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Ein See voller Tränen

Der Palic-See sei aus den Tränen eines unglücklich verliebten Mädchens entstanden, wird erzählt. Heute lädt Palic im Norden Serbiens Touristen ein, das Land neue zu erkunden. Denn die Ferienhaussiedlungen, die vor der Wende Spitzensportler und Touristen aus allen Ostblockländern beherbergten, werden erst allmählich wider von Reisenden entdeckt.

Von Marianthi Milona | 16.11.2008
    Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem kleinen Ort in der Vojvodina, im nördlichen Teil des heutigen Serbien, ein junges hübsches Mädchen. Unsterblich war es verliebt. In einen fürstlichen Jüngling. Doch dieser wollte ihre Liebe einfach nicht erwidern. So war ihr Leid unendlich groß. Und ihre Tränen eine nicht versiegende Quelle. Und weil ihre Tränen so viele waren, wurde daraus ein riesiger See. Der See des Kurortes Palic. Und wenn das Mädchen nicht gestorben ist, dann, ja dann findet es man noch heute um ihren Jüngling trauernd am Ufer des Palic-Sees sitzend.

    Palic, 20 Kilometer von der ungarischen Grenze, 180 Kilometer von Belgrad, 200 Kilometer von Budapest entfernt.

    An einem schönen warmen Herbsttag trifft eine reiselustige Berlinerin, in einem ihr noch unbekannten Kurort mitten im Pannonischen Flachland ein. Schon lange wollte Martina Bleis ins ehemalige Jugoslawien reisen, so wie vor viele Jahren zuvor, damals noch mit ihren Eltern. Doch nach den politischen Auseinandersetzungen, die dort stattgefunden haben, schien dieses Land hinter den Alpen für viele Menschen verschlossen geblieben zu sein.

    Inzwischen wirbt das Land Serbien schon längst wieder für neue Feriengäste. Besonders jene Region des Landes, die schon immer sehr westeuropäisch geprägt war. Und dann lag in den Reiseunterlagen auch diese Geschichte bei, ein schönes Märchen um die Gründung des Palic-Sees mit seinen stolzen Umfang von 17 Kilometern. Wenn sich solch ein schöner Mythos um die Entstehung eines Sees rankt, dann lohnt es sich das Ganze aus der Nähe zu betrachten, dachte Martina Bleis sich. Vor Ort angekommen, musste sich sie eingestehen, dass sie sich diese Gegend ganz anders vorgestellt hatte.

    Ursprünglich ist Palic als Ferienhaussiedlung entstanden. Von Menschen aus dem nahegelegenen Kleinstädtchen Subotica. Doch es ähnelt mit seinem angelegten Park und den Anlagen am See keinem anderem Ort in Serbien. Im ehemaligen sozialistischen Jugoslawien wurde Palic aufgrund seines moderaten Klimas auch von vielen Leistungssportlern frequentiert. Die heute nostalgisch anmutenden, leerstehenden Sportanlagen rund um den Park erinnern an große sportliche Glanzzeiten. Und da gibt es auch eine Skulptur mitten im Park: Sie stellt Lajos Vermes dar, einen Bürger Suboticas, der selbst Athlet und Initiator eines Sportwettbewerbs im Palic war, von 1880 bis 1914. Reizvoll und sehenswert ist die Architektur des Frauenbads, dass genau gegenüber vom Männerbad, am anderen Ende des Sees liegt.

    Jadel Del Leo kommt aus Israel. Genauer gesagt aus Tel Aviv. Und ist aus einem ganz anderen Grund nach Palic und Subotica gekommen. Nicht um Ferien zu machen, sondern weil er sich in Subotica die älteste Synagoge Serbiens anschauen wollte. Und diese gilt unter Kennern aufgrund ihrer ungewöhnlichen Architektur als einzigartig. Für Jadel Del Leo ist sie eine Augenweide. Und er erkennt bei näherer Betrachtung der Synagoge deutliche Ähnlichkeiten in der Bauweise mit der Architektur des Frauenbades am See von Palic.

