    "Eigentlich war das so ein bisschen gedacht, als ein Versuch, diesmal so ein bisschen leichter über das Thema Zusammenleben Schwarz-Weiß zu reden. Weil ich ja weiß, dass die Wunde tief ist, was Oury Jalloh betrifft. Und das hat nicht so ganz geklappt."

    Weil die Fiktion anscheinend zu real war. Aus Spaß wurde plötzlich bitterer Ernst. Denn sofort wurde auch eine schmutzige Kampagne losgetreten, ausgelöst unter anderem durch die "Bild"-Zeitung und die Ausländerbehörde, erzählt Nina Gühlstorff:

    "Weil sich Leute beschwert haben, dass der Darsteller in seiner Jugend einiges – ich möchte das jetzt Mal vorsichtig formulieren – auf dem Kerbholz hatte. Und ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass, wenn da ein weißer Statist drauf gewesen wäre oder ein weißer Laiendarsteller, die nicht in seiner Vergangenheit herumgewühlt hätten."

    Die Bremer Regisseurin Nina Gühlstorff ist sichtlich irritiert. Dass ein Teil der Medien die Stimmung aufgreift, skandalisiert, ist eine Sache. Aber dass der Bürgermeister sofort zum Hörer greift, um den Intendanten zu sich zu zitieren, ist die andere. Und hat doch mehr als ein Geschmäckle. Die Gründe erklärt der parteilose Oberbürgermeister Uwe Koschig so:

    "Natürlich muss man damit erstmal umgehen. Ich sehe da auch Handlungsbedarf. Und das haben wir gemacht. Wir haben das mit der Theaterleitung ausgewertet, wir haben es angesprochen. Die Theaterleitung hat es begründet. In die künstlerische Freiheit des Intendanten greife ich nicht ein. Und ich kann dann dem Generalintendanten dann nur vertrauen. Wir haben einige Dinge besprochen."

    Zu den Details will sich Uwe Koschig allerdings nicht äußern. Und reagiert dünnhäutig, als wisse er um die Dimensionen des alltäglichen Rassismus' in Dessau. Anstatt nun aber die Debatte aufzunehmen, lässt Oberbürgermeister Koschig – ein hemdsärmeliger Typ mit glitzernder Perle im Ohr - in Gutsherrenart die Verantwortlichen zu sich kommen. Um sie darauf hinzuweisen, dass es eigentlich nicht gehe, einen früher vorbestraften, längst resozialisierten jugendlichen Afrikaner als Werbegesicht für das Theater zu nutzen.

    Nina Gühlstorff schüttelt den Kopf. Steine werden ihr zwar keine in den Weg gelegt, sagt sie. Und betont, dass der Intendant hinter ihr stehe, kein Problem mit der Vergangenheit des Laiendarstellers habe. Aber einfach sei das Arbeiten nicht, ergänzt die gebürtige Ratzeburgerin. Auch weil einer der Laiendarsteller aus der Black-Community aus Angst bereits hingeschmissen hat.

    "Einer der Darsteller hat tatsächlich gesagt, er ist aufgrund seiner Hautfarbe sowieso schon im Fokus der Öffentlichkeit, weil er hier in Dessau so singulär ist. Und er möchte daher da nicht mehr mitmachen. Und ist ausgestiegen, weil er keine Lust hat auf noch mehr Aufmerksamkeit. Das ist dann natürlich schwierig."

    Kann der fiktive Bürgermeisterschaftskandidat und Laiendarsteller Jamal Mohammed Khalif gut verstehen. Auch er hatte seine Zweifel:

    "Ja, die gab es, aber ich habe mir gesagt, von denen lasse ich mich nicht runterkriegen. Ja, jetzt erst recht. Ich habe dann Nina gefragt, ob sie noch ein paar Plakate hat, damit ich sie in der Stadt aufstellen kann. Damit ich noch mehr wirbel."

    Mit drei Jahren ist der 26-jährige Jamal Mohammed Khalif aus Mogadishu in Somalia nach Deutschland gekommen. Seit er 18 ist, muss er um seinen Aufenthaltsstatus kämpfen. Und das ging soweit, erzählt er, dass ihm die Ausländerbehörde während seiner Gefängniszeit sogar eine Ausbildung verwehrt hatte, mit dem Argument, dass das eine Abschiebung möglicherweise erschweren würde.

    Nina Gühlstorff polarisiert, arbeitet wie eine Archäologin, die die mentale Grundstimmung der Menschen in Dessau offenlegt. Aber sie wolle auch aufzeigen, unterstreicht sie, dass Sachsen-Anhalt nur eine Zukunft hat, wenn es die Migranten ins Land holt. Denn die demografische Kurve ist hier besorgniserregend. Bis 2050 gehen Experten von einem Bevölkerungsrückgang von bis zu 50 Prozent aus. Allein durch Zuwanderung kann das noch aufgehalten werden.

    "Ja, absolut. Und ich finde, dass man die migrantische Position absolut stärken muss. Und dass sich die Leute endlich daran gewöhnen müssen, dass wir ein diverses, multikulturelles Bundesland werden."

    So einfach ist das aber nicht. Überhaupt nicht. Und Spaß verstehen die Menschen in dieser Angelegenheit schon lange nicht: Das macht die amüsante Kampagne um einen fiktiven afrikanischen Bürgermeisterschaftskandidaten überdeutlich. Doch das ist allerdings kein Problem, dass hierzulande nur Dessau hat.