    "Ich bin von dieser Bauweise fasziniert. Die beiden Architekten Marcel Komor und Deszo Jakab haben beim Frauenbad im Palic See eine ungarische Variante des Art-nouveau-Stils geschaffen. Auch kenne ich keine andere Synagoge, die so aussieht wie die in Subotica. Und die Gebäude im Park von Palic, nun da gibt es rote gebogene Ziegeldächer, die eher japanisch anmuten. Die vorhandenen holzgeschnitzten Giebel wirken dagegen rustikal, balkanisch. Und dann diese exakt rechteckigen Gebäude! Diese stehen für ein starkes Ordnungsprinzip der Baumeister. Das Frauenbad mit seinen leerstehenden Holzkabinen, das erinnert mich sehr an das alte sozialistische Jugoslawien."

    Gegründet wurde der Park am See mit seinen Gebäuden um 1840, auf 19 Hektar Land mit einem ungewöhnlichen landschaftlichen und architektonischen Ambiente. Rechts und links der kleinen Wege ist viel Wiese vorhanden. Darauf viele alte Zypressen, Platanen, Fichten. Hier und da tanzen nach den ersten Herbststürmen Hunderte Blätter im Wind, um schließlich sanft auf dem weichen Boden zu landen.

    Pfützen, die sich nach einem kurzen Regenschauer gebildet haben, veranlassen bei einem Spaziergang entlang der angelegten Wege immer wieder zu kleinen Sprüngen. Und zahlreiche Skulpturen aus Bronze wollen, dass man immer wieder anhält und sie intensiv betrachtet. Eine Skulptur stellt zwei ältere nachdenkliche Frauen dar, die auf einer Bank sitzen und offenbar tief in ihren Gedanken vertieft sind. Zwei kleine Hotels, werden in der Ferne erkennbar. Und dann herrscht in diesem Park diese unendliche Stille. Palic ist ein Ort zum Aufatmen.

    Die meisten der 8000 Einwohner von Palic sind ungarischer Herkunft. Stefan Arsenievitsch kommt aber aus Belgrad, er ist Filmemacher und als ausgeprägtes "Bergkind", wie er sagt, von diesem flachen Land seiner Heimat sehr beeindruckt.

    "Die Menschen kommen mir von ihrer Mentalität hier viel offener vor. Sie wollen hier auch mit allen Mitteln, dass Serbien bald Mitglied in der Europäischen Union wird. Mir fällt der starke ungarische Einfluss auf. Das alles finden sie in Belgrad, wo ich lebe, überhaupt nicht. Für mich bedeutet das, hier herrscht eine alte europäische Kultur vor. Sie sehen das in den Gebäuden. Sie stehen davor und staunen nur. Ich liebe das. Ich habe zeitweise den Eindruck, mich in einem Märchenland aufzuhalten."

    Zum Essen kehrt man in Palic in sehr bäuerliche Lokale ein. Die Restaurants sind hier überall wie kleine Bauernhöfe angelegt. Man betritt alte Wohnstuben, die sehr rustikal eingerichtet sind. Hier ein Deckchen, dort ein besticktes Kissen, da ein bemalter Wandteller, eine Holzfigur auf einem Kaminsims. Und überall spielen lokale Musikbands traditionelle Volksweisen. Auch das Essen ist ungewöhnlich. Mit Vorliebe wird Weißkohl in allen Variationen serviert. Dann werden immer wieder Berge von gegrilltem Fleisch auf riesigen Servierplatten gereicht. Und am Ende: Ein Glas des Gorki-List-Kräuterlikörs, die serbische Jägermeister-Variante.

    Am Ende sind die drei Gäste von der Region rund um Palic sehr beeindruckt. Einerseits west- und andererseits ganz stark süd-öst-europäisch geprägt. Eine gelungene Mischung aus beidem. Und irgendetwas hat die Fremden jedenfalls magisch berührt an diesem Ort. Das weinende Mädchen haben sie zwar noch am Ufer des Sees gesucht, aber nicht mehr vorgefunden. Vielleicht ist sie, nach einem ganzen See voller Tränen, am Ende doch noch vom Mann ihrer Träume erhört worden.
    Zwei sitzende Frauen: Skulpturen im Park des serbischen Kurorts Palic.
    Zwei sitzende Frauen: Skulpturen im Park des serbischen Kurorts Palic. (Marianthi Milona)